Das Auto auf- und abschließen per Handy? Das ist schon heute bei manchen Herstellern Realität, wenn man neben einem Fahrzeug mit abonniertem Connectivity-Dienst – so heißt die Vernetzung des Autos neudeutsch – die entsprechende App auf seinem Smartphone hat. Doch bald wird das Handy den klassischen Fahrzeugschlüssel immer häufiger auch beim Motorstart ersetzen. Das hat nicht zuletzt beim Carsharing und für Berufskraftfahrer große Vorteile. Doch bis es so weit ist, sind noch ein paar Fragen zu klären.

Derzeit ist das Auf- und Zusperren des Wagens über eine App bei Angeboten wie Mercedes me und BMW Connected Drive in erster Linie Spielerei. Oder im besten Fall eine Möglichkeit für vergessliche Fahrer, aus der Ferne zu prüfen, ob sie ihr Fahrzeug auch wirklich richtig abgeschlossen haben. Es gibt aber auch schon recht handfeste und praktische Anwendungsfelder für virtuelle Autoschlüssel. So erproben zurzeit Autohersteller die Paketlieferung in den Kofferraum: Der Bote erhält dafür auf sein Smartphone einen Einmalcode, der das Gepäckabteil für die Zustellung öffnet. Der Motorstart ist natürlich nicht möglich.

Einfach das Handy an den Türgriff halten

Als vollwertiger Autoschlüssel fungiert das Handy heute aber lediglich in Ausnahmefällen. Etwa bei Mercedes-Benz: Dort können Käufer einer neuen E-Klasse seit Kurzem die Option "digitaler Fahrzeugschlüssel" ordern. Für 120 Euro lässt sich das Smartphone mit bis zu vier Autos vernetzen, zum Entriegeln des Fahrzeugs muss das Telefon dann nur an den Türgriff gehalten werden. Der Motorstartknopf wird freigegeben, sobald das Gerät im Innenraum detektiert ist.

Nötig ist dafür ein Smartphone mit NFC-Technik (Near Field Communication) sowie einer speziellen Secure-SIM-Karte, die eine verschlüsselte Signalübertragung ermöglicht. Mercedes selbst preist die Technik als "Schritt in die Zukunft" und prüft offenbar, ob ein Geschäftsmodell drinsteckt, denn nach drei kostenlosen Jahren wird eine regelmäßige Grundgebühr fällig. Dass die Kundschaft beherzt zugreift, scheint derzeit eher unwahrscheinlich. Schließlich besteht der alltagspraktische Vorteil gegenüber den längst gängigen automatischen Smart-Key-Schließsystemen nur vor allem darin, dass neben dem Handy nicht auch noch der Autoschlüssel die Sakkotaschen ausbeult.

Die potenzielle Überlegenheit des digitalen Schlüssels wird im Mercedes-Modell dagegen nicht voll ausgespielt: Ist zum Öffnen und Starten kein greifbarer Gegenstand mehr nötig, entfällt beim Fahrer- oder Fahrzeugwechsel die Notwendigkeit zur Schlüsselübergabe. Statt über den faktischen Besitz des Schlüssels wird die Fahrberechtigung virtuell weitergegeben und getauscht – und notfalls auch entzogen. Potenziell sind so unendlich viele virtuelle Teil- oder Vollzeitschlüssel möglich. Mercedes beschränkt die Zahl pro Auto zunächst auf drei. Gerade einmal genug für Ehemann, Ehefrau und ein erwachsenes Kind.

Doch wie sicher ist die Technik?

Die Flexibilität digitaler Autoschlüssel ist vor allem für Carsharing-Anbieter, Autovermieter und Betreiber von Firmenflotten interessant. Auch Speditionen zählen zu den Zielkunden. Bosch etwa hat kürzlich auf der IAA Nutzfahrzeuge eine Lkw-Variante seiner für 2020 im Pkw angekündigten Technik präsentiert. Auch der Zulieferer setzt auf die NFC-Technik, die dank des geringen Energieverbrauchs auch bei leerem Handy-Akku noch funktionieren soll. Die Vorteile des Handy-Schließsystems sind im Lkw prinzipiell die gleichen wie im Pkw: So können die Disponenten in der Spedition Fahrberechtigungen per Mausklick verwalten und verteilen. Die Fahrer müssen sich nicht mehr einen physischen Schlüssel besorgen, sondern benötigen bei Dienstbeginn nur noch ihr Smartphone. Ebenso einfach gelingt das Widerrufen der Fahrtberechtigung.

Bis die Technik in der Breite startet, sind jedoch noch praktische, rechtliche und technische Probleme zu lösen. Um letztere kümmert sich beispielsweise das Car Connectivity Consortium, in dem sich unter anderem Apple, Samsung, Vodafone, BMW und General Motors zusammengeschlossen haben. Grundlagentechnik der Schlüssel, da ist sich die Branche weitgehend einig, sollen die weitverbreiteten Standardtechnologien NFC und Bluetooth sein. Entwicklungsbedarf hingegen gibt es noch bei Nutzerfreundlichkeit, Bedienbarkeit und nicht zuletzt bei der Sicherheit. Denn virtuelle Schlüssel können mindestens ebenso leicht gestohlen und kopiert werden wie ihre realen Pendants.

Interessant für Speditionen

Auch bei rechtlichen und praktischen Fragen stehen einige Antworten noch aus, nicht zuletzt aus Sicht der Versicherungswirtschaft. Die Allianz etwa wünscht sich eine Protokollfunktion, die speichert, wer das Fahrzeug zuletzt gefahren ist. Zudem stellt sich für die Assekuranz die Frage, wie sich ohne Schlüssel der Diebstahl eines Autos beweisen lässt. Bislang sandte der Halter die Schlüssel des entwendeten Fahrzeugs bei seiner Versicherung ein, um den Schaden ersetzt zu bekommen. Mit virtuellen Exemplaren ist das nicht mehr ohne Weiteres möglich.

Die Allianz fordert daher, virtuelle Schlüssel ebenso restriktiv zu verwenden wie ihre physischen Vorläufer und die unkontrollierte Vervielfältigung technisch zu verhindern. Zudem soll es für jedes Auto ein Verzeichnis der berechtigten Fahrzeugnutzer geben, das der Kunde nicht allein ändern kann.

Ob sich die Idee mit dem virtuellen Schlüssel bei den eher konservativen deutschen Privatwagenfahrern durchsetzt, hängt wohl nicht zuletzt von der administrativen Handhabung und der konkreten Bedienbarkeit der Technik ab. Wie aufwendig etwa ist ein Wechsel des Handys? Oder was passiert mit Bluetooth-Schlüsseln bei leerem Akku? Im gewerblichen Bereich, bei Speditionen und Carsharing-Anbietern, dürften die praktischen Vorteile hingegen so groß sein, dass der Handyschlüssel relativ schnell Standard werden wird.