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P. Köster: Kabinenpredigt Teamgeist dringend gesucht

Die deutsche Mannschaft zeigte beim WM-Auftakt gegen Mexiko, dass es ihr an Teamgeist fehlt
Die deutsche Mannschaft zeigte beim WM-Auftakt gegen Mexiko, dass es ihr an Teamgeist fehlt
© Federico Gambarini / DPA
Wenn die Nationalelf die Gruppenphase überstehen will, muss sich vieles ändern: die taktische Ausrichtung und die Aufstellung. Vor allem aber: Die Spieler müssen zu einer Mannschaft werden, meint stern-Stimme Philipp Köster.

Am 2. Juli um 16 Uhr wird das siebte Achtelfinale der Weltmeisterschaft ausgetragen. Der wahrscheinlich Erstplatzierte der Gruppe E wird auf den wahrscheinlich Zweitplatzierten der Gruppe F treffen, das ist dann Deutschland. Wenn alles gut geht.

Denn nach dem deprimierenden 0:1 gegen Mexiko im Auftaktspiel, zustande gekommen durch einen behäbigen Auftritt und taktische Fehlleistungen, erscheint nicht mal mehr sicher, dass die deutsche Mannschaft die Vorrunde übersteht. Die Schweden mögen in der Breite nicht das spielerische Niveau der Mexikaner erreichen und die Südkoreaner das Ziel haben, die Vorrunde anständig zu überstehen. Schafft es die deutsche Mannschaft jedoch nicht, die rätselhafte Lethargie abzuschütteln, die in der ersten Hälfte nahezu zwangsläufig zur Pausenführung der Mexikaner führte, könnte es sogar bedeuten, dass Löws Team schon nach der Vorrunde die Koffer packen muss – es wäre der epochale Absturz einer Mannschaft, die immer noch das goldene Emblem des amtierenden Weltmeisters auf dem Trikot trägt.  

Es besteht Grund zu Alarmismus

Philipp Köster: Kabinenpredigt

Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Gründer und Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde". Er sammelt Trikots und Stadionhefte, kennt den rumänischen Meister von 1984 und kann die Startelf von Borussia Dortmund im Relegationsspiel 1986 gegen Fortuna Köln auswendig aufsagen: Eike Immel, Frank Pagelsdorf, Bernd Storck, ... Außerdem ist er Autor zahlreicher Fußballbücher, unter anderem über die Geschichte der Fußball-Bundesliga, und wurde 2010 als "Sportjournalist des Jahres" ausgezeichnet. Vor allem ist er Anhänger der ruhmreichen Arminia aus Bielefeld.

Die Gefahr, tatsächlich erstmals seit 1938 schon in der Vorrunde auszuscheiden, wird im deutschen Lager womöglich gesehen, angesprochen wurde sie gestern jedoch allenfalls in vernuschelten Nebensätzen. Im Bestreben, bloß keine Panik aufkommen zu lassen, wirkte die Truppe und ihr Trainer fast so lethargisch wie auf dem Spielfeld. Löws beinahe gelangweilt vorgetragene Binse, wonach man sich nun auf eine neue und ungewohnte Situation einstellen müsse, wirkte auf den Betrachter daheim eher merkwürdig. 

Denn es besteht ja durchaus Grund zu Alarmismus. Denn allzu viel von dem, was 2014 den Weg zum Titel ebnete, wurde gegen Mexiko schmerzlich vermisst. Die defensive Stabilität – die schnellen mexikanischen Konter stürzten die deutsche Defensive in Verlegenheiten, wie man sie sonst im Drittliga-Abstiegskampf sieht. Die Passsicherheit als Grundlage des Ballbesitzspiels – es war kaum zu zählen, wie häufig eroberte Bälle in Windeseile wieder verloren wurden. Vor allem aber der Korpsgeist, der sich 2014 ja im legendär motzigen Eistonnen-Interview von Per Mertesacker manifestierte – im Spiel gegen die Mexikaner suchte man mannschaftliche Geschlossenheit vergeblich. Es war stattdessen fast schon brüskierend, wie sehr der spät ins Team gerutschte Marvin Plattenhardt von seinen Kollegen übersehen wurde.

Jogi Löw steht vor schwierigen Entscheidungen

Und was nun? Löw steht vor einigen schwierigen Entscheidungen: Soll er das Mexiko-Spiel als konjunkturelle Delle interpretieren oder personell umplanen? Zu solch einem Schwenk würde gehören, den zuvor als unverzichtbar eingestuften Khedira durch lkay Gündogan zu ersetzen, der gegen pressende Mannschaften mit einer Körperlichkeit gegenhalten kann, die Khedira derzeit abgeht. Und findet sich endlich doch ein Startplatz für Marco Reus, der ja in der zweiten Hälfte endlich Schwung und Torgefahr in die zögerlichen Aktionen brachte und dessen Einwechslung im Moskauer Stadion wie vor den Fernsehern in Deutschland euphorisch begrüßt wurde? 

Viel wichtiger jedoch ist etwas anderes: Die Mannschaft muss sich mit voller Leidenschaft in dieses Turnier stürzen. Wer zwei Tage zuvor gesehen hatte, mit welchem Engagement und welchem Tempo sich Spanier und Portugiesen bekämpft hatten und wer nun sah, mit welcher Entschlossenheit die Mexikaner ihre Konter fuhren, der bekam die Ahnung, dass auch jenseits taktischer Pläne etwas im deutschen Team nicht stimmt. Es fehlt jener Spirit, der die Mannschaft durchs Turnier trug und der sie schon im Auftaktspiel gegen die überforderten Portugiesen ein machtvolles Zeichen setzen ließ.
 
Dieser Geist kann sich noch herausbilden. Das Turnier ist noch jung. Allzu viel Zeit hat die Mannschaft aber nicht mehr dafür. Sonst ist das Turnier auch schon zu Ende.

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