Der Mythos Napoleons reichte weit über Europa hinaus. Während noch die Vorbereitungen für die Kaiserkrönung Napoleon Bonapartes in Paris liefen, machte sich 7300 Kilometer weiter westlich in der ehemaligen französischen Kolonie Saint Domingue ein schwarzer Ex-Sklave mit Namen Jean-Jacques Dessalines zum Kaiser. Obwohl der nach zwei Jahren ermordet und sein Regime liquidiert wurde, wirkte das Vorbild weiter. Im Spätsommer 1849 ließ sich mit Faustin Soulouque (1782–1867) erneut ein ehemaliger Sklave zum Kaiser von Haiti proklamieren – und kam damit einem anderen Napoleon, Bonapartes Neffen Louis, um mehr als drei Jahre zuvor.
Die Herrschaft von Faustin Soulouque hat man nicht umsonst als Karikatur des Regierungssystems Napoleons III. gedeutet und entsprechend popularisiert. „Suluk“ wurde zum Synonym despotischer Herrschaft. Beide Kaiser waren durch einen Putsch an die Macht gekommen, stützten sich auf die Armee und verschleierten ihre Autokratie mit pompösem Luxus. Doch während Napoleon III. seine Legitimation in Plebisziten suchte, setzte Soulouque auf blutige Massaker.
Soulouques Karriere bot ein Spiegelbild der Geschichte der Insel Hispaniola, die Christoph Kolumbus auf seiner ersten Reise 1492 für Spanien in Besitz genommen hatte. Brutale Ausbeutung und eingeschleppte Seuchen entvölkerten schnell das Land, sodass afrikanische Sklaven die Plantagen bewirtschaften mussten. Im 17. Jahrhundert besetzten Franzosen den westlichen Teil der Insel (Saint Domingue), der mit dem effizienten Anbau von Zucker, Kaffee und Indigo bald prosperierte, während der östliche Teil (Santo Domingo) in spanischem Besitz blieb und zum Armenhaus wurde.
Nach dem Ausbruch der Französischen Revolution forderten auch die Sklaven, die immerhin 90 Prozent der Bevölkerung der französischen Kolonie ausmachten, ihre Rechte, erhoben sich und gründeten 1804 Haiti. Der neue Staat umfasste auch den Osten, den Spanien zuvor an Frankreich hatte abtreten müssen. Der Versuch Napoleons I., mit einem Expeditionkorps von 60.000 Mann die Insel zurückzuerobern, scheiterte am Gelbfieber, dem Widerstand der Schwarzen und drängenderen Problemen in Europa.
Nachdem im Befreiungskampf die weiße Oberschicht weitgehend ausgelöscht worden war, wurde die Innenpolitik des zur autoritären Republik mutierten Haiti vom Antagonismus zwischen schwarzen Ex-Sklaven und den Mulatten geprägt, die als Freigelassene und Freie eine Art städtische Elite darstellten. Da diese in der deutlichen Minderheit waren, entwickelten sie die sogenannte politique de doublure (Stellvertreterpolitik): Hinter einem schwarzen Präsidenten zogen Mulatten die Fäden der Politik.
So kam Soulouque im März 1847 an die Macht. Da sich zwei verfeindete Kandidaten blockierten, verfiel man auf den ehemaligen Sklaven, der es vom Lakaien eines Generals bis zum Oberbefehlshaber der Präsidentengarde gebracht hatte. Da er weder lesen noch schreiben konnte und als naiv galt, schien er die ideale Marionette zu sein. Er erklärte denn auch, die Politik seines Vorgängers fortzuführen, indem er die Ratschläge seiner mulattischen Hintermänner befolgte.
Aber Soulouque war lernfähig. Schnell entwickelte er ein Bewusstsein für die Probleme und Machtverhältnisse Haitis, wo sich die Konflikte zwischen Mulatten und Schwarzen regelmäßig in gewalttätigen Ausschreitungen entluden. Zunächst schwankte der Präsident „zwischen Defätismus und Despotismus, neigte jedoch bald klar letzterem zu“, schreibt der Erlanger Historiker Walter L. Bernecker in seiner „Kleinen Geschichte Haitis“.
Am 16. April 1848 inszenierte er ein viertägiges Massaker an der mulattischen Elite in der Hauptstadt Port-au-Prince, bei dem der Mob auch schwarze Rivalen des Präsidenten über die Klinge springen ließ. Kinder der überlebenden Mulatten-Bourgeoisie wurden als Geiseln genommen, um sie bei Bedarf hinzurichten. Mit den Zinglins, einer paramilitärischen Rebellentruppe, die sich ausschließlich aus Schwarzen der Unterschichten rekrutierte, schuf sich Soulouque ein Terrorinstrument, mit dem er jede Opposition unterdrückte.
Zugleich versuchte er, seiner Herrschaft durch Expansion den nötigen Glanz zu verschaffen. Das Ziel wurde das Spanisch sprechende Santo Domingo, das sich 1844 als Dominikanische Republik seine Unabhängigkeit erkämpft hatte. Der Feldzug gegen die „rebellischen Mulatten“ endet 1849 in einem Desaster, was Soulouque allerdings nicht hinderte, ihn als Triumph zu verkaufen. Das eingeschüchterte Repräsentantenhaus machte die Farce mit und erklärte den Präsidenten am 26. August 1849 zum Kaiser von Haiti.
Fast drei Jahre ließ er sich für die Vorbereitung der Krönungsfeierlichkeiten Zeit. Die fanden am 18. April 1852 mit allem Pomp und nach dem Vorbild Napoleons I. statt. Allein die diamantenbesetzte Krone kostete die unerhörte Summe von 100.000 Dollar, noch teurer soll die Ausstattung des Festzeltes auf dem Marsfeld von Port-au-Prince gewesen sein. Das Unternehmen verschlang den gesamten Staatsschatz.
Ebenfalls nach dem Vorbild Napoleons schuf Faustin I. seine eigene schwarze Aristokratie, die ihm nicht nur als Hofstaat, sondern auch als Stütze seiner Herrschaft dienen sollte. „Vier Prinzen, 59 Herzöge und eine Unzahl von Grafen, Baronen und anderen geadelten Häuptern bildeten den vor allem in der Presse Frankreichs vielfach verspotteten ‚Inseladel‘“, schreibt Bernecker. Zugleich stiftete der Kaiser zwei Orden, den einen für Militärs und den anderen für Zivilisten. Einen weiteren Helfer fand Faustin im Voodoo-Kult, den er dem Katholizismus gleichstellte.
Das brachte ihn allerdings um das Wohlwollen des Vatikans, der sich beharrlich weigerte, seiner Krönung die kirchlichen Weihen zu geben. Überhaupt scheiterten die kaiserlichen Versuche, mit außenpolitischen Erfolgen die wirtschaftliche Misere Haitis zu kaschieren. Weder die Einführung eines Kaffeemonopols noch die wiederholten Invasionsversuche in die Dominikanische Republik führten zum Erfolg. Faustins miserabel ausgerüstete und halb verhungerte Soldaten wurden schnell zurückgeschlagen, obwohl ihr Unterhalt den ohnehin klammen Staatshaushalt über Gebühr belastete.
Als dann auch noch der Weltmarktpreis für Kaffee fiel, konnten selbst Willkür und Brutalität Faustins Regime nicht mehr retten. Ein Aufstand Ende 1857 brachte mit Fabre Geffrard einen General an die Macht. Faustin I. hatte das Glück, seine Absetzung zu überleben und ins Exil nach Jamaika gehen zu können.
Immerhin blickte der Gestürzte auf eine zehnjährige Herrschaft zurück, in der er sich Luxus und Hirngespinsten hingeben hatte. In diesem Sinn wurde Faustin Soulouque zum großen Vorbild ähnlich mörderischer Politclowns wie seiner späten Nachfolger „Papa Doc“ und „Baby Doc“ Duvalier in Haiti, Idi Amin in Uganda oder Jean Bédel Bokassa, der sich ja auch zum Kaiser (von Zentralafrika) krönen ließ.
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Dieser Artikel wurde erstmals am 31. August 2019 veröffentlicht.