Nach der Wahl in Hamburg haben die Bundesparteien damit begonnen, aus dem Ergebnis ihre Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Die SPD schöpft als klarer Wahlsieger neue Hoffnung, die CDU sieht sich vor drängenden Entscheidungen, die Grünen als Stabilitätsanker. Die FDP will ihren Mitte-Kurs schärfen, die Linke setzt auf die Großstädte.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) warnte seine Partei davor, sich inhaltlich zu sehr den Grünen oder der Linkspartei anzunähern. "Die SPD muss nicht grüner werden als die Grünen und auch nicht linker als die Linken", sagte Weil der Welt. Stattdessen müsse seine Partei "in wichtigen Politikbereichen überzeugende Perspektiven aufzeigen und glaubwürdig sein".

Der Klimaschutz zähle "ganz gewiss" dazu, ergänzte Weil. "Wir Sozialdemokraten haben auf dieses Thema einen ganz besonderen Blick. Wir wollen Arbeit und Umwelt miteinander verbinden. Das ist der SPD in Hamburg offensichtlich gut gelungen." Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte im Wahlkampf die Wirtschaftsfreundlichkeit seiner Partei betont. Weil sieht dies auch als Vorbild für die Bundespartei: Für die SPD als eine "Partei der Arbeit steht es zwangsläufig im Vordergrund, dass es ausreichend gute Arbeitsplätze für die Menschen gibt. Deshalb sind wir Sozialdemokraten gut beraten, uns um vernünftige Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu kümmern".

Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nannte die Hamburger SPD ein gutes Vorbild für die Bundespartei. Man habe in Hamburg gesehen, dass sich die SPD dort "erfolgreich um die Stadt gekümmert" habe, sagte er dem rbb Inforadio: "Die waren immer zuverlässig. Die hatten eine Idee, wo es hingehen soll. Es war eine Geschlossenheit, die in der Hamburger SPD da war." Jeder in der Stadt habe gewusst, für welche Themen die SPD in Hamburg steht. Die Bundespolitik könne daraus Lehren ziehen: "Also eine klare Führung, eine Geschlossenheit, eine Erkennbarkeit und eine Klarheit in den Themen. Wenn ich  jetzt daran denke, dass ich die Bundestagswahl vorbereite, als Generalsekretär, sind das gerne die Dinge, die ich für die Bundespartei übernehmen möchte."

Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, gab sich überzeugt, dass die SPD mit einer Politik wie in Hamburg auch anderswo wieder erfolgreich sein kann. "Das ist ein großartiger Erfolg für Peter Tschentscher und die Hamburger SPD. Er zeigt: Gute und verlässliche Regierungsarbeit zahlt sich aus", sagte sie der Rheinischen Post. Die SPD habe in Hamburg gleichermaßen auf wirtschaftliche Stärke, soziale Gerechtigkeit und ökologische Verantwortung gesetzt und mit Peter Tschentscher einen überzeugenden Spitzenkandidaten gehabt. "Das ist der Weg, mit dem die SPD erfolgreich sein kann", sagte Schwesig.

"Es geht am Ende auch darum: Wofür steht die CDU?"

Führende Christdemokraten drängen nach den Verlusten bei der Hamburger Wahl derweil auf eine schnelle Klärung des Kurses ihrer Partei und einen Fahrplan für die Kanzlerkandidatur. "Das Ergebnis muss uns alle ein Stück wachrütteln, dass es gerade um viel geht", sagte einer der potenziellen Anwärter, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Er zählte auf: "Das ist Hamburg, das ist Thüringen, das sind die Umfragewerte, das ist die Lage der Bundespartei."

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther mahnte im ZDF, die Bundes-CDU müsse jetzt so schnell wie möglich die offenen Fragen klären. Dabei nannte er die Führungsfrage, aber auch den Kurs für Thüringen, wo das Verhältnis zur Linkspartei ungeklärt ist. Ähnlich äußerte sich der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans: Die CDU habe vor allem nach der Regierungskrise in Thüringen "ein aktuelles Bild der Führungslosigkeit" abgegeben, beklagte er in der ARD. Es sei der Eindruck entstanden, dass der CDU der Kompass fehle. Es sei deshalb an der Zeit, "hier und jetzt auch schnelle Entscheidungen zu treffen, in Thüringen, aber auch im Bund Klarheit zu schaffen".

Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Silvia Breher räumte eine Mitschuld der Bundesspitze am schlechten Abschneiden ihrer Partei in Hamburg ein. Ein Anteil der Bundespartei sei "definitiv vorhanden", sagte sie im Deutschlandfunk. Die Hamburger CDU-Wahlkämpfer hätten es "unfassbar schwer" gehabt "im Hinblick auf Thüringen und im Hinblick auf die Situation in Berlin". Zur Lage der Partei insgesamt sagte Breher, es sei klar, "dass wir uns jetzt neu aufstellen müssen". Es gehe dabei nicht nur um Namen und Personen, sagte sie mit Blick auf die Suche nach einem neuen Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten. "Es geht am Ende auch darum: Wofür steht die CDU?" Nach den Vorgängen in Thüringen sei es "völlig klar, dass die Menschen sagen: Wo steht Ihr denn?"

"Anspruch, Politik für die gesamte Gesellschaft zu machen"

Die Grünen sehen sich nach ihrem Wahlerfolg in Hamburg auch als Stabilitätsanker für die Gesellschaft. "Die Grünen sind in diesen Zeiten für viele Menschen der Anker: Wir geben Mut, Halt und Zukunft", sagte Grünenfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt der Rheinischen Post. "Das haben wir in Hamburg gezeigt und das zeigen wir bundesweit", betonte sie. Sie sehe es als Aufgabe der Grünen, "den Menschen wieder Orientierung zu bieten und so das Vertrauen in die Politik zu stärken". "Auch im Bund haben wir den Anspruch, Politik für die gesamte Gesellschaft zu machen", sagte Göring-Eckardt. "Der sensationelle Erfolg in Hamburg gibt Rückenwind für starken Klimaschutz im ganzen Land."

FDP-Parteichef Christian Lindner will als Konsequenz aus dem schwachen Abschneiden bei der Hamburg-Wahl, aber vor allem nach den Vorgängen in Thüringen, den Mitte-Kurs seiner Partei schärfen. Auf dem Parteitag Mitte Mai werde ein "Update unseres Leitbildes" diskutiert, kündigte er nach einer Präsidiumssitzung in Berlin an. Dass sei so eigentlich nicht geplant gewesen, in der aktuellen Situation aber "umso dringlicher". Es gehe nicht darum, "grundlegend die Positionierung der FDP" zu verändern, erläuterte Lindner. Allerdings sollten "Justierungen" vorgenommen werden.

Lindner führte das "sehr unbefriedigende Abschneiden" seiner Partei in Hamburg zumindest teilweise auf die Ereignisse in Thüringen zurück. Ganz offensichtlich habe die Kemmerich-Wahl "zu einer großen Irritation" geführt. Der FDP-Chef betonte erneut, dass jegliche Kooperation mit der AfD für seine Partei ausgeschlossen sei. Die Parteispitze bedaure es sehr, dass nach den Ereignissen in Erfurt "bei vielen" der Eindruck entstanden sei, dass die FDP keine "klare Grenzziehung gegenüber der AfD" habe.

"Luft nach oben"

Die Linke sieht sich nach Hamburg auf dem Weg hin zu einer etablierten Großstadtpartei. Es sei in der Hansestadt gelungen, Menschen in sozialen Brennpunkten ebenso anzusprechen wie gebildete Schichten, sagte Parteichef Bernd Riexinger in Berlin. Er räumte zugleich ein, dass die Partei in den Großstädten noch "Luft nach oben" habe.

Mit dem Hamburger Wahlergebnis zeige sich, dass die Linke durchaus "nah an sozialen Nöten" sein und zugleich für "Weltoffenheit und Klimaschutz" eintreten könne, sagte auch Parteichefin Katja Kipping. Bei den Linken gibt es Befürchtungen, die Partei könnte sich zu sehr von ihrer angestammten Klientel im Osten entfernen, wenn sie sich strategisch verstärkt auf ein junges, großstädtisches Milieu ausrichtet. Nach der Hamburg-Wahl sehen sich Kipping und Riexinger aber in diesem Ansatz bestärkt.