Das komplexe Erbgut des Weizens ist erstmals nahezu vollständig entschlüsselt. Die Beschreibung des Genoms von Brotweizen, der wichtigsten Weizenart, veröffentlicht die Gruppe von über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 73 Einrichtungen in 20 Ländern in der Fachzeitschrift Science. Die Forscherinnen und Forscher, die Teil des International Wheat Genome Sequencing Consortium sind, erhoffen sich davon Verbesserungen für die Welternährung. Denn Weizen sei das Grundnahrungsmittel für mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung und mache fast 20 Prozent der Kalorien und Proteine aus, die Menschen weltweit verbrauchten. Die neuen Erkenntnisse sollen die Herstellung von Weizensorten erleichtern, die besser an klimatische Herausforderungen angepasst sind und höhere und stabilere Erträge einbringen. 

Das Konsortium hatte 13 Jahre an der Entschlüsselung geforscht. Bereits zur Sequenzierung des Erbguts von Reis, Mais und Gerste hatten sich ähnliche internationale Zusammenschlüsse gebildet. Weizen war das letzte große agrarwirtschaftlich wichtige Pflanzengenom, das noch nicht entschlüsselt wurde. "Die vollständige Sequenzierung des Genoms von Brotweizen wurde lange Zeit für unmöglich gehalten, da es enorm groß und komplex ist", sagte Nils Stein vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben. Während des menschliche Erbgut rund 20.000 Gene enthält, fanden die Forscher beim Brot- oder Weichweizen (Triticum aestivum) 107.891 Gene. 

"Wir schätzen, dass wir damit 94 Prozent entschlüsselt haben", sagte Manuel Spannagl vom Helmholtz Zentrum München, das zusammen mit dem IPK Gatersleben federführend an der Studie beteiligt war. Der Brotweizen habe ein noch komplexeres Genom als der für Nudeln genutzte Hartweizen (Triticum durum). Gerade arbeiteten die Forscher an der Entschlüsselung von Pasta-Weizen, aber auch andere Weizenarten sollen folgen. "Es geht jetzt darum, die natürliche Vielfalt im Weizen zu verstehen und nutzbar zu machen", sagte Spannagl. In etwa zwei bis drei Jahren sei mit ersten Erfolgen bei der Verwendung des Genoms für die Züchtung zu rechnen.

Die Entschlüsselung des Weizengenoms war weltweit mit Spannung erwartet worden. Man habe sogar erst für das nächste Jahr damit gerechnet, sagt der Vizepräsident des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen, des Julius Kühn-Instituts, Frank Ordon. Er sprach von einem Meilenstein. "Man kann jetzt Gene, die für landwirtschaftlich bedeutende Eigenschaften codieren, schneller identifizieren und damit gezielter züchten. Das wird den Zuchtfortschritt beschleunigen." Konventionelle Weizenzüchtung dauere bis zur neuen Sorte etwa zehn Jahre. Nun sei das in Kombination mit anderen Techniken deutlich schneller möglich. Die große Herausforderung für die Forschenden bestünde jetzt darin herauszufinden, welche Gene und welche Gennetzwerke für welche landwirtschaftlichen Eigenschaften verantwortlich sind. So könnten Genvarianten gefunden werden, die leistungsfähiger sind.

Da auch moderne Technologien das Erbgut nicht in einem Stück entschlüsseln konnten, standen den Forschern bei ihrer Arbeit immer nur Fragmente zur Verfügung. Um den korrekten Zusammenbau dieser Teilsequenzen nachzuvollziehen, entwickelte das Team spezielle Algorithmen. Sie konnten schließlich klären, welche Gene wo liegen, wie sie organisiert sind und welche Aufgaben einzelne Gene übernehmen.   

In einer zeitgleich veröffentlichten Studie im Fachblatt Science Advances analysierten Forscherinnen und Forscher zudem jene Gene, die an Weizenunverträglichkeiten von der Zöliakie bis zum Bäckerasthma beteiligt sind. Die Erkenntnisse böten Hoffnung für Menschen mit Allergien gegen Weizen, schreiben die Forscher. "Wir sind jetzt in der Lage, die allergieauslösenden Gene sehr viel genauer und besser zu charakterisieren", sagte Spannagl. Die Forschenden hätten keine völlig neuen Gene gefunden, die für verschiedene Unverträglichkeiten verantwortlich sind, aber die Position ausgemacht, an der sich die Gene befinden. Damit könne man nun auf züchterischem und theoretisch auch auf gentechnischem Weg schnell zu neuen Weizensorten kommen, die weniger allergieauslösende Proteine wie Gluten enthalten.

Insgesamt fünf Veröffentlichungen begleiten die Hauptpublikation. Eine Studie wendet die Erkenntnisse bereits an: Sie zeigt, wie stark oder abgeschwächt einzelne Gene unter verschiedenen Bedingungen wie etwa bei Trockenheit wirken. Diese und zahlreiche weitere Studien, welche die Genomsequenz von Weizen bereits nutzen, waren möglich, weil die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon im Januar 2017 eine Arbeitsversion der nun veröffentlichten vollständigen Gensequenz für weiterführende Forschungsarbeiten bereitgestellt hatten.