Und wie viele sind es heute? Seit Wochen schauen nicht nur Wissenschaftlerinnen und Forscher gebannt darauf, wie viele Menschen das neue Coronavirus Sars-CoV-2 infiziert hat und wer an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorben ist. Natürlich ist das wichtig, um abzuschätzen, wie gefährlich der Ausbruch ist und noch werden kann. Trotzdem wird bei all den Diskussionen zur Letalität des Virus allzu oft vergessen, dass nur die wenigsten Menschen an einer Infektion sterben. Die allermeisten werden wieder gesund, sie genesen. Aber ab wann kann man davon ausgehen, dass die Krankheit überwunden ist? Und sind Menschen, die eine Infektion durchgemacht haben, künftig vor dem Virus geschützt?

Die Zahl derer, die die Krankheit offiziell überstanden haben, steigt seit Mitte Februar kontinuierlich an. Der Großteil dieser Daten stammt aus China, wo nach wie vor fast 90 Prozent aller bekannten Covid-19-Fälle registriert sind. Momentan weist allein die chinesische Seuchenschutzbehörde schon mehr als 50.000 Menschen als geheilt aus – bei etwa 80.000 bestätigten Fällen. Ein gutes Zeichen. "Im Moment würde ich die Zahlen aber am ehesten als Entlassungszahlen von Menschen sehen, die im Krankenhaus behandelt wurden", sagt Clemens Wendtner, Chefarzt am Klinikum Schwabing in München, der die ersten deutschen Coronavirus-Infizierten therapiert hat. Zwar ist in China offiziell geregelt, wann Infizierte aus dem Krankenhaus entlassen werden dürfen. Ob all diese Menschen aber auch wirklich drei Tage fieberfrei waren und zweimal negativ auf das Virus getestet wurden, lässt sich kaum mehr prüfen. Vieles spricht jedenfalls dafür, dass der Ausbruch das chinesische Gesundheitssystem dermaßen stark belastet, dass nicht für alle offiziell Genesenen klar ist, ob sie wirklich nicht mehr ansteckend waren, als sie die Klinik verließen, oder ob sie zum Beispiel Platz für schwerer Erkrankte machen mussten.

In Deutschland gelten aktuell 16 Menschen als genesen: 14 davon sind Mitarbeiter des bayerischen Automobilzulieferers Webasto und deren Angehörige. Bei zwei weiteren aus Wuhan evakuierten Deutschen wurde das Virus Anfang Februar festgestellt. Sie wurden im Universitätsklinikum Frankfurt behandelt und sind – wie auch die bayerischen Infizierten – inzwischen wieder gesund. Wenn die Fallzahlen weiter steigen, werden allerdings auch in Deutschland früher oder später Menschen an Covid-19 sterben, das lehrt die Erfahrung aus Ländern wie Italien. Trotzdem sagt René Gottschalk, Leiter des Gesundheitsamts in Frankfurt am Main: "Die Genesenen sind unser Pfund, mit dem wir wuchern können. Das zeigt: Es ist eine Krankheit, mit der wir fertigwerden können."

Wann ist jemand wieder gesund?

Bei den meisten Patienten verläuft eine Infektion mit dem neuen Coronavirus mild. Da es noch keine gezielte Therapie gibt, stehen bei der Behandlung unterstützende Maßnahmen im Mittelpunkt. Patientinnen und Patienten bekommen Sauerstoff, Flüssigkeit und in manchen Fällen Antibiotika, um zusätzliche Infektionen durch Bakterien zu vermeiden. In schweren Fällen wird beatmet. Nach Definition des Robert Koch-Instituts (RKI) kann man Infizierte frühestens zehn Tage nach Beginn ihrer Symptome als genesen von Covid-19 bezeichnen. Außerdem dürfen sie 48 Stunden lang kein Fieber gehabt haben und seit mindestens 24 Stunden keine Symptome der Infektion mehr verspüren, wie etwa Husten oder Fieber. Zusätzlich fordert das RKI zwei negative Untersuchungen auf das Virus. Das heißt: Sars-CoV-2 darf sich bei zwei Abstrichen aus dem Nasenrachenraum nicht nachweisen lassen. Die beiden Untersuchungen müssen 24 Stunden auseinanderliegen. 

Wendtner hat diese Definition gemeinsam mit dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit mitentwickelt, als er in seiner Klinik neun der ersten 14 bayerischen Coronavirus-Infizierten behandelte. Täglich nahmen ihnen die Ärzte Abstriche aus Nase und Rachen, dazu Hustenschleim, Stuhl-, Urin- und Blutproben, um darin nach dem Virus zu suchen. Gemeinsam mit Christian Drosten von der Charité und Roman Wölfel vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr wertete Wendtner die Daten aus. "So konnten wir nachweisen, dass infektiöse Sars-Cov-2 Viruspartikel im Schnitt nach zehn Tagen in Abstrichen nicht mehr nachweisbar waren", sagt er. Auf diese Definition der Genesung einigten sich die Forscher schließlich mit dem RKI. "Obwohl wir nach wissenschaftlichen Kriterien im Einzelfall auch noch eher entlassen könnten", sagt der Chefarzt. Denn ab dem Zeitpunkt, als die Viruszahl im abgehusteten Schleim von Patienten auf eine Million Viren pro Milliliter abgefallen war, waren die Erreger nicht mehr in der Lage, auf Zellkulturen zu wachsen. Das bedeutet: Die Patienten sind dann nicht mehr infektiös, obwohl sie noch Viruspartikel in sich tragen und zum Beispiel im Stuhl noch wochenlang ausscheiden können. 

Die Politik aber wollte auf Nummer sicher gehen, sagt Wendtner. Man habe Wert darauf gelegt, dass Patienten gar keine Viren mehr ausscheiden dürfen, bevor sie entlassen werden – auch nicht im Stuhl. Er spricht von einer "politischen Stuhldiskussion". Nachdem die Wissenschaftler aber nachweisen konnten, dass die Fäkalien der Patienten trotz Nachweis von Viruspartikeln nicht ansteckend sind, habe man sich auf einen Kompromiss geeinigt. Eben den, dass zumindest die Nasen-/Rachenabstriche zweimal virusfrei sein müssen, ehe ein Patient entlassen werden darf. "Daher mussten die Patienten hier noch ein paar Tage länger ausharren", sagt Wendtner.

Kein Überblick über Genesungen

So wird es wohl auch jenen Menschen gehen, bei denen in den vergangenen Tagen die Diagnose Covid-19 gestellt wurde und die jetzt in deutschen Kliniken behandelt werden. Denn die strenge Definition des RKI, wann jemand als genesen gilt, ist deutschlandweit gültig. Und es gebe derzeit auch keine Planung, das zu ändern, sagt RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. Auch wenn perspektivisch klar sei, dass man Patientinnen und Patienten nicht ewig im Krankenhaus behalten könne, nur darauf wartend, dass der Abstrich negativ wird. Denn wenn immer mehr Menschen sich mit Sars-CoV-2 infizieren, steigt auch der Druck auf die Betten. Menschen, die nicht mehr ansteckend sind, müssen dann Platz machen für neu Infizierte. In Einzelfällen und nach Absprache mit den Gesundheitsämtern können Kliniken aber auch schon jetzt entscheiden, Patienten doch schon eher zu entlassen. Künftig aber, sagt Wendtner, werde man darüber diskutieren müssen, ob positiv getestete Patienten mit wenigen Beschwerden überhaupt stationär aufgenommen werden müssen oder nicht vielmehr in Absprache mit dem Gesundheitsamt in Heimisolation geschickt werden sollten.