Am 29. Mai 1993 um 1.42 Uhr geht ein Anruf bei der Feuerwehr im rheinischen Solingen ein. In der Unteren Wernerstraße brennt ein Haus. Fünf Minuten später sind die Rettungskräfte da. Sie sehen Gürsün Inçe mit ihrer Tochter im Arm auf einer Fensterbank im Giebel des Hauses hocken. Noch ehe die Feuerwehrmänner ein Rettungskissen aufpumpen können, springt die 27-Jährige aus dem Fenster.

Ihre damals drei Jahre alte Tochter Güldane überlebt den Sturz mit schweren Verletzungen. Die Mutter nicht. Fünf Frauen und Mädchen sterben beim Brandanschlag von Solingen. Die Täter waren vier Neonazis, damals zwischen 16 und 23 Jahre alt. Ihr Motiv: Rassismus. Das "Türkenhaus" sollte brennen.

Drei von ihnen – Felix K., Markus G. und Christian B. – waren in der Tatnacht gemeinsam bei einem Polterabend. Dort gab es Streit, es ging um rassistische Beleidigungen gegenüber einer schwarzen Partybesucherin. Auf den Streit folgten Schläge, die drei mussten die Party verlassen. Unterwegs trafen sie Christian R. Alle vier kannten sich, drei von ihnen trainierten in derselben Kampfsportschule. Und sie waren Mitglieder einer großen Clique von neonazistischen Skinheads.

Gemeinsam in der Neonazikampfsportschule

Auch Christian R. hatte in dieser Nacht schlechte Laune. Die "Türkenkinder" aus dem Nachbarhaus nervten ihn, wie er später bei der Polizei aussagte. Am frühen Abend hatte er schon angekündigt, das "Türkenhaus" anzünden zu wollen. Gegenüber zwei Freunden prahlte er, in zwei Wochen wäre es soweit. Skinheads aus Düsseldorf und Hilden würden ihm dabei helfen. Doch dann nahmen es die vier Solinger am 29. Mai selbst in die Hand.

Nach 127 Prozesstagen, Geständnissen und deren Rücknahme endete der Gerichtsprozess gegen die Täter im Oktober 1995. Markus G. bekam eine 15-jährige Haftstrafe. Die anderen Täter, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wurden, erhielten zehn Jahre.

Im Prozess um den Anschlag gestand G. erst, nahm die Aussage dann jedoch zurück. In mehreren Interviews zum 20. Jahrestag des Brandanschlags erklärte er, dass er sich vom rechten Gedankengut distanzieren würde und er die Tat nicht begangen habe. Christian R. – der einzige Täter, der sein Geständnis aufrechterhielt – lebt heute am Rand des Ruhrgebiets. Er war nach seiner Haftentlassung der Neonaziszene treu geblieben und wurde vor einigen Jahren, nachdem er bei einem rechten Aufmarsch den Hitlergruß gezeigt hatte, erneut zu einer Haftstrafe verurteilt.

Der Höhepunkt während des Solingen-Prozesses: die Selbstenttarnung eines V-Mannes des Verfassungsschutzes. Denn auch wenn die drei Täter neben Christian R. einen recht unterschiedlichen Hintergrund hatten – Felix K. etwa ist Arztsohn, seine Eltern gelten als linksliberal; der Vater von Christian B. war Handwerker; Markus G. hatte 1990 seine Mutter verloren, sein Vater war Alkoholiker – so einte die drei doch eines: Sie waren in der Kampfsportschule Hak Pao (Schwarzer Panther) aktiv. Rückblickend erscheint wahrscheinlich, dass die späteren Mörder hier radikalisiert wurden – bis zum Entschluss, aus Hass Jagd auf türkischstämmige Menschen zu machen.