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TV-Sender Viva vor dem Aus "Als würde ein alter Kumpel sterben": Ex-Moderator Martin Tietjen über das Ende des Kultsenders

TV-Sender Viva vor dem Aus: "Als würde ein alter Kumpel sterben": Ex-Moderator Martin Tietjen über das Ende des Kultsenders
Seine eigene Zeit bei Viva dauerte nur sechs Monate. Trotzdem hat der Kultsender auch heute einen besonderen Stellenwert für Martin Tietjen. Im Interview mit dem stern erklärt er die Faszination Viva.

Herr Tietjen, Viva wird es ab Dezember dieses Jahres nicht mehr geben. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen?

Da war schon viel Wehmut dabei. Viva hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark verändert, so dass ich es gar nicht mehr geschaut habe. Es ist, als würde ein alter Kumpel sterben, zu dem man zwar keinen Kontakt mehr gehabt hat, mit dem man aber einfach viele Erinnerungen verbindet. Als ich nach der Nachricht gestern meine Festplatten durchforstet habe, dachte ich mir: Das war eine ziemlich geile Zeit.

Viele der ehemaligen Viva-Moderatoren gehören heute zu den größten Fernsehstars in Deutschland. Stefan Raab, Klaas Heufer-Umlauf, Collien Ulmen-Fernandes, Heike Makatsch - was hatten die Moderatoren damals für einen Stellenwert?

Das waren für mich die absoluten Fernsehgötter. Die hatten eine Plattform, durften sich dort austoben und haben dafür Applaus bekommen. Ich war extrem ehrfürchtig vor so einer Karriere wie der von Stefan Raab und dachte, das könnte mir dank Viva auch passieren. Der Laden war eine unfassbare Karriereschmiede mit großartigen Leuten. Heute ist das vielleicht vergleichbar mit Youtube. Damals war Viva eben die Probierfläche, auf der man sich austoben konnte. Man hatte mehr Freiheit als in den traditionellen Sendern. 

Wie würden Sie das "Lebensgefühl Viva" beschreiben?

Ich bin mit 20 von zuhause ausgezogen, um bei Viva in Berlin anzufangen. Als ich zum ersten Mal morgens auf meinem klapprigen Fahrrad in die Redaktion gefahren bin, standen rund hundert Fans vor der Tür – weil Tokio Hotel zu Gast waren. Viva war wie eine große, bunte Plastik-Traumfabrik. Überall hingen Bildschirme, auf denen lustige Videos liefen, die Mitarbeiter waren mega cool, aufgedreht und lustig. Es war wie eine Traumwelt. Mir wurde klar, dass ich hier fürs Spaßhaben bezahlt werden würde. Wir waren wie eine Familie, obwohl wir nicht jeden Abend privat abgehangen haben.

Heute machen die Stars ja alles selbst über Instagram. Inwiefern ist die Fankultur anders als damals?

Es gibt heute neue Flächen, neue Plattformen. Ich bin mit dem Satz großgeworden "video killed the radio star". Und auf einmal wurde das Musikfernsehen schlagartig von Youtube abgelöst. Das ist wahnsinnig traurig, aber da hat sich extrem viel verschoben. Ein Teenager braucht so etwas wie Viva nicht mehr.

Und die polyphonen Klingeltöne muss er sich vermutlich auch nicht mehr runterladen.

Richtig. Ich kenne das noch von früher: Da mochte man einen Song und hat stundenlang vor Viva gehangen und gehofft, dass dieser Song endlich gespielt wird. Und wenn er dann kam, waren das die schönsten drei Minuten des Tages. Heute gibt es dieses Warten bei den Teenies gar nicht mehr. Wenn die ein Lied gut finden, können sie es sofort hören. Das ist natürlich toll, aber dieses Warten damals hatte schon was.

Welcher Moderator ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben?

Sarah Kuttner war damals mein großes Vorbild. Leider ging sie gerade, als ich zu Viva kam. Und natürlich auch Stefan Raab. Niemand ist erfolgreicher nach seiner Viva-Zeit gewesen als Raab. Auch Klaas. Joko und Klaas haben vor dem Hype um sie schon viele Jahre im Fernsehen gearbeitet. Joko bei MTV und Klaas parallel bei Viva. Dieser Hype kam allerdings viel später. Jetzt sind die beiden Legenden.

Wurde man damals schräg angeguckt, wenn man erzählt hat, dass man bei Viva arbeitet?

Ganz und gar nicht. Bis heute finden das Kollegen toll. Viva war damals ein absolutes Phänomen. Als ich mir jetzt noch mal Videos von damals angeguckt habe, dachte ich mir auch: Krass, du warst ein Teil davon. 

In Ihrem Buch "Selbstrufmord" beschreiben Sie Ihren, sagen wir mal, etwas speziellen Auftritt bei der Loveparade. Was war da passiert? 

Es war eine ziemlich fette Show, die Viva zur Loveparade 2006 hatte. Klaas und Gülcan haben die Hauptmoderation gemacht. Und wir anderen, Collien Ulmen-Fernandes, Johanna Klum und ich wurden auf die kleineren Bühnen verteilt. 

Mein Job sollte sein, mit drei Damen von "Verliebt in Berlin" von einem Wagen zu berichten. Das Problem war: Ich hatte so etwas vorher nie gemacht, der Wagen war von Bitburger gesponsert, ich hatte mein Wasser vergessen und es war einer der heißesten Tage in Berlin. Da habe ich mir halt ein Bier genommen. Ich stand da also, mit meinem Bier in der Hand und habe ins Mikro geschrien und in den drei Stunden, die wir übertragen haben, hat mir niemand gesagt, dass ich gar nicht so ins Mikro schreien muss, weil man mich auch so gut verstehen kann.

Und wie war dann die Reaktion der Kollegen?

Also währenddessen war die Stimmung eigentlich ganz gut. Ich habe nur gemerkt, dass ein bisschen getuschelt wurde. Erst zwei, drei Wochen später kam jemand auf mich zu und sagte so beiläufig: "Das war ja eine mutige Nummer, besoffen vom Truck zu moderieren." Da war ich etwas überrumpelt. Ich schwöre hoch und heilig, dass ich höchstens ein halbes Bier getrunken habe.

Jahre später habe ich Collien wieder getroffen auf einer Veranstaltung. Sie wusste meinen Namen nicht, aber hat sich erinnert: "Du bist doch der Besoffene von der Loveparade."

Danach haben Sie sich mit Klaas Heufer-Umlauf auf Drinks getroffen. Klingt nicht so, als wäre er irgendwie verärgert gewesen, oder?

Ich war nicht das Enfant Terrible. Ich galt eher als jung und naiv. Damals hatte man im Fernsehen noch viel mehr Freiheiten. Die fanden es witzig, wenn jemand ein bisschen aus der Rolle fällt. Die Stimmung war sehr kollegial und lustig.

Ex-Viva-Moderator Martin Tietjen
In seinem Buch "Selbstrufmord - Geschichten, die man eigentlich nicht erzählen sollte" beschreibt Martin Tietjen nicht nur seine Zeit bei Viva, sondern thematisiert auch die Probleme des Erwachsenwerden.
© Nadine Dilly

Ihr Vertrag wurde nach sechs Monaten nicht verlängert. Denken Sie manchmal zurück und bereuen, dass es so schnell vorbei war?

Das war damals schon wie ein Herzbruch. Das war mein großer Traum. Ich wollte immer zum Musikfernsehen, immer zu Viva. Und dann habe ich mich still und heimlich in der elften Klasse da beworben und ein Jahr später die Zusage bekommen. Im Nachhinein denke ich natürlich, dass ich gerne länger geblieben würde.

Gab es nochmal ein Wiedersehen?

Ich war nach meinem Ende bei Viva noch mal in der Redaktion, um ein paar Dinge abzuholen. Am Nachmittag sollte "Viva Live!" von einer Messe laufen. Und weil ich nichts zu tun hatte, habe ich gefragt, ob ich mitfahren könnte. Collien und Gülcan sollten moderieren. Aber Gülcan war damals extrem gefragt und hat es nicht rechtzeitig zu der Live-Show geschafft. Und auf einmal sollte ich für sie moderieren, wurde schnell geschminkt und stand vor der Kamera. Ich hatte ein bisschen gehofft, dass vielleicht doch noch ein Angebot kommt, aber leider kam nichts mehr.

Wie fühlt sich das Viva-Ende jetzt für Sie persönlich an?

Es ist ein bisschen wie die Bestätigung, dass die Kindheit jetzt wirklich endgültig vorbei ist. Man ist alt und Viva gibt es nicht mehr.

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Erinnern Sie sich noch an diese Moderatoren? Das machen sie heute

02:22 min

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