Jane Goodall ist die berühmteste Schimpansenforscherin der Welt. 25 Jahre lang untersuchte sie das Verhalten der Menschenaffen. Sie war die Erste, der das in der natürlichen Umgebung der Tiere gelang. Obwohl sie nie studiert hatte, durfte sie mit einer Ausnahmegenehmigung an der University of Cambridge promovieren. Seit 1986 engagiert sich die Verhaltensforscherin weltweit als Tierschutz- und Umweltaktivistin.

Frage: Frau Doktor Goodall, Sie haben in Ihrem Leben viele Dinge getan, die für eine junge Frau in der damaligen Zeit sehr ungewöhnlich waren. Im Alter von 23 Jahren wanderten Sie nach Afrika aus, und mit 26 begannen Sie, frei lebende Schimpansen in Tansania zu beobachten. Was trieb Sie an?

Jane Goodall: Ich wurde schon mit einer großen Tierliebe geboren. Meine Mutter suchte für mich immer nach Büchern über Tiere, denn sie dachte, dass ich dadurch schneller lesen lernen würde. So erfuhr ich von Doktor Dolittle und der Geschichte, in der er Zirkustiere zurück nach Afrika brachte. Das beeindruckte mich. Mit zehn Jahren verschlang ich das Buch Tarzan bei den Affen und verliebte mich unsterblich in diesen Helden des Dschungels. In mir entstand der innige Wunsch: Wenn ich erwachsen bin, werde ich nach Afrika gehen. Ich werde mit wilden Tieren leben und Bücher über sie schreiben.

Frage: Und genau das haben Sie getan.

Goodall: Richtig, das tat ich. Ich hatte nie den Traum, Wissenschaftlerin zu werden, denn damals wurden Mädchen keine Forscher. Man heiratete und bekam Kinder. Zuvor konnte man eventuell eine Ausbildung zur Sekretärin oder Krankenschwester machen. Es war nicht vergleichbar mit den Möglichkeiten, die Frauen heute haben.

Frage: Umso mutiger von Ihnen, allein nach Afrika zu gehen.

Goodall: Es war nicht mutig, es war mein Traum.

Frage: Bevor Sie Ihre Feldforschung begannen, wusste man nahezu nichts über das Leben der Menschenaffen. Sie beobachteten viele Verhaltensweisen zum ersten Mal. Wie haben Sie das Vertrauen der Schimpansen gewonnen, und wie lange hat das gedauert?

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in "Gehirn&Geist" 4/2018 © Gehirn&Geist

Goodall: Ich gewann ihr Vertrauen durch sehr viel Geduld. Das dauerte Wochen und war oft frustrierend. Denn am Anfang rannten die Schimpansen alle weg, sobald sie mich erblickten. Ich trug jeden Tag dieselbe Kleidung, ein helles Hemd und eine kurze Hose. Ich versuchte, stets Abstand zu halten und ihnen nicht zu schnell zu nahe zu kommen. Und ich gab vor, mich nicht im Geringsten für sie zu interessieren. Zum Beispiel grub ich kleine Löcher in die Erde oder tat so, als ob ich Blätter essen würde. Ich dachte mir, sie werden früher oder später neugierig und erkennen, dass ich nicht gefährlich bin. Und irgendwann verlor einer der Affen, den ich David Greybeard nannte, wirklich seine Angst vor mir. Ich glaube, er hat den anderen sehr dabei geholfen, zu merken, dass ich keine Bedrohung darstellte. Es gab jedoch eine sehr schwierige Zeit, als die Angst der Tiere mir gegenüber in Aggression umschlug. Sie behandelten mich wie einen Feind und versuchten, mich zu vertreiben.

Frage: Was haben die Affen gemacht?

Goodall: Sie schrien mich an. Sie warfen Äste und Zweige in meine Richtung. Einmal hat mich einer von ihnen tatsächlich angegriffen und am Kopf getroffen. Ich habe dann versucht, so zu tun, als würde ich essen und als würde mich das alles gar nicht interessieren.

Frage: Hatten Sie in solchen Momenten Angst?

Goodall: Währenddessen dachte ich immer nur: Oh, ihr dummen Geschöpfe. Warum verhaltet ihr euch so? Ich tue euch doch gar nichts. Aber hinterher habe ich dann gezittert.

Frage: Weil Ihnen erst im Nachhinein klar wurde, dass Schimpansen sehr stark sind, viel stärker als Sie selbst?

Goodall: Ja, achtmal stärker als ich. So etwas realisiert man immer erst später.

Frage: Hat die Aggressivität der Tiere Sie überrascht?

Goodall: Die Erkenntnis, dass Schimpansen – ebenso wie Menschen – zu Gewalt und Brutalität neigen, war für mich die schockierendste von allen. Sie sind dazu fähig, Krieg zu führen. Wir beobachteten extreme Gewalt, Verstümmelungen, Morde und Kannibalismus.

1965 tritt Jane Goodall in der Sendung "Miss Goodall and the Wild Chimpanzees" des TV-Senders CBS auf. Hier ist sie im Gombe-Stream-Nationalpark in Tansania zu sehen. © CBS via Getty Images/​Getty Images

Frage: Welche Entdeckung beeindruckte Sie am meisten?

Goodall: Die Beobachtung, die alles veränderte, war der Werkzeuggebrauch. Denn damals dachte man, nur Menschen seien dazu in der Lage. Und dann erblickte ich eines Tages David Greybeard, wie er mit einem Grashalm Termiten aus einem Erdloch angelte. Kurze Zeit später sah ich sogar, dass er einen Zweig von einem Baum abknickte, sorgfältig die Blätter entfernte und damit auf Termitenfang ging. Er stellte eigenes Werkzeug her.

Frage: Das war eine Sensation.

Goodall: Diese Entdeckung ermöglichte es Louis Leakey, den Filmemacher und Fotografen Hugo van Lawick von National Geographic nach Gombe zu holen. Hugo dokumentierte von da an, was ich beobachtete. Das lieferte all denen den Beweis, die an meinen Befunden zweifelten. Denn viele glaubten mir damals nicht, weil ich jung war und nie ein College besucht hatte.

Frage: Erstaunte Sie das Verhalten von David Greybeard?

Goodall: Als ich sah, dass er mit Grashalmen nach Termiten angelte, war ich aufgeregt, denn ich wusste, was für einen Effekt die Entdeckung haben würde. Überrascht hat sie mich aber nicht. Denn ich hatte das Buch Intelligenzprüfungen an Menschenaffen des deutschen Psychologen Wolfgang Köhler gelesen. Darin schildert der Autor bei in Gefangenschaft lebenden Schimpansen verschiedene clevere Verhaltensweisen wie den Gebrauch von Werkzeug. Er beschreibt auch detailliert, welche unterschiedlichen Persönlichkeiten die Tiere besaßen. Das Buch war für mich eine Art Bibel. Andere Forscher zweifelten Köhlers Erkenntnisse jedoch an und glaubten, dass die Tiere solche schlauen Dinge nur taten, weil sie sich diese von Menschen abgeschaut hatten oder gar durch den Kontakt mit Menschen klüger geworden waren. Das war natürlich albern, aber die gängige Meinung zu jener Zeit.