Nach einer Stunde bittet Johannes M. den Richter um eine Pause. "Ich höre nicht mehr wirklich, was Sie sagen." M. verklagt vor dem Landgericht am Sievekingplatz die Stadt Hamburg. Sein Vorwurf: Im Dienst der Stadt habe ihn in der Nacht vom 12. auf den 13. September 2009 eine Polizeieinheit berufsunfähig geschlagen. Seither leidet er unter Konzentrationsstörungen, Tinnitus und chronischen Schmerzen. Nun will er von der Stadt mindestens 230.000 Euro an Schmerzensgeld sowie eine Entschädigung für Verdienstausfall. Vier Jahre nach Einreichung der Klage hat das Zivilgericht heute endlich Zeit für eine erste Beweisaufnahme.

Das Problem ist nur: Es gibt keine Zeugen, die gesehen haben, wer Johannes M. um kurz nach ein Uhr nachts tatsächlich niedergeschlagen hat. Es gibt Indizien, beispielsweise einen kreisrunden Abdruck, den man auf der Stirnplatte des 45-Jährigen bis heute erkennen kann. Er passt gruselig genau zum Griff eines Tonfa-Schlagstocks, mit dem die zweite Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) Blumberg an diesem Tag ausgerüstet war. Die nahe Potsdam stationierte Sondereinheit der Bundespolizei hatte die Hamburger Polizei damals unterstützt.

Straßenfest mit traditionellen Ausschreitungen

Der 12. September 2009 war kein gewöhnlicher Tag in der Hamburger Sternschanze. Damals fand das alljährliche Schanzenfest rund um das linksautonome Zentrum Rote Flora statt. Immer wieder war es schon in den Vorjahren zu Ausschreitungen gekommen. Auch vor zehn Jahren gab es Ärger. Eine Gruppe von etwa 200 "Störern" habe eine nahe gelegene Polizeiwache mit Steinen und Böllern angegriffen und sich auf der Flucht unter die Festbesucher gemischt, erklärte ein Polizeisprecher damals.

Johannes M. beteuert heute vor Gericht, sich damals von allem, was Stress bedeuten könnte, so gut wie möglich ferngehalten zu haben. Man habe auf der Piazza vor der Roten Flora gefeiert, es gab eine Kissenschlacht, er habe noch Fußball gespielt. Und eigentlich wollte er, schließlich war es schon nach Mitternacht, schon heim, doch seine Begleiterin wollte noch bleiben.

Dann seien die ersten Wasserwerfer auf dem Schulterblatt aufgefahren, seine Freunde und er hatten die Aufforderung, die Piazza zu räumen, gehört und seien deshalb in die nahe Eifflerstraße abgezogen. "Dort wurde Musik gespielt, da haben auch Leute getanzt", erinnert sich M. noch, der sagt, er sei an diesem Abend "angetüdelt, aber gut orientiert" gewesen. "Auf die Wasserwerfer habe ich nicht mehr geachtet."

Plötzlich sei dann Unruhe aufgekommen, Menschen seien die Eifflerstraße entlanggelaufen, weg vom Schulterblatt. "Da lag für mich nahe, dass es sich um Polizeibeamte handeln muss. Aber ich hatte ja nichts getan, also ging ich zur Seite."

Polizisten, so "Darth-Vader-mäßig"

Als er sich umdrehte, habe er "eine schwarze Wand gesehen", erinnert sich M. heute vor Gericht. "Solche Polizisten habe ich vorher noch nie gesehen. Sie waren komplett schwarz, vermummt und mit Helm. So Darth-Vader-mäßig." Bevor er noch Genaueres erkennen konnte, habe er einen Schlag auf den Kopf bekommen. "Dann dachte ich, ich bin tot."