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Langsam reckt eine Frau ihren dünnen Arm durch das verschlossene Gittertor. Sie schweigt. Wenige Schritte weiter versucht ein Mann seinen Kopf zwischen die Gitterstäbe eines Fensters zu schieben. Er schreit – heiser und lang gezogen. Auf zwei ummauerten Innenhöfen, die etwa acht mal acht Meter messen, liegen dürre Menschen auf dem Steinboden in der Vormittagssonne. Auf der einen Seite Männer, auf der anderen Frauen. Einige erheben sich, wollen den Besucher berühren, mit ihm sprechen.

Alles hier erinnert an ein stark heruntergekommenes Gefängnis: die Gitter, die Metallbetten, ein nach Exkrementen stinkender Raum. Dabei handelt es sich bei diesem Pavillonbau um ein Provinzkrankenhaus – das die einzige psychiatrische Einrichtung in der westkenianischen Großstadt Nakuru hat.

"Viele Familien laden ihre Angehörigen hier ab und kommen dann nie wieder", erklärt die Schwester, die herumführt und nicht beim Namen genannt werden möchte. Sie deutet auf Frau, die apathisch am Boden liegt: "Sie kommt aus Ruanda und ist schon seit zehn Jahren hier." In der Psychiatrie behandle man vor allem Psychosen und schwere Depressionen, mit Medikamenten und manchmal mit Elektrokrampftherapie. Außer der Schwester ist bloß ein bulliger Sicherheitsmann anwesend. Die Ärztin habe gerade keine Zeit. Es gebe nur eine Ärztin für die mehr als 40 Patientinnen und Patienten, die dauerhaft hier sind, erklärt die Schwester. Und die müsse täglich auch noch 200 ambulante Patienten betreuen.

Die staatliche Einrichtung ist ein Extrem, aber kein Einzelfall. Ein Grund: Man hat sich mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation WHO und anderer Geldgeber zwar lange darum bemüht, Krankheiten zu kontrollieren, die tödlich sind. Erst Infektionen wie Malaria, Tuberkulose und HIV beispielsweise, später dann chronisch nichtübertragbare Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Krebs. Die kranke Psyche aber blieb viel zu lange unbeachtet. Die Folgen davon sieht man heute: Schätzungen zufolge gibt es landesweit 100 Psychiater. Im Schnitt muss sich also ein Psychiater um eine halbe Million Menschen kümmern. Damit ist die Versorgungslücke so groß wie wohl in kaum einem anderen Bereich der klinischen Medizin.

Eine Reise durch Westkenia, von der Großstadt Nakuru über Eldoret und Turbo bis tief aufs Land, zeigt: Vielerorts fehlt es an Wissen, an finanziellen Mitteln, an ausgebildeten Fachkräften und am Glauben in die psychiatrische Betreuung. Obwohl psychische Krankheiten weltweit eines der schwerwiegendsten Gesundheitsprobleme sind, haben in Kenia wohl Millionen Menschen mit Schizophrenie, Epilepsie oder Depressionen keinen Zugang zu einer guten Versorgung. Die Reise zeigt aber auch: Es ändert sich.