Seit meine Wahlbenachrichtigung im Briefkasten lag, wird mir mein Dilemma tagtäglich bewusster: Am Sonntag werde ich in der Wahlkabine stehen und mein Kreuz hinter eine Partei setzen. Wem ich meine Stimme geben soll? Ich weiß es nicht.

Nichtwählen ist keine Option. Ich werde eine Partei wählen, die für Demokratie steht, damit scheidet die AfD aus. Die AfD ist auch einer der Gründe, aus denen ich überhaupt wählen werde. Ich will mit meiner Stimme eine starke AfD verhindern, im besten Fall vielleicht sogar mit meiner Stimme dafür sorgen, dass diese rechtspopulistischen Spinner gar nicht in den Bundestag kommen. Jeder Nichtwähler stärkt aus meiner Sicht diesen menschenverachtenden Verein. Der zweite Grund ist meine Tochter. Ich entscheide auch über ihre Zukunft. Gerade das macht es für mich so schwer. Ich traue derzeit keiner der zur Wahl stehenden Parteien zu, meine Zukunft und die unserer Kinder zu gestalten.

Konzeptlosigkeit der Parteien

Ich bin 35 Jahre alt, lebe in der Nähe von Köln und bin gerade das erste Mal Vater geworden. Meine Frau und ich gehören zu den sogenannten Besserverdienenden. Es geht uns gut. Die Chancen, dass es so bleibt, sind nicht schlecht. Und trotzdem gibt es diese Sorge um die Zukunft. Was wird mit meiner Rente sein? Wie soll ich Altersvorsorge sinnvoll angehen, wenn ich mir kein Eigentum leisten kann oder möchte? Wird sich der politische Diskurs weiter radikalisieren? Es ist die Konzeptlosigkeit der Parteien, die für unsere Demokratie einstehen, die meine Sorgen nährt.

Ich möchte mir irgendwann einmal ein Haus als Alterssicherung kaufen, das ich guten Gewissens abzahlen kann. Ich hätte gerne einen zuverlässigen und schnellen öffentlichen Nahverkehr und einen kürzeren Arbeitsweg. Ich wüsste gern schon jetzt, wie meine Rente aussieht und denke, wir brauchen ein gerechtes Bildungssystem von der Kita bis zur Uni. Schön wäre es auch, wenn man auf einen Termin beim Facharzt nicht ein halbes Jahr warten müsste. Eigentlich bin ich nicht politikverdrossen. Seit ich 16 Jahre alt bin, lese ich DIE ZEIT, schaue jeden Abend die Tagesschau und diskutiere für mein Leben gern über Politik.

Doch schon zur letzten Bundestagswahl 2013 habe ich mich mehr oder weniger hingequält. Von einer Wahl aus Überzeugung war ich weit entfernt. Bei der Europawahl 2014 habe ich sogar Die Partei gewählt. Einer Satirepartei meine Stimme zu geben, schien mir dem Angebot entsprechend angemessen.