Am 29. Mai 1993 starben in Solingen fünf Frauen und Mädchen einer türkischstämmigen Familie, als in ihrem Haus Rechtsextreme ein Feuer legten. Zum 25. Jahrestag des fremdenfeindlichen Brandanschlags wird der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu in Solingen bei der Gedenkfeier eine Ansprache halten. Ein Sprecher der Stadt Solingen sagte, davon wisse man seit einigen Tagen, der Auftritt am 29. Mai stehe fest.

Çavuşoğlus Auftritt fällt in die Zeit des Wahlkampfs in der Türkei. In der vergangenen Woche hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verkündet, dass bereits am 24. Juni Parlaments- und Präsidentenwahlen stattfinden sollen. Am Samstag hatte er zudem angekündigt, auch im Ausland Wahlkampf zu machen – in Deutschland leben rund 1,4 Millionen türkische Wahlberechtigte.

Daraufhin hatte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Sonntag gesagt, die Bundesregierung werde keine Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsvertreter in Deutschland zulassen. Maas stellte aber klar, dass dieser Auftritt nicht unter das Wahlkampfverbot für ausländische Regierungsvertreter in Deutschland falle. "Das ist für uns keine Wahlkampfveranstaltung, denn sie hat einen ganz anderen Hintergrund", sagte er am Rande eines G7-Außenministertreffens in Toronto. "Das ist eine Veranstaltung, die regelmäßig stattfindet, und dort wird der Opfer dieses schrecklichen Brandanschlags gedacht."

Auch der Solinger Stadtsprecher sagte, bereits vor fünf Jahren habe beim Gedenken an die Opfer des Mordanschlags auf die Familie Genç ein Regierungsvertreter aus der Türkei gesprochen. Die Stadt werde vorab um den Redetext bitten, um ihn ins Deutsche übersetzen und während der Gedenkfeier als Broschüre verteilen zu können. "Ich gehe davon aus, dass die türkische Regierung hohen Respekt vor der Familie Genç und den Opfern des Mordanschlags hat und das berücksichtigen wird."

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet appellierte an Çavuşoğlu, Wahlkampf aus der Gedenkfeier herauszuhalten. "Das Gedenken an die Toten von Solingen darf nicht für Wahlkampfzwecke missbraucht werden", warnte der CDU-Politiker. "Türken und Deutsche trauern gemeinsam um die Opfer, gerade am 25. Jahrestag." 

Özdemir spricht von "Schmierentheater"

Grüne und Linke kritisierten den geplanten Auftritt des türkischen Ministers scharf. "Während wir noch über den Umgang mit türkischen Wahlkämpfern diskutieren, macht der türkische Außenminister Çavuşoğlu längst Nägel mit Köpfen", sagte Grünen-Politiker Cem Özdemir der Augsburger Allgemeinen. "Solange nicht die gleichen Rechte für die Opposition gelten, sollten wir uns für dieses Schmierentheater nicht hergeben."

Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, sagte der Zeitung, es sei "beschämend", dass die Bundesregierung eine Instrumentalisierung der Gedenkfeier "offensichtlich zugelassen" habe. Die vereinbarte Ansprache des Außenministers sei "faktisch Wahlkampfhilfe für das islamistisch-faschistische Wahlbündnis von AKP und MHP durch die Hintertür".

Die vorgezogenen Neuwahlen in der Türkei finden vier Wochen nach der Gedenkfeier statt. Die 1,4 Millionen wahlberechtigten Türkinnen und Türken in Deutschland können aber wahrscheinlich schon in der ersten Juni-Hälfte abstimmen. Im vergangenen Juni hatte das Auswärtige Amt ein Auftrittsverbot für ausländische Amtsträger drei Monate vor einer Wahl oder Abstimmung in ihrem Land erlassen. Hintergrund war ein erbitterter Streit über geplante Wahlkampfauftritte vor dem türkischen Verfassungsreferendum im April 2017.

Bei dem Brandanschlag auf das Zweifamilienhaus in Solingen starben Ende Mai 1993 fünf Frauen und Mädchen, das jüngste war vier Jahre alt und starb an einer Rauchvergiftung. Vier rechtsradikale Männer wurden wegen Mordes verurteilt. Alle haben inzwischen ihre Haftstrafen abgesessen.