Negative Emissionen :
Kohlendioxid-Sauger fürs Klima

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Räumt hinter den anderen auf: Die isländische Anlage von Climeworks und Carbonfix filtert jährlich 4000 Tonnen Kohlendioxid aus der Luft.
Große Filteranlagen können der Luft CO2 entziehen und es wieder unter die Erde bringen. Die entscheidende Frage lautet nur: Ist das überhaupt effizient? Forscher der Universität Freiburg haben wichtige Antworten gefunden.

Die Isländer sitzen auf einer Ressource, die am wertvollsten ist, wenn sie einfach da bleibt, wo sie ist, Hunderte Meter unter der Erde. Dann könnte das Basaltgestein Kohlendioxid binden, das einst aus dem Boden geholt, verbrannt wurde und in der Atmosphäre seine klimaschädliche Wirkung entfaltet hat. Das zumindest ist die Idee hinter „Orca“.

Orca ist eine Pilotanlage der Direct-Air-Capture-Technologie, kurz DAC, die im Klimaschutz zwar noch keine Rolle spielt, in zwanzig, dreißig Jahren aber zu einem wichtigen Baustein werden könnte. Denn auch wenn fossile Brennstoffe in Zukunft im Boden verbleiben, ist die Atmosphäre noch immer mit historischem Ballast aus der Zeit gefüllt, als das anders war. Zudem gibt es chemische Prozesse, die ohne CO2-Emissionen nur schwer vorstellbar sind. Stahl lässt sich dekarbonisieren, bei Zement wird es schon schwieriger. Deshalb taucht Technik, die Kohlendioxid aus der Luft filtert, in den meisten Klimapfaden an irgendeiner Stelle auf. Auch der jüngste IPCC-Bericht bringt sie als eine Art Auffangnetz oder Notfallplan ins Spiel.

DAC unterscheidet sich von den CCS-Techniken (Carbon Capture and Storage), die Unternehmen der Fossil- und Chemiewirtschaft schon lange einsetzen, meist, um Abgase direkt in ihrem Industriepark abzuscheiden. Wegen der hohen Konzentration in der Abluft ist das Verfahren dort recht effizient. Das zuvor freigesetzte Klimagas wird der Atmosphäre aber in der Regel nicht dauerhaft entzogen, sondern als Rohstoff genutzt. Nicht nur, aber auch, um, in Bohrlöcher injiziert, die Ölausbeute zu erhöhen.

Weltretter sind die Anlagen nicht

Orcas Ernte soll anders enden. Seit zwei Monaten läuft sie nun. Das verantwortliche Start-up Climeworks aus der Schweiz betreibt nahe Zürich schon seit vier Jahren eine ähnliche Anlage, bevor man die Ausmaße für Island mehr als vervierfacht hat. 4000 Tonnen CO2 soll Orca der Atmosphäre je Jahr entziehen. Das entspricht dem jährlichen CO2-Fußabdruck von 360 Deutschen. Ein Weltretter ist die Anlage, die größte ihrer Art weltweit, noch nicht.

Die isländische DAC-Anlage ist bis jetzt die größte ihrer Art weltweit. Und eine der effizientesten.
Die isländische DAC-Anlage ist bis jetzt die größte ihrer Art weltweit. Und eine der effizientesten.AFP

Sie filtert CO2 direkt aus der Luft, das Partnerunternehmen Carbfix pumpt es gemischt mit Wasser unter die Erde, wo es in Verbindung mit dem Basalt in etwa zwei Jahren mineralisiert. Aus CO2 wird harmloses Karbonatgestein. So lautet die Kurzversion. Die lange ist um einiges komplexer, aber entscheidend für die Frage, wie groß der Nutzen der DAC-Technik tatsächlich ist. Dass die Technik funktioniert, ist erwiesen. Wie effizient sie allerdings ist, wie teuer, wie effektiv darin, die Klimaziele zu erreichen – auf diese Fragen gibt es bisher kaum belastbare Antworten. Genauso wie auf die Frage, ob am Ende der Gleichung wirklich Negativemissionen stehen, also weniger CO2 in der Atmosphäre verbleibt, oder ob es nur um netto null geht. Das ist der Fall, wenn das abgeschiedene Kohlendioxid weiterverarbeitet wird und zum Beispiel als synthetischer Kraftstoff ein Teil des Kreislaufs bleibt.

Wie viel Energie braucht es, um eine Tonne CO2 zu speichern?

Mehr Klarheit bringt nun eine Studie der Universität Freiburg, die gerade in der Fachzeitschrift Nature Energy erschienen ist. Die Autoren vergleichen darin die zwei bisher in Pilotanlagen erprobten DAC-Techniken: Jene, auf die Climeworks setzt, und die des kanadischen Unternehmens Carbon Engineering. Erstere setzen auf ein Verfahren mit niedrigen Temperaturen, die anderen auf eines mit hohen. Die Wissenschaftler haben sich für beide den gesamten Lebenszyklus der Anlagen angeschaut und ihre ökologische Bilanz durchgerechnet, vom Bau der wichtigen Komponenten bis zur Verschrottung, die nach etwa 20 Jahren ansteht. Und sie haben die Zahlen in für die Umwelt relevante Kategorien überführt: Wie viel Wasser, Landfläche, Metalle oder Chemikalien brauchen sie? Wie viel Feinstaub setzen sie frei? Und vor allem: Wie viel Energie braucht es eigentlich, um der Atmosphäre auch nur eine Tonne CO2 zu entziehen, sie zu transportieren und in den Boden zu pressen?

Ventilatoren ziehen die Umgebungsluft in die Anlage hinein, wo das Kohlendioxid schließlich durch ein Sorptionsmittel abgeschieden wird.
Ventilatoren ziehen die Umgebungsluft in die Anlage hinein, wo das Kohlendioxid schließlich durch ein Sorptionsmittel abgeschieden wird.AFP

Beide Verfahren sind, so ein Ergebnis der Studie, in der Lage, mehr Kohlendioxid zu speichern, als sie dabei selbst emittieren. Nimmt man an, dass der Strom und die Wärme für den Prozess zudem aus emissionsarmen Quellen kommen, was perspektivisch drin sein sollte, ist es möglich, dass der Prozess nur etwa 0,15 Tonnen CO2 freisetzt, um eine Tonne CO2 unschädlich zu machen. Dieser Wert ist zumindest für eine der beiden Techniken realistisch, auch wenn er im aktuellen Energiemix noch bei 0,3 liegt. Trotzdem können diese „Netto-CO2-Extraktionen“ prinzipiell mit anderen Klimaschutzmaßnahmen mithalten, etwa wenn ein Elektroauto einen Benziner ersetzt oder eine Wärmepumpe eine Ölheizung. Die DAC-Anlage braucht in dieser Gleichung allerdings fünfmal so viel Material und Chemikalien. Auch das beschreibt die Studie. Die andere Technik, jene von Carbon Engineering, kämpft derweil mit dieser Zahl: 580 Kilogramm CO2 verursacht sie, um eine Tonne unter die Erde zu bringen.

Bis die Technik wirtschaftlich wird, dauert es noch

Der Vergleich beider Anlagen ist aufschlussreich. DAC ist offenbar nicht gleich DAC. Die Referenzanlage von ­Climeworks in Zürich schneidet insgesamt und in Hinblick auf die individuellen Kategorien besser ab als die Anlage von Carbon Engineering in Kanada. Sie absorbiert CO2 mit Hilfe von Kaliumhydroxid als wässriger Lösung. Um das Gas später in Reinform weiterverarbeiten zu können, braucht es aber Temperaturen von bis zu 900 Grad, die in der Pilotanlage ein Erdgasbrenner besorgt. Nur mit viel grünem Strom oder Hochtemperatur-Solarthermie ließe sich dieser Posten deutlich drücken, schreiben die Autoren.

Das Schweizer Unternehmen setzt hingegen auf ein Niedrigtemperatur-Verfahren, in Zürich wie in Island. Es läuft in zwei Schritten: Große Ventilatoren ziehen die Umgebungsluft zunächst in die Anlage und über ein sogenanntes Sorptionsmittel aus Aminverbindungen. Das alles passiert bei etwa 25 Grad Celsius. Hängen genug Moleküle im Filter, leitet eine Software den zweiten Schritt ein. Unter Vakuum regeneriert das Sorptionsmittel bei 100 Grad, das CO2 löst sich wieder und lässt sich in konzentrierter Form weiterverarbeiten. Der Bedarf an Wärme und Strom ist dabei vergleichsweise gering. In Island können die Betreiber ihre Energie direkt aus dem Geothermiekraftwerk von Hellisheidi beziehen, dass auf dem gleichen Grundstück steht. An anderen Standorten ist es denkbar, Abwärme zu nutzen.

Doch selbst wenn Direct Air Capture effizient funktioniert, es bleiben andere Hürden. Nicht die ganze Welt sitzt auf praktischem Basalt. Wie gut andere geologische Speicher funktionieren, müssen Untersuchungen oft erst noch zeigen. Und Fachleute schätzen, dass die Kosten für jede Tonne CO2 auf etwa 100 Dollar fallen müssen, damit die Technik wettbewerbsfähig wird. Davon ist man noch weit entfernt. Wer bei Climeworks beispielsweise seinen eigenen CO2-Ausstoß kompensieren möchte, indem das Gas in Island abgesaugt und unter die Erde verbannt wird, zahlt für eine Tonne derzeit 960 Euro.