Die neuen SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans beschworen auf dem Parteitag der Sozialdemokraten den Zusammenhalt in der SPD. Walter-Borjans würdigte unter anderem Vizekanzler Olaf Scholz und den früheren Parteivize Ralf Stegner, die nach dem verlorenen Wettstreit um den Parteivorsitz nun auch nicht mehr im Parteivorstand sitzen. Ausgerechnet bei Stegner wird durch einen Telefonstreich deutlich, dass es um den Zusammenhalt mit Scholz offenbar gar nicht gut bestellt ist.
Über den Streich des umstrittenen YouTubers Klemens Kilic hatte zunächst die „Bild“ berichtet. Das Video davon hatte bis Sonntagnachmittag rund 40.000 Aufrufe. Stegner selbst wollte dazu nicht Stellung nehmen.
Kilic, der ein Video mit der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock zur Landtagswahl in Sachsen mit der Empfehlung „Blau wählen!“ beendete und von der AfD als „Sympathisant unserer Bürgerpartei“ bezeichnet wird, hatte Stegner am Mittwoch angerufen und sich dabei als Walter-Borjans ausgegeben. Nach nur einem Läuten meldet sich der 60-Jährige mit einem einfachen „Hallo?“. Kilic: „Hallo Ralf, hier ist Norbert Walter-Borjans, hast du kurz Zeit?“ Stegner scheint nicht zu merken, dass da am anderen Ende jemand ganz anders ist. „Na klar“, antwortet er nur.
Darauf folgt ein rund zweieinhalbminütiger Dialog, in dem Stegner schnell einräumt, sich vorstellen zu können, die Posten von Scholz als Vizekanzler und Finanzminister zu übernehmen.
YouTuber Kilic sagt, er habe ein Anliegen. In der Parteibasis rumore es stark. Esken und er (als Walter-Borjans) hätten sich zusammengesetzt und eine Lösung erarbeitet, mit der sie „beide Camps“ – die Scholz-Unterstützer und die eigenen – zufriedenstellen könnten. Es sei wichtig, auf dem Parteitag, der nach dem Telefonstreich beginnen sollte, ein Signal zu setzen, dass ein Neuanfang gewollt sei, „ohne aber unverantwortlich zu werden“.
Dann kommt es: „In Rücksprache mit Kevin Kühnert und Karl Lauterbach“, sagt Kilic alias Walter-Borjans, „die mir ganz klar zu verstehen gegeben haben, dass wir ein deutliches Signal setzen müssen, glaube ich, dass wir die GroKo erhalten müssen, aber gleichzeitig den Vizekanzlerposten mit einer bekannten progressiven Stimme neu besetzen möchten. Und mit Saskia im Gespräch haben wir da an dich gedacht. Was hältst du davon?“
„Vorstellen kann ich mir das“
Stegner schweigt gute fünf Sekunden, überlegt. „Das ist jetzt natürlich sehr überraschend“, sagt er dann. Er müsse da einen Moment drüber nachdenken. „Aber Erfahrung als Finanzminister habe ich tatsächlich.“ – Kilic: „Ja, die hast du.“ – Stegner: „Und, äh, vorstellen kann ich mir das.“ Zuerst müsse er darüber aber mit seiner Frau reden.
Kilic gaukelt Verständnis vor, er wolle am folgenden Tag am Mittag noch mal anrufen und danach auch mit Scholz über das Thema sprechen. Vor dem Parteitag werde das noch gemacht.
Stegner wiederholt: „Okay, das ist jetzt sehr überraschend. Aber ich spreche gleich mit meiner Frau.“ Insgesamt teile er seine, Walter-Borjans, Einschätzung: „Wir müssen einerseits da drinbleiben, aber andererseits klar ein Signal setzen, dass es Veränderungen gibt – aus einer selbstbewussten Partei heraus.“ Auch wenn sie gegeneinander kandidiert hätten, „weißt du, dass ich inhaltlich deutlich näher bei all dem bin, was ihr vertretet, als bei anderen. Das ist ja klar.“
Kilic in seiner Rolle als designierter SPD-Chef bauchpinselt Stegner noch ein wenig: „Ganz genau. Und du bist bekannt. Du hast eine Stimme in der Partei. Und ich finde das prima, dass wir da zusammenstehen.“ Er werde am folgenden Tag gegen elf, zwölf Uhr wieder anrufen. „Dann wünsche ich dir noch einen schönen Abend“, sagt Kilic. – „Danke, das wünsche ich dir auch. Mach‘s gut, tschüss“, beendet Stegner das Gespräch.
Auf Nachfrage von WELT dementierte Stegner nicht, auf den Streich hereingefallen zu sein, sondern sagte nur: „Zu solchen Dingen äußere ich mich grundsätzlich nie.“
Stegner hatte eigentlich weiter im Bundesvorstand seiner Partei aktiv bleiben wollen, wurde aber im ersten Wahlgang auf dem Parteitag in Berlin nicht gewählt und verzichtete dann auf einen zweiten freiwillig. Stegner war seit 2014 stellvertretender Parteivorsitzender. Zur Neuwahl der Vizes auf dem Parteitag am Freitag war er nicht angetreten.
Hinweis der Redaktion: Eine Einordnung des YouTubers Klemens Kilic wurde nachträglich eingefügt.