Griechenland : Ein Land im Do-it-yourself-Modus
In acht Jahren der Krise sind in Griechenland viele Initiativen der Selbsthilfe entstanden. Häufig greift man dabei auf alte Traditionen zurück, wie unsere Bilder zeigen.
14. September 2018, 18:04 Uhr
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Bereits zwei Jahre nach Beginn der Krise ging das älteste und größte Keramikunternehmen Griechenlands pleite. Die ehemaligen Angestellten bekamen ihre Löhne nicht ausbezahlt, besetzten daraufhin die Fabrik und verwalten diese seitdem selbst. In den Lagerhallen wird jetzt nicht mehr nur gearbeitet. Dort finden auch internationale Konferenzen, Informationsveranstaltungen und Theatervorführungen statt. Der Name, Vio.Me, ist allerdings geblieben.
© Philipp Meuser / Kolja Warnecke
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Anstatt wie zuvor den chemielastigen Fliesenreiniger für den Mutterkonzern Philkeram Johnson herzustellen, produzieren sie jetzt unter anderem ökologische Seife, die in der ganzen Welt vertrieben wird. Gleichzeitig haben sie enorm damit zu kämpfen, am freien Markt rentabel zu sein. Vorher verdiente man 1.200 Euro im Monat. Der Lohn, der jetzt allen gleichermaßen ausgezahlt wird, beträgt lediglich um die 400 Euro – je nachdem, wie das Geschäft geht.
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Kämpferisch gibt sich die kommunistische Kooperative aber trotzdem. Marxistische Termini wie "Klassenkampf" und "Aneignung der Produktionsmittel" fallen ständig. Das ist in Griechenland nicht ungewöhnlich, denn die Kommunistische Partei (KKE) hat als älteste politische Partei Griechenlands eine lange Tradition.
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Die Kampfeslust zeigt sich auch auf dem Fabrikhof. Barrikaden trennen ihn vom restlichen Gelände des ehemaligen Mutterkonzerns, um eine Räumung zu vermeiden, denn der Industriekomplex soll verkauft werden. Zu Beginn des Jahres kam die Polizei mit der Staatsagentur für Elektrizität, um den Strom abzustellen, für den die Besatzer nicht zahlen können. Innerhalb weniger Stunden waren 100 Mitglieder des Solidaritätsnetzwerks dort, um der Polizei den Weg zu versperren. Der Strom blieb an.
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Nicole Logotheti (32) studierte an der Aristoteles Universität in Thessaloniki Chemie und kam durch ein Solidaritätsnetzwerk in Kontakt mit dem Vio.Me-Kollektiv. Als der alte Chemikant ausstieg, füllte die transsexuelle Frau nach vier Jahren der Arbeitslosigkeit seinen Platz. Für sie ist es keine Option, das Land zu verlassen: "Ich habe das Gefühl, wenn ich Griechenland verlasse, würde ich die ganze Gesellschaft im Stich lassen."
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Hunde und Katzen sind in Griechenland fast allgegenwärtig. Auch auf dem Fabrikgelände von Vio.Me. Dort hallte das schrille Jaulen eines alten Streuners über den Hof, der sich am Bein verletzt hatte. Obwohl dort eine "Workers Clinic" gegründet wurde, in der zehn Fachärzte finanziell benachteiligte Menschen kostenlos behandeln, hätte man ihm schwerlich helfen können.
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Stefanos Sakellaridis (64) war einer der Ersten, die 2011 anfingen, auf der alten Militärbasis nur wenige Kilometer nördlich von Thessaloniki ihr Essen selber anzubauen. So hat sich der ehemalige Programmierer und Grafiker von der Lebensmittelwirtschaft unabhängiger gemacht und kommt mit seinen 200 Euro Arbeitslosengeld im Monat über die Runden. Arbeiten kann er nicht mehr, da fast alle kleinen Unternehmen, mit denen er vorher kooperiert hat, bankrottgegangen sind.
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Das riesige Übungsgelände ist seit 2006 ungenutzt. Um die leer stehenden Baracken sind bisher sieben Großgärten entstanden, die rund 200 Familien ernähren. Alle, die sich dort engagieren, kommen aus den unterschiedlichsten Milieus. Der gemeinsame Nenner ist die Armut. Ziel der Perka-Kooperative ist es, durch Selbstverantwortung, Egalitarismus, dauerhafte Bildung und Kommunikation einen gemeinsamen Weg aus der Krise zu finden.
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Der Wildwuchs greift auf dem ehemaligen Militärgelände um sich. Die Regierung will dort einen Park errichten, in dem sich die Menschen aus Thessaloniki erholen können. Das würde aber bedeuten, dass Sakellaridis seinen Garten aufgeben müsste. "Sie wollen eine grüne Lunge haben, aber die gibt es doch bereits", sagt er.
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Eine Kirche im bäuerlichen Krya Vrysi, rund 70 Kilometer außerhalb von Thessaloniki. Die Konsequenzen der Landflucht sind hier unverkennbar. Besonders die jüngere Bevölkerung zieht es entweder in die Stadt oder ins Ausland, wo sie sich bessere Zukunftschancen erhoffen.
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Die umliegenden Bauern lassen in der Regel ihren Feierabend in der Taverna ausklingen, wo sie gemeinsam speisen, trinken und fernsehen. Viele von ihnen fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen, weswegen sie mit ihren Traktoren wichtige Zufahrtswege und Kreuzungen blockierten, um bessere Bedingungen zu erstreiten. Ihr Protest gelangte zwar medienwirksam an die Öffentlichkeit, doch ihre Forderungen blieben unerfüllt.
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In Krya Vrysi ist es trist und geisterhaft. Früher kamen die saisonalen Feldarbeiter zur Erntezeit herbeigeströmt und einmal im Jahr sogar zum Karneval, der 2009 aus finanziellen Gründen eingestellt wurde. Die Feldarbeit wird immer weniger rentabel. Die Baumwollbauern pflegen zu sagen: "Aus weißem Gold wurde Arbeit für nichts."
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Heute lebt in Griechenland eine halbe Million Menschen von den Erträgen ihrer landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten 20 Jahren von 8,3 auf 3,4 Prozent gesunken, vor allem, da der Markt mit günstigeren internationalen Produkten gesättigt ist.
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Die Feldwege im Distrikt Pella, in dem auch Krya Vrysi liegt, sind gesäumt von altem Gerät, aufgerollten Wasserschläuchen und Traktoren. Der Gouverneur Theodoridis fordert eine Modernisierung und Technisierung des landwirtschaftlichen Betriebs.
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Christo Tsakarakis (60) ist einer der wenigen Bauern, die trotz Krise steigende Einnahmen verbuchen können. Er hat bereits 2006 die Prämie zur Vernichtung seiner Tabakplantage in ein modernes Gewächshaus angelegt und sich wissenschaftliche Hilfe von einem Agrarinstitut besorgt.
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In dem automatisch bewässerten Gewächshaus kann er nun das ganze Jahr über ertragreich anbauen. Ein Loch in der teuren Plane, wie hier nach einem Unwetter, macht ihm trotzdem Ärger.
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Das Polytechnikum in Athen ist eine der Hochschulen mit dem geringsten Budget in der Hauptstadt. Überall findet man Graffiti, eingeworfene Scheiben und eingebeulte Spinde. Die Ausbildung sei trotzdem gut, sagen drei Architekturstudentinnen. Sie alle wollen mindestens für ein Aufbaustudium ins Ausland. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 45 Prozent ist es nicht überraschend, dass mittlerweile 200.000 gut ausgebildete Jugendliche mit Hochschulabschluss ausgewandert sind.
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Anna Sakalaki (28) ist die Antithese zur Abwanderungstendenz. Sie studierte Medizin an der Vrije Universiteit Brussel und kam nach dem Abschluss zurück, um die Winzerei der Familie zu übernehmen, die ihr Großvater 1922 in der nordgriechischen Region Kilkis aufgebaut hat. Ihr ist es wichtig, optimistisch zu bleiben.
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Dieser Junge ist mit seinen Eltern aus Syrien geflüchtet. Sie bringen ihn jeden Morgen in die Räumlichkeiten einer Sozialstation für Kinder und Jugendliche. Dort wird er betreut, während seine Eltern versuchen, einen Job zu bekommen oder das nötige Kleingeld zu erbetteln. Die gemeinnützige Organisation bietet Kindern, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen unabhängig von Herkunft und finanziellen Mitteln ein vielfältiges Programm zur Weiterbildung. Besonders die Deutschkurse sind beliebt. Viele träumen davon, nach Deutschland zu kommen, doch die wenigsten haben Geld für die Weiterreise.
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In Kalamata, einer Stadt auf der Halbinsel Peloponnes, haben sich drei deutsche Frauen mit einer Gruppe von Agraringenieuren, Gärtnerinnen und Therapeuten zusammengefunden, um Menschen mit Behinderungen auch in Zeiten der Krise eine Perspektive zu geben. Vagelis Lekarakos (18) ist einer von 28 Jugendlichen, die nach der Schule eine Ausbildung bei Lysos Garden erhalten.
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Unter Anleitung lernen die Jugendlichen alles über ökologische Landwirtschaft. Ihre selbst gepflanzten Produkte verkaufen sie auf dem lokalen Markt und dürfen das damit verdiente Taschengeld behalten. Auch zwischenmenschlich machen sie Fortschritte. Nikos Tsitaros (25) hat zwar Freude am Gärtnern, am liebsten würde er jedoch Rapper werden.
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Theodoros Vasilogiannis (26) kommt gerne nach Lysos Garden, um zu lernen. Die Schuld an der Krise gibt er Ministerpräsident Alexis Tsipras, aber er glaubt daran, dass bald wieder alles besser wird.
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Hinter einer schützenden Plane verbirgt sich ein gut erhaltener Tempel des Apollon. Er steht abseits der sporadisch verteilten Dörfer zwischen den grünen Hügeln der Peloponnes und zieht durch seine Abgelegenheit wenig Touristen an. Das Geld der UNESCO zum Erhalt dieses Weltkulturerbes reicht nicht zur Restaurierung, weswegen der Tempel auf unabsehbare Zeit künstlich gesichert werden muss.
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Das Amphitheater der Kultstätte Epidauros stammt aus dem 4. Jahrhundert vor Christus und bietet für 14.000 Personen Platz. Seit 1952 werden hier wieder regelmäßig klassische Dramen vorgeführt, zu denen Zuschauerinnen und Zuschauer aus ganz Griechenland anreisen.
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Der Lykabettus, zu Deutsch Wolfsberg, wird nicht von den in Athen allgegenwärtigen Graffitis verschont. Hierher kommen nicht nur Touristen, um den Sonnenuntergang zu genießen. Auch Einheimische stellen sich in ihren Autos auf den Berg inmitten der Hauptstadt, lassen auf dem weitläufigen Parkplatz ihre Reifen durchdrehen oder genießen den Blick auf die Akropolis. Im Sommer werden im Freilichttheater auf der Rückseite dieses Felsens Stücke und Konzerte gespielt.
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Theodoros Christidis (39) wollte sich nicht mit seinem Eiskaffee fotografieren lassen, weil er fürchtete, als Symbol der sogenannten Frappé-Philosophie wahrgenommen zu werden. Als Werkstoffprüfer hat er oft Jobs in Deutschland. Griechenland zu verlassen, kommt für ihn aber nicht infrage. Dafür liebt er das Leben hier zu sehr.
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Ein Kampfjet vor dem Museum der griechischen Luftwaffe in Athen. Die militärische Tradition wird in Griechenland mit großen Paraden gefeiert. Zwischen 2010 und 2013 blieben die Kampfflugzeuge und Panzer bei diesen Anlässen jedoch geparkt, da kein Geld für den Sprit vorhanden war.
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Dieser serbische Mönch ist gerade auf dem Weg zurück in die autonome Mönchsrepublik Athos, die man nur mit dem Schiff erreichen kann. Auf Athos leben die Mönche in Askese. Er wird Ouranoupoli, was so viel wie Himmelsstadt bedeutet, im Morgengrauen mit der Fähre verlassen.
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Die Landschaft auf Athos ist verwunschen und beinahe surreal. Der Überlieferung zufolge strandete Maria auf dem Weg zu Lazarus auf der Halbinsel und bekam sie von Gott als Zufluchtsort versprochen. Deswegen wird die Republik auch Garten der Gottesmutter genannt. Allerdings ist nur Männern der Zutritt gestattet.
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Das orthodoxe Christentum ist Staatsreligion in Griechenland. Über 90 Prozent der griechischen Bevölkerung sind Mitglieder der orthodoxen Kirche. Die Verfassung ist immer noch im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit anstatt im Namen des Volkes geschrieben. Dementsprechend groß ist der Einfluss der Kirche auf die Entscheidungen der Politik.
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Der Kontrast zwischen alten Gemäuern und modernen Geländewagen wirkt häufig bizarr. Im Hintergrund erkennt man die Spitze des Heiligen Berges Athos, auf dessen Gipfel die Gottesmutter thronen soll.
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Die Athoniten lassen sich ungern fotografieren. Dieser Mönch machte auf der Fähre zurück nach Ouranoupoli eine Ausnahme. Überhaupt mit ihnen in Kontakt zu kommen, ist als nicht-orthodoxer Mensch schwer, wenn man sie nicht um ihren Segen bittet.
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Die ehemalige US-Militärbasis am 2001 stillgelegten Flughafen südlich von Athen soll zukünftig einem Bauprojekt der Superlative weichen. Das Hellinikon soll Hochhäuser, Grünanlagen, eine Shoppingpromenade, Hotels und ein Kasino umfassen. Dahinter steht die Lamda Development Company, die zu einem Großteil Spiros Latsis, dem reichsten Mann Griechenlands, gehört. Ein Bündnis aus Archäologen, Architektinnen und Umweltwissenschaftlern wehrt sich gegen das Megaprojekt.
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Die sogenannte Kartoffelbewegung ("kínima tis patátas") hat sich in Griechenland etabliert, als die Zwischenhändler trotz Krise zu hohe Gewinnmagen forderten und die Supermarktpreise in die Höhe trieben. Nun vermitteln lokale Gruppen wie O Topos Mou (zu Deutsch: unser Dorf) in Katerini zwischen Produzenten und Endverbrauchern. Der Preis bei ihnen ist um ein Drittel niedriger als im Supermarkt. Für ein Kilo zahlt man 25 Cent.
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Im ganzen Land sind die Straßen gesäumt mit abbruchreifen Häusern und anderen Bauruinen. Häufig sind das ehemalige Clubs und Nachtlokale.
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Der Autor Lukas Schepers und die beiden Fotografen Philipp Meuser und Kolja Warnecke haben mit ihrem Projekt Neos Kosmos das Leben in Griechenland nach acht Jahren in der Krise dokumentiert. Entstanden ist eine Bilderserie, die vor allem die vielen Initiativen der Selbsthilfe beschreibt und zeigt, in welchem Umfeld sich diese Menschen mit ihren Nöten und Hoffnungen bewegen.