Anzeige

Homosexualität Die Offenbarung: Ich habe in katholischen Kirchen gebeichtet, dass ich schwul bin

Ein junger Mann hält sich eine Bibel vor das Gesicht
Unser Autor kennt sich gut aus in der katholischen Kirche: Fünf Jahre war er Ministrant (Symbolbild)
© Ben White / Unsplash
Wie liberal ist Deutschland heute wirklich, wenn es um Homosexuelle geht? Um das zu beurteilen, muss man wissen, wie die Konservativsten ticken. Unser Autor hat in katholischen Kirchen gebeichtet, dass er schwul ist.
Protokolle: Philipp Hauner

Dieser Artikel erschien erstmals in Ausgabe 03/2014 und ist Teil unserer #BESTOFNEON-Reihe.

Thomas Hitzlsperger ist nicht nur deutscher Fußballmeister und 52-maliger deutscher Nationalspieler, sondern auch ein Rebell, ein Vorbild und ein Held. Im Januar hat sich Hitzlsperger als homosexuell geoutet. Seither kann er sich vor dem Lob, das über ihn hereinbricht, kaum mehr retten. "Respekt!" titelte die "Bild", die Bundesregierung gab eine fast schon hymnische Stellungnahme ab, und der britische Premierminister David Cameron sagte: "Ich habe immer bewundert, was Thomas Hitzlsperger auf dem Feld geleistet hat - aber heute bewundere ich ihn noch mehr." 

Die Hysterie, die um Hitzlsperger entstanden ist, zeigt aber auch: Es gilt nicht als normal, schwul zu sein - sonst würden Medien und Politiker nicht so viel und so aufgeregt darüber reden. Und so ungeschickt. Warum etwa versprach DFB-Präsident Wolfgang Niersbach "jede erdenkliche Unterstützung", als wäre Hitzlsperger schwer krank? Ist die Debatte um Hitzlsperger kein Zeichen für Fortschritt, sondern dafür, dass unsere Gesellschaft gar nicht so liberal, fortschrittlich und modern ist, wie sie sich gern sieht?

Vermutlich gibt es nur einen Ort, an dem ein Schwuler noch weniger willkommen ist als in einem ausverkauften Fußballstadion: in einer katholischen Kirche. Zwar hat Papst Franziskus gesagt: "Wenn jemand schwul ist und guten Glaubens den Herrn sucht - wer bin ich, über ihn zu urteilen?" Aber in der Bibel steht immer noch: "Du sollst nicht bei einem Manne liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel." Anfang 2014 sprachen sich zwei Diözesen gegen einen Lehrplanentwurf aus, der vorsieht, dass an baden-württembergischen Schulen das Thema "sexuelle Vielfalt" stärker behandelt wird. Und immer wieder findet sich irgendwo auf der Welt ein hoher katholischer Würdenträger, der Homosexualität als "heilbar" oder als "Sünde", bezeichnet. Wie denkt eigentlich die katholische Basis, das Bodenpersonal des Herrn, über Homosexualität?

Unser Autor Philipp Hauner wollte das genau wissen. Hauner ist schwul und hat im katholischen Kernland der Bundesrepublik, in Bayern, Beichtstühle aufgesucht und sich zum Männersex bekannt. Hauner hat direkt nach der Beichte die Gespräche protokolliert. Die Namen der Pfarrer nennen wir selbstverständlich nicht. Bei den Beichten, die auf dem Land oder in einer kleinen Stadt mit nur wenigen Kirchen stattfanden, belassen wir es bei ungefähren Ortsangaben, damit die Geistlichen nicht identifizierbar sind. 

"Es ist natürlich eine Sünde, jedes Mal"

Eine Kleinstadt im Osten Bayerns. Die Kirche ist schmucklos, sie wurde in den 1960er-Jahren gebaut. Der Beichtstuhl liegt versteckt in einem Winkel. Ich betrete ihn und sage dem Pfarrer, dass ich schwul bin. Der Pfarrer schweigt, dann räuspert er sich und sagt:

Ich würde Ihnen jetzt einfach mal raten, eine Phase der Klärung herbeizuführen für sich selber. Weil vielleicht ist es einfach nur eine Phase.

Das Begehren nach Männern fühle ich schon länger. Papst Franziskus hat sich ja positiv über Schwule geäußert. Gibt es nicht eine Möglichkeit, meine sexuelle Orientierung mit dem Leben als Christ in Einklang zu bringen?

So wie ich die Aussage des Papstes verstanden habe, und ich denke, so ist sie auch zu verstehen, geht es darum, dass die Frage des Umgangs angesprochen ist. Die Kirche und ihre Priester sollen einfach Menschen, die in einem sündhaften Zustand leben - und das ist ein Zustand, in dem Sexualität außerhalb der Ehe gelebt wird - nicht verurteilen oder aussondern.

Können Sie da ein wenig konkreter werden?

Er meint damit, man solle diesen Menschen gegenüber barmherzig sein, sie respektieren und als Menschen und Individuen annehmen. Das alles heißt aber nicht, dass diese konkrete Verhaltensweise oder Lebensführung gutgeheißen wird. Da muss man einfach einmal unterscheiden. Ich denke, der Papst hat das auch so gemeint. Sonst müsste er die Lehre ändern, und ich denke, das wird nicht passieren.

Soll ich dann versuchen, meine Triebhaftigkeit zu unterdrücken?

Unterdrücken hat ja immer den Nachteil, dass es dann zu einer Art Neurose mit auch wieder schädlichen Auswirkungen, mit schädlichen Verhaltensweisen kommt. Wenn ich etwas unterdrücke oder niedrig halte, kommt es vielleicht an anderer Stelle wieder hoch, auf eine ganz andere Art und Weise, und das ist ja auch nicht gut und richtig.

Was dann? 

Mein Rat ist: Gehen Sie ins Gebet und versuchen Sie, Gottes Wegweisung für Sie herauszuhören. So kann dann auch eine Abkehr stattfinden, weil Sie eventuell eine Einsicht aus dem Gebet heraus gewinnen. Und mit dieser Einsicht ein anderes Leben führen können, sodass Sie eben nicht wieder in dieses sündhafte Verhalten kommen.

Das hört sich sehr hart an.

Natürlich, ich verstehe das schon, das ist nicht einfach. Das Triebhafte, das Lustvolle in uns ist eben sehr mächtig. Das können wir nicht einfach abschalten oder auf den Knopf drücken und sagen, das wäre dann erledigt.

Aber beides geht nicht?

Nein, beides geht nicht, nein.

Also Christ zu sein und trotzdem ... 

(unterbricht) ... Ja sicher, natürlich sind Sie Christ, Sie hören nicht auf, Christ zu sein, Sie sind ja getauft. Aber Sie befinden sich damit in einer Situation, in der Sie ... 

... sündhaft sind?

Ja. Es ist natürlich eine Sünde, jedes Mal. Natürlich ist auch der Gedanke eine Sünde. Klar. Sicher. Aber etwas dann zu tun, ist noch einmal deutlicher eine Sünde. Also, ich verstehe Sie nicht. Suchen Sie das Gebet. Was sagt mir Gott, was höre ich, wenn ich bei Gott bin im Gebet für den weiteren Weg meines Lebens? Und ich denke, das wird sich dann zeigen.

Und Sie glauben, dass dann alles gut wird?

Das weiß ich nicht. Gottes Wege sind unerforschlich. Ich kann Ihnen nicht sagen, jetzt beten Sie mal, und dann wird das. Das ist ja auch kein Automatismus. Ich meine, wir leben auch in einem Umfeld, in dem es natürlich sehr schwierig ist, weil ja alles so hochgradig sexualisiert ist um uns herum. Christ sein heißt aber auch unterscheiden lernen: Was ist weltlich, was ist sündhaft, was ist widrig dem Göttlichen? Und dann eben: Was ist Gottes Weg? Was ist das, um was es wirklich geht?

Danke.

Alles Gute. Gottes Segen. 

"Dann tun sie es. Tun sie es ohne schlechtes Gewissen" 

Eine Kirche in Augsburg. Ich stehe vor dem Beichtstuhl und sehe, wie der Pfarrer kurz durch den Schlitz der vorgehängten Tücher aus seiner Kabine herauslugt. Als er mich sieht, blickt er sofort wieder weg. Ich zögere kurz, dann trete ich in den Beichtstuhl - und offenbare mich.

Spüren Sie schon längere Zeit, dass Sie sich auch sexuell zu Männern hingezogen fühlen?

Das spüre ich schon länger, ja.

Es mag ja sein, dass Sie einfach so veranlagt sind. Sie haben sich das nicht ausgesucht, sondern letztlich hat Gott Sie so geschaffen, das dürfen Sie schon einmal ganz positiv sehen. Und er hat keinen Fehler gemacht, als er Sie in die Welt gesetzt und gerufen hat und ausgestattet hat mit der Fähigkeit zu lieben. Ich gehe davon aus, wenn Sie sich mit diesem Mann getroffen haben, dass das nicht nur Begierde war, sondern dass da etwas mehr dahinter war, ein Stück Zuneigung, um nicht zu sagen Liebe?

Ja, so könnte man das schon sagen.

Wenn zwei Menschen einander lieben, ist immer etwas von der Liebe Gottes dabei. Und damit ist die Frage nach der Sündhaftigkeit eigentlich sehr relativiert. Ich möchte Ihnen grundsätzlich Mut machen, zu sich selber zu stehen, dass Sie auf die Stimme Ihres Herzens hören. Sie sollen sich nicht verkrampfen und damit für das Leben unfähig werden. Ich möchte Ihnen Mut machen, denn in der Sexualität liegt ja eine ungeheure positive Kraft. Damit meine ich nicht nur die Fähigkeit zu Liebe und Zuneigung, sondern überhaupt sehr viel Lebensenergie.

Vielen Dank, das ist sehr lieb von Ihnen.

Und ich mache Ihnen jetzt nicht Mut, dass Sie einfach draufloslegen und das ausleben auf die übelste Weise. Aber ich würde Ihnen schon Mut machen, dass Sie einfach auch diese Seite der menschlichen Zuneigung und Liebe kennenlernen. Ohne Angst! Gott verurteilt Sie nicht. Aber ich möchte Ihnen auch noch ganz positiv dazu sagen: Machen Sie das nicht zum Problem Ihres Lebens. Das wäre, glaube ich, ganz wichtig. Das Leben hat ja noch viel mehr an Aufgaben und an Forderungen.

Aber wenn wir jetzt mal bei der Sexualität bleiben, welchen Rat haben Sie an mich?

Ich kann mich nur wiederholen: Ich möchte Ihnen viel Mut machen zu sich selber. Haben Sie keine Angst vor der Sexualität und haben Sie auch keine Angst davor, dass Sie sich entdecken in einer Form, die Ihnen bisher noch eher fremd war. Ich weiß nicht, ob Sie den Kontakt zu dem Mann aufrechterhalten werden oder wollen?

Ja, das möchte ich sehr gerne.

Dann tun Sie es. Tun Sie es ohne schlechtes Gewissen. Es muss ja nicht so sein, dass Sie sich jedes Mal sexuell begegnen. Es ist ja was Wunderschönes, wenn Freunde einander verstehen und miteinander Zeit verbringen. Und da sollten Sie sich schon drauf einlassen. Durch Freundschaft wird das Leben sehr viel reicher.

Vielen Dank.

Keine Angst! Haben Sie sonst noch irgendwas auf dem Herzen, was Sie jetzt vielleicht im Rahmen einer Beichte ansprechen möchten?

Das Thema war mein Hauptanliegen.

Ich verstehe Sie gut. Wenn Sie möchten, darf ich Ihnen jetzt trotz allem die Lossprechung geben. Und zur Buße machen Sie ganz einfach zwei Dinge: Machen Sie Ihrer Mutter in den nächsten Tagen eine kleine Freude, die nichts kosten darf - nichts aus dem Geldbeutel. Und beten Sie einmal draußen das Vaterunser, ja? 

"Aber letzten Endes ist das nichts, weswegen sie sich schuldig fühlen müssen" 

Eine kleine Kirche in München. Der Pfarrer lächelt durchs Gitterfenster, als ich ihm mein Geständnis mache. Er spricht bayerisch.

Wollen Sie jetzt einen seelsorglichen Rat oder wollen Sie eine offizielle Vorlesung in Kirchenrecht? Das wäre jetzt nämlich ein ordentlicher Unterschied.

Mir wäre Ersteres lieber.

In München werden Sie keine Probleme haben, Gleichgesinnte zu finden. Natürlich gibt es leider auch hier Leute, die etwas gegen Homosexuelle haben, aber in aller Regel kann man ohne Probleme als Pärchen erkennbar durch die Gegend laufen. Das ist auch in unserer Kirchengemeinde so. Und ich kann Ihnen das durchaus sagen - es gibt einige erkennbar homosexuelle Paare, die bei uns in die Kirche gehen.

Also ist das für Sie kein Problem?

Das ist für uns kein Problem.

Ich komme ursprünglich aus einer eher ländlichen Gegend.

Aha. Ja, da gibt es sicherlich noch Kirchen, wo es eine "Mannaseitn" und eine "Weiberseitn" gibt. Dass es dann wahrscheinlich ungut ist, wenn zwei Männer einfach zusammen reingehen, kann ich mir vorstellen. Aber letzten Endes, denke ich, ist das nichts, weswegen Sie sich schuldig fühlen müssen. Gerade die sexuelle Orientierung ist ja ganz offensichtlich nichts, was man erlernen kann. Vielleicht noch eher kann man das Unterdrücken lernen.

Damit sind Sie aber nicht auf einer Linie mit den Kirchenoberen.

Ja, Papst Benedikt hatte schon Probleme mit dem Thema der Homosexualität. Das war zwar immer dogmatisch sehr verbrämt, sodass man schlecht verstanden hat, was er gesagt hat. Aber er war schon irgendwie gegen eine Öffnung der Kirche gegenüber Homosexuellen. Bei Papst Franziskus klingt das ja deutlich anders. Und interessanterweise ist er ja auch ein wesentlich männlicherer Typ, der nicht das Effeminierte von Papst Benedikt hat.

Effeminiert?

Ja, dieses Effeminierte: Er trägt ja zum Beispiel keine vergoldeten Seidengewänder und Samthauben. Und seine Stimme ist nicht so hoch und weinerlich wie die seines Vorgängers. Auf seinem Rückflug von Brasilien hat Franziskus über Schwule gesagt: "Wer bin ich, dass ich über sie richte?" Papst Benedikt war immer der Meinung, kein angehender Priester dürfe sich zu seiner Homosexualität bekennen. Dann müsse er sofort aus dem Seminar fliegen. Franziskus hat jetzt einen ganz anderen Ton angeschlagen.

Haben Sie zum Abschluss noch einen Rat für mich?

Ich will Ihnen sagen, dass Sie sich keine Sorgen machen müssen. Lassen Sie sich ruhig Zeit, bis Sie sich wirklich sicher sind. Hier gibt es auch Beratungsstellen, wo Sie hingehen können. Das wäre auch eine Möglichkeit.

Vielen Dank.

Bitte, gerne. Alles Gute! Auf Wiedersehen! 

"Nur wenn man dieser Neigung nachgibt, können wir von einer Sünde sprechen"

Eine große Kirche in Regensburg. Das grüne Licht über dem Beichtstuhl zeigt an, dass der Priester bereits drinnen sitzt. Ich gehe hinein. Der Priester flüstert eine Formel, die ich noch nie gehört habe.

Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit.

Ich fühle mich zu Männern hingezogen und würde gerne in diesem Rahmen fragen, wie ich damit umgehen soll.

Sind Sie ledig?

Ich bin ledig, ja.

Grundsätzlich ist diese Neigung zwar nicht normal, nicht gesund oder nicht, wie die Kirche es sieht, gut. Aber sie ist in sich auch nicht sündhaft. Nur wenn man dieser Neigung nachgibt, können wir von einer Sünde sprechen. Denn das widerspricht unserer Natur, so wie Gott uns geschaffen hat und wozu er uns geschaffen hat.

Gott hat mich aber doch mit dieser Neigung geschaffen?

Haben Sie eine Idee, wie es dazu kommen konnte?

Diese Neigung, wie Sie es ausdrücken, dieses Begehren ist da. Muss ich nach kirchlicher Auffassung diese Neigung unterdrücken?

Unterdrücken klingt schlecht, vor allem in unserer modernen Welt.

Die Sexualität ist ein Geschenk Gottes. Und die Sexualität ist gut, aber damit sie auch gut bleibt, braucht sie eine Ordnung. So müssen wir auch die Homosexualität sehen: dass sie eine Leitung braucht.

Was raten Sie mir nun? Wie soll ich damit umgehen? 

(schweigt lange) Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich bin ein junger Priester und habe diesen Fall im Beichtstuhl so noch nie gehabt.

Haben Sie denn keinen Rat für mich?

Es gibt natürlich auch Therapien oder Psychologen, aber die Homosexualität ist heutzutage ein sehr umstrittenes Thema, und Sie werden nur schwer einen Psychologen finden, der die kirchliche Sicht vertritt. Vielleicht haben Sie Glück, und Sie finden wen.

Der die katholische Sicht vertritt?

Ja. Ich kenne auch solche Psychologen, aber sie sind nur theoretisch und in der Lehre tätig, nicht in der Praxis. Vielleicht sollten Sie gezielt nach christlichen Autoren suchen, die auch wissenschaftlich argumentieren, aber trotzdem die kirchliche Sichtweise einnehmen.

Haben Sie da wen im Kopf, haben Sie einen Namen? Einen Buchtitel?

Ich überreiche Ihnen gerne nach der Beichte Material, wenn Sie wollen.

Sie müssen aber vor dem Beichtstuhl warten, bis die Beichtzeit zu Ende ist.

Eines möchte ich noch wissen: Darf ich als Homosexueller zur Kommunion gehen?

Ja, Sie dürfen zur Kommunion gehen. Wie gesagt: Wenn man der homosexuellen Neigung nicht nachgeht, stellt das auch keine Sünde dar.

Und wenn ich ihr nachgehe?

Dann dürfen Sie das nicht mehr. Dann würden Sie nicht mehr in dieser Ordnung leben. Aber ich gebe Ihnen dieses Buch mit und ich bete auf jeden Fall für Sie und ich bete auch um Gottes Licht und Kraft.

Vielen Dank.

Nach fünf Minuten kommt der Priester mit zwei Heften zurück. Sie sind vom "Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft" und tragen die Titel "Sonderheft Männliche Homosexualität" und "Homosexualität verstehen". Die Hefte empfinde ich an vielen Stellen als homophob, unter anderem geht es darum, wie sich Homosexualität heilen lässt. 

"Das heisst für sie konkret, alleinstehend zu leben"

Eine Kleinstadt im Altmühltal, die Kirche wurde im Barock erbaut. Im Beichtstuhl ist es sehr dunkel. Ich flüstere durch das sehr engmaschige Gitter mein Geständnis. Der Pfarrer spricht dann sehr leise und sehr schnell.

Die Frage der Homosexualität ist nicht so einfach zu beantworten. Der Sinn der Liebe ist, dass ich eine Partnerschaft finden kann, in der es möglich ist, Leben weiterzugeben. Wir kommen aus diesen Gegebenheiten nicht heraus: dass wir in der Liebe und in der Sexualität von der Natur her hingeordnet sind auf das Gegengeschlechtliche.

Ich fühle mich einfach sexuell viel stärker zu Männern hingezogen, soll ich das dann nun unterdrücken?

Unterdrücken? Zu kultivieren, habe ich versucht zu sagen. Und das soll heißen, dass ich mich mit den Gegebenheiten abfinde und das Beste daraus mache. Dass ich mich zurückhalte und nicht ins Sexuelle abgleite. Freundschaften pflegen mit Gleichgeschlechtlichen, aber dass das in einem Rahmen bleibt, wo die Sexualität nicht im Zentrum steht. Natürlich ist es eine Gratwanderung. (seufzt)

Hat mich Gott dann dafür geschaffen, alleinstehend zu bleiben? Ich fühle mich zu Frauen leider gar nicht hingezogen.

Gar nicht?

Gar nicht.

Wenn Sie das als logische Konsequenz so sehen. Es gibt ja viele Menschen, nicht nur Priester, die alleinstehend sind. Nun, ich möchte nicht jedem Priester und jedem Ordensmann Homosexualität unterstellen, im Gegenteil - und ich denke, man muss auch sehr viel Disziplin aufbringen, um mit der Sexualität leben zu können.

Und das ist auch mein Weg, wenn ich mich an Gottes Wort halten möchte und an die christlichen Gebote?

Wenn dieser Hang zum Gleichgeschlechtlichen so stark ist, dass keine Beziehungen mit Frauen gepflegt werden können, die in die Sexualität münden, wird es wahrscheinlich in diese Richtung gehen müssen. Die Frage, wer uns so gemacht hat oder wer Sie so gemacht hat, der liebe Gott oder die Erziehung oder die Veranlagung - das wäre natürlich wieder der liebe Gott -, möchte ich offen lassen. Da spielen viele Faktoren mit herein, die nicht immer so einfach zu greifen sind.

Aber ich darf mich schon geliebt fühlen von Gott?

Ja, auf jeden Fall. Gott schließt niemanden von der Liebe aus. Die Frage ist nur, inwieweit Sie sich auf diese Liebe Gottes einlassen und bereit sind, sie anzunehmen oder sich dafür zu öffnen.

Wie schaffe ich es, diesen kultivierten Weg einzuschlagen?

Sie dürfen sich nicht darauf fixieren. Je mehr Sie sich drauf fixieren, umso größer wird dieses Problem. Ich denke, Sie müssen einfach versuchen, auch im Gebet, es immer wieder vor Gott hinzutragen. Und Sie haben es vorhin auch schon gesagt: Das heißt für Sie konkret, alleinstehend zu leben. Wenn der Hang wirklich so stark ist, dann muss ich Ihnen das nach kirchlichen Gesichtspunkten auch so raten.

Ich kann also nicht ein guter Christ sein und gleichzeitig mit einem Mann leben - das würde sich ausschließen? Auch wenn ich Liebe empfinde?

Das ist eine Gratwanderung. Da kann ich nicht Ja und auch nicht Nein sagen. Zunächst ist katholische Lehre, dass der Kontakt zum Andersgeschlechtlichen gesucht werden soll, einfach auch um das Leben weiterzugeben. Aber wer, welcher Katholik, welcher Christ, welcher Mensch lebt nicht fehlerhaft? Den gibt es nicht. In dem Moment aber, wo Sie in eine solche Beziehung eintreten, ist gewissermaßen eine Entscheidung getroffen, dass Sie langfristig außer der Norm leben.

Was für Konsequenzen hätte das?

Ich denke, wenn Sie das Gespür der katholischen Lehre in sich haben, dann werden Sie merken, dass einfach da was nicht in Ordnung ist. Aber andererseits, wenn ich jetzt auf ein anderes Gebot eingehe: Gibt es einen Menschen, der noch nie gelogen hat? Gibt es einen Menschen, der noch nie gestohlen hat? Und sei es nur die Steuererklärung, bei der man sich ein bisschen durchmogelt. Den perfekten Menschen gibt es nicht.

Doch ich soll das jetzt nicht als Rechtfertigung nehmen?

Richtig. So ist es. Das wäre natürlich das arge Laisser-faire, das arg Lockere. Wenn ich sage: Na ja, der liebe Gott verzeiht mir sowieso, ich kann machen, was ich will, und gehe nach einer gewissen Zeit immer wieder zum Beichten - das wäre das Ausnützen der Liebe Gottes, um nicht zu sagen, das wäre die Sünde gegen den Heiligen Geist. Jesus sagt einmal: Es kann alles vergeben werden, nur nicht die Sünde wider den Heiligen Geist. Einfach durchmogeln können wir uns nicht.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel