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Hier finden Sie unseren aktualisierten Aerosol-Rechner zur Verbreitung der Delta-Variante in Innenräumen.

Haben Sie sich auch schon gefragt, ob Sie sich an Heiligabend mit Familie und Freunden um den Tannenbaum setzen können? Nehmen wir mal an, es wäre so: Sie feiern mit ihren Liebsten zu acht Weihnachten, sitzen vier Stunden gemütlich in Ihrem 30 Quadratmeter großen Wohnzimmer zusammen, essen Plätzchen, packen Geschenke aus, unterhalten sich. Doch in diesem Jahr stellt sich nach den Feiertagen heraus, dass eine Person das Coronavirus hatte, ohne es zu wissen. Wie viele weitere Personen wird sie womöglich angesteckt haben?

Es ist unmöglich, vorherzusagen, ob eine infizierte Person jemand anderen ansteckt oder nicht. Doch sicher ist, dass sich Menschen besonders häufig in Innenräumen über Aerosole in der Luft mit Sars-CoV-2 infizieren (Wellcome Open Research: Leclerc et al., 2020). Und das Risiko dafür lässt sich abschätzen. Mit unserem Rechner können Sie auf unserer Seite einen beliebigen Raum gestalten. Entwickelt hat das Modell dahinter eine Forschergruppe des Max-Planck-Instituts für Chemie. ZEIT ONLINE hat es für Sie sichtbar gemacht: Bestimmen Sie, wie viele Personen unter welchen Bedingungen sich wie lange in ihrem gewählten Raum aufhalten. Immer unter der Annahme, dass eine dieser Personen infektiös ist und Mindestabstände eingehalten werden.

Menschen sprechen, manchmal husten sie oder singen – atmen müssen sie immer. Bei alledem stoßen wir auch winzige Tröpfchen aus, die Aerosole. Und stammen die unsichtbaren Schwebeteilchen von einer infizierten Person, können sie eben auch infektiöse Viruspartikel enthalten.

Im Weihnachtsszenario würde sich so voraussichtlich eine Person anstecken — ein Durchschnittswert, denn es könnte auch sein, dass sich niemand weiteres infiziert oder sogar fünf Personen. Wie die Infektion dann verlaufen wird, ob mit leichten Symptomen oder als schwere Erkrankung, kann niemand vorher wissen. Sich aber bewusst zu machen, wie schnell sich Viren über Aerosole ausbreiten, kann helfen, sich selbst und andere zu schützen. Natürlich nicht nur an Weihnachten.

Um kaum einen Raum wurde in den vergangenen Monaten so sehr gestritten wie um das Klassenzimmer. Sollen Schülerinnen und Schüler zusammen zum Unterricht oder zu Hause bleiben? Was ist mit halben Klassen? Mit Maske, Lüften und Quarantäne? Fast zwölf Millionen Kinder und Jugendliche und etwa eine Million Lehrerinnen und Lehrer versuchen in Deutschland, den Unterricht aufrecht zu erhalten. Schulen sollen weiterhin offenbleiben, sagen viele Länderchefs und die Kanzlerin. Das Infektionsgeschehen dort diskutieren Wissenschaftlerinnen bis heute. Gewissheiten gibt es nicht. Allerdings scheinen jüngere Kinder, die in die Kita oder Grundschule gehen, das Virus seltener zu übertragen. Jugendliche, die 15 oder 16 sind, gleichen eher jungen Erwachsenen und übertragen das Virus wohl ähnlich häufig.

Als Raum ist das Klassenzimmer nicht ideal: Hier werden oft Abstände unterschritten, Tröpfchen ausgetauscht und Partikel eingeatmet. Und wenn Jakob und Lara in der letzten Reihe die Köpfe zusammenstecken und tuscheln oder in der Pause Händchen halten, dann kann man es sich sparen, Aerosole zu zählen. Im Unterricht spricht bestenfalls vor allem die Klassenlehrerin: Trägt sie allerdings das Virus in sich, dann erhöht sich die Infektionsgefahr signifikant, denn je mehr jemand spricht – und je lauter – desto höher die Zahl der Schwebeteilchen im Raum.

Solange der Schulunterricht normal stattfindet, werden sich also im Klassenraum Schülerinnen und Schüler anstecken. Unser Modell zeigt nur einen einzigen Schultag, tatsächlich aber findet der Unterricht ja jeden Tag statt. Doch das Risiko lässt sich zumindest senken: "Wir sehen, dass man das Infektionsrisiko durch regelmäßiges Stoßlüften etwa um die Hälfte, durch zusätzliches Maskentragen sogar um einen Faktor fünf bis zehn senken kann", sagt der Atmosphärenforscher und Studienleiter Jos Lelieveld.

Immer wieder passiert es, dass eine Einzelne viele andere gleichzeitig ansteckt. Ein solches Superspreading-Event ist besonders in der Musik gut dokumentiert. Zu Beginn der Pandemie erkrankten nach einem Konzert in Amsterdam 102 von 130 Choristen, ein 78-Jähriger starb, ebenso drei Partner von Chormitgliedern. Bei einer Probe des Berliner Domchors am 9. März erkrankten mehr als 50 Sängerinnen und Sänger. Und in den USA steckte ein infizierter Sänger am 10. März 53 Menschen an. Drei mussten ins Krankenhaus, zwei von ihnen starben (Morbidity and Mortality Weekly Report: Hamner et al., 2020). Was macht Singen so gefährlich?

Entscheidend ist, dass die Zahl der Aerosole mit der Lautstärke und der Intensität, mit der die eigene Stimme gebraucht wird, ansteigt. Spricht oder singt jemand laut, schreit er oder sie vielleicht sogar, dann füllt sich der Raum viel schneller mit Schwebeteilchen (Nature: Asadi et al., 2019). Normalerweise ist das kein Problem. Ist die Person aber infektiös, dann trudeln Viren mit der Luft durch den Raum, die andere einatmen können. Mit Maske singt es sich schlecht. Lüften hilft, aber ein gewisses Risiko bleibt.

Schon klar, beim Italiener um die Ecke schmeckt die Pizza am besten. Niemand aber weiß, ob der Rotweinatem des Tischnachbarn rüberwehen wird. Ein ausgelassener Abend mit Freundinnen, ein oder zwei Gläser Wein, gute Gesellschaft und gute Gespräche. Leider sind es genau diese Dinge – essen ohne Maske, reden, gemeinsam lachen und sich nahe sein – die eine Infektion wahrscheinlicher machen. Amerikanische Wissenschaftler und Forscherinnen haben anhand von Handydaten untersucht, an welchen Orten sich besonders viele Menschen anstecken. Ganz oben auf ihrer Liste stehen Restaurants. 

Mehr Gäste im Restaurant bedeuten oft auch, dass lauter gesprochen wird. Zudem treffen Menschen zusammen, die sich in ihrem Alltag sonst nicht begegnen würden. Und je mehr es werden, desto mehr können sich auch infizieren. Mittlerweile ist klar: Das Coronavirus verbreitet sich auch deshalb so rasant, weil sich in einigen Fällen sehr viele Menschen auf einmal anstecken. Ähnlich wie im Restaurant ist es auch auf Partys wahrscheinlicher, dass wir uns nicht an alle Regeln halten: Ist Alkohol im Spiel, feiern Gäste ausgelassen, tanzen miteinander und sprechen laut während im Hintergrund Musik läuft.

In unserem Modell macht es für den Einzelnen keinen Unterschied, wie viele andere mit ihm im Restaurant sitzen. Denn die Grundannahme des Rechners ist, dass genau eine Person ansteckend ist. Was unser Modell nicht abbildet: Wenn mehr Leute im Restaurant sitzen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass unter ihnen eine infizierte Person ist. Und zwar deutlicher als man denkt. Ende November wurde deutschlandweit bei 155 von 100.000 Menschen eine Infektion festgestellt. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einer zufälligen Gruppe mit fünf Menschen einer davon ist, liegt bei weniger als einem Prozent. Unter 30 Personen jedoch steigt sie auf fast fünf Prozent, bei 70 Personen sind es sogar mehr als zehn Prozent. Ein Raum voller Unbekannter ist in diesen Zeiten deswegen so riskant.

Wenn Sie in einem Büro arbeiten: Gehen Sie noch hin? Fast 15 Millionen Deutsche arbeiten normalerweise von dort aus. Für einige aber ist das Homeoffice keine Option, anderen verbietet es die Chefin sogar. Wie hoch die Gefahr ist, sich hier anzustecken, hängt stark vom Arbeitsplatz ab: Sitzen die Menschen dicht an dicht im Großraum oder im gut durchlüfteten Zweierbüro? Mit Raumtrennern oder ohne? Kommt der Vorgesetzte zur kurzen Besprechung schnell mal in das kleine Einzelbüro – oder lässt sich das Gespräch auch bei einem Spaziergang um den Block führen? All das entscheidet mit über das Infektionsrisiko.

Da Aerosole über die Atemluft ausströmen und sich im Raum verteilen, reicht es im Grunde nicht aus, die Maske auf dem Gang zu tragen und am Platz abzusetzen. Nach jetzigem Stand der Wissenschaft sollte man eigentlich am besten immer Maske tragen, wenn man sich mit Menschen in einem Raum aufhält, die nicht zum eigenen Haushalt gehören – erst recht, wenn man länger als ein paar Minuten zusammenkommt.

Ein Spielenachmittag mit den Kindern von nebenan, Kaffee und Kuchen mit den Schwiegereltern oder ein Fondue-Abend mit den engsten Freunden – in jedem anderen Jahr würden viele Menschen das in den kommenden Winterwochen tun. Wohnen die Liebsten aber nicht im selben Haushalt, dann sollte das bedeuten: Das gemeinsame Fondue muss leider ausfallen. Das wiederholt auch die Bundeskanzlerin: Die Kontakte, ob draußen oder drinnen, ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, müssen begrenzt werden.

Und besonders zu Weihnachten sollte jede und jeder genau überlegen: Wie klein kann der Kreis sein, mit dem man feiert? Wie lange sitzen wir zusammen und wie eng, wie gut lässt sich lüften? Und vielleicht lohnt es sich, einen Moment darüber nachzudenken, ob ein ausgiebiger Spaziergang mit der Familie nicht eine Alternative wäre.