Lebenssatt. Dieses Wort hat Theo Sommer in vielen seiner Nachrufe verwendet – und davon hat er gerade in seinen letzten Jahren einige geschrieben. Das Wort ist wie maßgeschneidert für seine eigene Biografie: ein Mensch, der Anerkennung und Erfolg fand, der beruflich und persönlich wenig ausgelassen hat und dem das alles auch große Freude gemacht hat. An diesem Montag starb er, 92-jährig, an den Folgen eines schweren Sturzes in seinem Haus in Hamburg. Entsetzliche Schmerzen haben ihn in den letzten Monaten gequält. Und er haderte mit diesem schweren Ende, das er auf sich zukommen sah. Der Tod kommt nie zur rechten Zeit, auch wenn man schon ziemlich lebenssatt ist. Und wenn er kommt, ist er selten gnädig.

Mit Sommer geht nicht nur für uns bei der ZEIT der letzte der großen Alten im deutschen Journalismus. Er hat dieses Blatt aufgebaut und stark gemacht, wir haben ihm viel zu verdanken. Theo Sommer war ein bisschen jünger als Rudolf Augstein und Henri Nannen, als Marion Gräfin Dönhoff und Axel Cäsar Springer, mit denen er in einem Atemzug genannt werden kann. Aber was er mit ihnen gemeinsam hat, ist, dass sein Lebenswerk als Chefredakteur, Herausgeber und Autor der ZEIT nicht frei war von Widersprüchen und Fehlern. Dass man vorbildlich nur sündenfrei sein darf, ist ohnehin eine parareligiöse Vorstellung der allerletzten Neuzeit. Sommer hat noch eine Nazi-Eliteschule in Sonthofen besucht. Mit 14 sollte er für das letzte Aufgebot bestellt werden, um Ulm zu verteidigen, dann war das Tausendjährige Reich am Ende. Nach eigenem Eingeständnis gelang es ihm nicht über Nacht, sich von Hitler zu befreien. Nun aber wollte er – wie die anderen auch – mithelfen, ein ganz anderes Land aufzubauen. Was ihnen zweifellos gelang.

Mit voller Kraft wehrte Theo Sommer, dem sonst Pluralität und der Streit der Meinungen in der Redaktion ein Herzensanliegen waren, die Versuche des damaligen Mitherausgebers und Mitglieds der Chefredaktion, Diether Stolze, ab, das Blatt ins Rechtskonservative zu wenden. Stolze wurde dann Helmut Kohls erster Regierungssprecher. Noch moribund erzählte Sommer, dass Stolze die Figur gewesen sei, die ihm in der Redaktion am meisten zugesetzt habe. Den überbordenden Drang des Gründerverlegers Gerd Bucerius, sich in Personalien und inhaltliche Belange der Redaktion einzumischen, wusste er stets einzuhegen. Auch darin zeigte sich seine Qualität als Chefredakteur.

Über seine Fehler hat Sommer viel gesprochen, sie wären auch nicht unbemerkt geblieben: politisch-journalistisch, dass er den Vietnamkrieg anfangs guthieß und der DDR Stabilität und inneren Frieden bescheinigte, als Land und Führung schon marode waren. Persönlich, dass er in späten Jahren Steuern hinterzogen hat. Immerhin entschuldigte er sich bei der entsetzten, enttäuschten Redaktion in einer Konferenz so vorbehaltlos und glaubhaft für das, was er "aus eigener Schuld und Dummheit" begangen hatte, dass die Kolleginnen und Kollegen seine Bitte um Verzeihung annehmen konnten.

An diesem Debakel trug Theo Sommer den Rest seines Lebens, während er mit anderen seiner Irrungen recht nonchalant verfuhr. Dieses Naturell befähigte ihn andererseits zu einer Großzügigkeit, die sonst bei ehemaligen Chefredakteuren, die grimmig und egomanisch ihr Blatt mit ihrem eigenen Abschied schnurstracks in die Belanglosigkeit abdriften sehen, sehr selten vorzufinden ist. Theo Sommer konnte seinen jüngeren Kolleginnen und Kollegen, mit denen er nun wirklich nicht immer einverstanden war, Respekt und Lob aussprechen: Die erste Ausgabe nach Kriegsausbruch in der Ukraine etwa pries er noch vor wenigen Monaten als "die beste ZEIT-Ausgabe, die je gemacht wurde".

Bis zu seinem Unfall kam Theo Sommer noch oft und gerne in sein Büro im dritten Stock unseres Hauses. Sein letzter Artikel, welch merkwürdige Koinzidenz, war eine Verteidigung des journalistischen Erbes seines alten Kollegen Henri Nannen, der in einer SS-Propagandaeinheit eine beklagenswerte Rolle gespielt hatte. Da war er schon zu schwach, Redigaturen am Text selbst vorzunehmen.

Wer auch immer ihn in seinen letzten Wochen besuchte, dem sagte er: "Die ZEIT war mein Leben." Unfassbare 64 Jahre hat Theo Sommer unser Blatt geprägt. Das hat es so nirgendwo gegeben, das wird es auch nicht mehr geben.