Vom Tellerwäscher zum Millionär – in Deutschland ist das inzwischen ein Mehrgenerationen-Projekt – zumindest statistisch. Eine neue Studie der OECD hat ausgerechnet, dass es in Deutschland im Durchschnitt 180 Jahre dauert, bis der Aufstieg von Hartz IV in die Mitte der Gesellschaft gelungen ist. Solange lebt natürlich niemand – sechs Generationen müsse man für den Aufstieg schon einkalkulieren, so die Experten der OECD.
Die wirtschaftliche Situation der Menschen in Deutschland wird nach wie vor hauptsächlich von den Eltern bestimmt. Und die Menschen wissen dies auch: "Viele Menschen in Deutschland haben das Gefühl, dass ihre persönlichen und beruflichen Chancen entscheidend vom Elternhaus abhängen", sagt die OECD-Analyse.
Deutschland ist laut OECD das Schlusslicht
In keinem der untersuchten Länder gelingt es Menschen aus der unteren sozialen Schicht leicht, einen besseren Lebensstandard zu erreichen. Aber in Dänemark, dem Land mit der größten sozialen Durchlässigkeit, kann man diesen Aufstieg im Schnitt in zwei Generationen hinbekommen – das ist deutlich schneller als die sechs Generationen in Deutschland.
In verschiedenen Feldern zeigt sich der dominante Einfluss von Familie und Abstammung. Fast jedes zweite Kind einer Führungskraft wird später selbst Personal führen. Bei Arbeiterkindern ist es die Hälfte. Haben die Eltern nur eine geringe Bildung, erreichen nur 11 Prozent ihrer Kinder einen Universitätsabschluss. Hatten die Eltern bereits die Universität besucht, steigt die Quote der Kinder auf 53 Prozent. Hatten die Väter einen hohen Verdienst, haben die Kinder eine 50 prozentige Chance ebenfalls einen hohen Verdienst zu erzielen. Die OECD macht dafür vor allem Mängel in der Kinderbetreuung und im Schulsystem verantwortlich. Hinzu kommt die hohe Halbtagsquote der deutschen Frauen.
Familiäre Kräfte behindern soziale Mobilität
Doch die soziale Mobilität ist auch in den anderen OECD-Ländern zum Erliegen gekommen. Die OECD-Expertin Gabriela Ramos sagt: "Das Einkommen, der Beruf und das Bildungsniveau werden von einer Generation an die andere weitergegeben." Dabei berücksichtigt die Studie lediglich das Einkommen und nicht den Besitz. Da Eigentum im großen Maßstab von der älteren Generation an die jüngere weitergegeben wird, dürfte sich hier der Einfluss der Familie ebenfalls stark auswirken. Hinzu kommen weitere Faktoren. Bis in die 1960er-Jahre war die Heirat in eine höhere Schicht ein wesentlicher Faktor des sozialen Aufstiegs. Heute hingegen ist dieser soziale Aufzug praktisch zum Erliegen gekommen. Heute wird innerhalb der eigenen sozialen Gruppe geheiratet. Praktisch bedeutet das: Es bilden sich Power-Paare, bei denen beide Partner Bildung, Einkommen und Eigentum in die Ehe einbringen. Ihnen stehen Habenichts-Paare gegenüber, die beide über all das nicht verfügen.
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Ist Mobilität überhaupt erwünscht?
Unausgesprochen gibt es ein weiteres Problem: Ist soziale Mobilität überhaupt erwünscht? Die OECD betrachtet nur die relative Schichtung einer Gesellschaft. Vereinfacht ausgedrückt, bedeutet dies: Für jeden Aufsteiger muss es in dem Modell auch einen Absteiger geben. Es ist ein Verdrängungswettbewerb.
Daher trifft der Aufstiegswillen der Armen auf den Widerstand der Bessergestellten. Hier liegt auch die politische Sprengkraft der "sozialen Mobilität". Eine Gesellschaft mit hoher Mobilität würde bedeuten, dass bessergestellte Eltern mit einer hohen Abstiegschance ihrer eigenen Kinder leben müssten. Unwahrscheinlich, dass eine Partei mit diesem Ziel in der Mittelschicht Zustimmung erzielen könnte.