Politiker danken dem Personal in Krankenhäusern, der bayerische Ministerpräsident verspricht einen Pflegebonus und viele Bürger applaudieren abends für systemrelevante Berufe von ihren Balkonen. Doch manche Pflegekräfte haben in den vergangenen Tagen auch das Gegenteil von Wertschätzung erlebt. Medizinische Fachkräfte in Frankreich berichten, dass Nachbarn ihnen drohen und sie zum Umzug auffordern. In Köln wurde einem Altenpfleger der Zutritt zu einem Supermarkt untersagt. Auch die Intensivpflegerin Melanie Becker* fühlt sich ausgegrenzt, seitdem sie italienische Corona-Patienten pflegt.

Überall lese ich, dass die Menschen dankbar für die Arbeit der Pflegekräfte und Ärztinnen seien, auf Balkonen applaudieren und Sonderzahlungen für systemrelevante Berufe fordern. Doch von dieser Anerkennung merke ich nichts. Im Gegenteil. Ich bin seit rund 15 Jahren Intensivpflegerin in einem großen Krankenhaus in Deutschland, das sich hauptsächlich um Unfallopfer kümmert. Eigentlich sollten wir in der Krise keine Corona-Patienten behandeln, die anderen Kliniken in meiner Region sollten die Fälle übernehmen. Weil immer mehr Patienten in unserem Krankenhaus Symptome zeigten, richtete unsere Klinikleitung dann aber doch eine Corona-Station ein. Dort arbeite ich seit zwei Wochen. Wir haben auch Patienten aus Italien aufgenommen und beatmen sie.

Ich finde gut, dass wir solidarisch mit unseren europäischen Nachbarn sind, aber meine Arbeitsbelastung ist enorm gestiegen. Ich habe kaum noch Zeit für meine Patienten, bin ständig gehetzt und mit den Gedanken bei Corona. Und es geht auch viel Zeit dafür drauf, dass wir nun permanent unsere Schutzkleidung wechseln müssen.

Viele, die in Krankenhäusern arbeiten, sprechen gerade von einer Ruhe vor dem Sturm: Die regulären Operationen wurden dort abgesagt, die große Welle an Corona-Patienten wird noch erwartet. Bei uns gab es diese Ruhe nicht. Ich arbeite heute mehr als vor der Krise, es werden bei uns so gut wie keine Operationen abgesagt oder verschoben. Und ich rede nicht von akuten Unfällen oder Notoperationen. Ich habe in den vergangenen Tagen beispielsweise auch Patienten gepflegt, die Hüftprothesen erhalten haben. 

Das war auch kein Problem, bis die Zahl der Corona-Patienten stieg und wir die italienischen Erkrankten aufgenommen haben. Jetzt ist meine Arbeitsbelastung enorm, weil ich neben den Regelpatienten auch die Covid-19-Fälle betreue. Ich arbeite auch mehr, weil unser Schichtsystem wegen Corona umgestellt wurde, damit wir länger am Stück im Dienst sein können. Ich will kein Drama daraus machen. An und für sich arbeite ich gern und ich habe Verständnis für die Ausnahmesituation. 

Was mir allerdings wirklich Sorgen bereitet, ist der Mangel an Schutzkleidung. Letztens habe ich ausgerechnet, wie lange das vorhandene Material ausreichen wird: rund eine Woche lang. Wenn wir bis dahin keine neuen Masken, Handschuhe und Schutzanzüge bekommen, haben wir ein Problem. Schon jetzt wird das Personal hier nicht auf das Virus getestet, solange es keine Symptome hat. Und das, obwohl wir täglich mit hoch infektiösen Patienten zu tun haben. Stattdessen sollen wir ein Fieberprotokoll führen und uns erst bei hoher Temperatur testen lassen. Die Ansage der Krankenhausleitung ist, dass wir auch nach einem positiven Test Corona-Patienten weiter pflegen sollen, wenn wir keine starken Symptome spüren.

Rausgeworfen vom Sicherheitsdienst

Doch viel mehr belastet mich die Situation außerhalb des Krankenhauses. Gestern wollte ich nach der Arbeit in den einzigen großen Supermarkt in der Nähe meines Heimatortes gehen. Doch nach nur wenigen Minuten da drin beschwerte sich eine Kundin. Sie erkannte mich und wusste, dass ich in dem großen Klinikum angestellt bin. Mein Dorf hat nicht einmal 400 Einwohner, so etwas spricht sich auf dem Land eben schnell rum. 

Die Bekannte sagte dem Sicherheitsdienst, dass ich in dem Krankenhaus arbeite, in dem die italienischen Patienten aufgenommen wurden. Ich war sprachlos. Minuten später umzingelte mich die Security und begleitete mich aus dem Laden heraus. Ich wurde tatsächlich aus dem Supermarkt geworfen. Ich war entsetzt, konnte es nicht glauben. Wie soll ich denn sonst meine Familie versorgen? Diesen Supermarkt werde ich nicht mehr betreten, ich fahre jetzt lieber weiter, damit mir das nicht noch einmal passiert. Auch wenn ich mich auf jeder Fahrt in den anderen Markt darüber ärgere.

Auf der Straße grüßt mich kaum noch jemand, wenn ich durch unser Dorf spaziere. Viele halten noch mehr Abstand zu mir als die empfohlenen 1,5 Meter. Ein Mann aus dem Dorf rief letztens sogar seinen Hund zu sich, damit er nicht mit meinem spielt wie sonst immer. Nachbarn grüßen nicht mehr oder wechseln sogar die Straßenseite. Es ist absurd und macht mich traurig. Ähnliche Erfahrungen machen meine Kolleginnen und Kollegen. Wir tauschen uns auf der Arbeit aus und stellen fest, dass es uns allen so geht. Viele Menschen reagieren nun distanziert auf uns. Wie absurd, denn es kann sich doch niemand bei einem freundlichen Hallo anstecken. Viele scheinen einfach Angst zu haben und sich über mögliche Übertragungswege nicht gut auszukennen.

Ich hoffe sehr, dass sich das nach Corona wieder beruhigt und die Menschen sich bewusst werden, wie ungerecht sie sich uns gegenüber verhalten haben. Immerhin würde ich sie und ihre Verwandten pflegen, wenn sie in das Krankenhaus eingeliefert würden. Egal, wie sich das in den kommenden Tagen entwickelt, für mich ist klar: Auf die ganzen Danksagungen in den Medien kann ich schon jetzt verzichten, wenn ich in meinem Ort wie eine Aussätzige behandelt werde.

*Der Name ist der Redaktion bekannt, wurde aber geändert, weil die Protagonistin berufliche Nachteile befürchtet.

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