In Deutschland häufen sich die tödlichen Velounfälle – ältere Menschen sind besonders gefährdet

Der Strassenverkehr in Deutschland wird immer sicherer. Doch bei einer Gruppe steigt die Zahl der Verkehrstoten: den Velofahrern. Die Fahrradlobby nimmt die zukünftige Bundesregierung in die Pflicht.

Jacqueline Lipp 3 min
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Ein weisses Fahrrad erinnert in Berlin an eine verunfallte Radfahrerin.

Ein weisses Fahrrad erinnert in Berlin an eine verunfallte Radfahrerin.

Stefan Boness / Imago

Diesen Mittwoch ist in Gera in Thüringen ein 43 Jahre alter Mann mit seinem Fahrrad in den Gleisen der Strassenbahn hängen geblieben und gestürzt. Der Fahrer der herannahenden Strassenbahn konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen. Der Radfahrer wurde eingeklemmt und erlag noch vor Ort seinen Verletzungen.

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Am Ostersamstag erfasste ein Auto auf einer Landstrasse in Karlsbad-Ittersbach in Baden-Württemberg eine Radfahrerin. Die 35-Jährige übersah mutmasslich den Wagen, sie wurde durch den Zusammenprall weggeschleudert und so schwer verletzt, dass sie auf der Unfallstelle verstarb.

In Lünen in Nordrhein-Westfalen übersah ein Lastwagenfahrer Ende März eine 16-jährige Frau auf dem Radweg. Beim Rechtsabbiegen erfasste er die Jugendliche. Sie verstarb noch am Unfallort.

441 Radfahrer kamen in Deutschland 2024 ums Leben. Die Zahl der getöteten Velofahrer ist gegenüber 2014 um 11,4 Prozent gestiegen, wie Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zeigen. Jedes sechste Todesopfer ist im Strassenverkehr mit dem Fahrrad unterwegs.

Dabei werden die Strassen in Deutschland immer sicherer: Die Zahl der Verkehrstoten insgesamt ging zwischen 2014 und 2024 um 18,3 Prozent zurück.

E-Bike-Boom verantwortlich für den Anstieg

Der Anstieg der Zahlen bei Radfahrern ist auf einen Trend zurückzuführen, der in vielen Ländern für höhere Unfallzahlen sorgt. In Deutschland war im vergangenen Jahr fast die Hälfte der tödlich verunfallten Radfahrer mit einem E-Bike mit einem Elektromotor bis 25 Kilometer pro Stunde unterwegs – insgesamt 192 Personen. Zehn Jahre zuvor waren es 39.

Das Radfahren mit Antrieb wird beliebter. 2023 sind laut dem Zweirad-Industrie-Verband erstmals mehr E-Bikes als herkömmliche Fahrräder verkauft worden. Die Geräte sind umweltschonend und schnell, sie erleichtern Pendlern genauso wie Rentnern die Mobilität.

Mit der Geschwindigkeit steigt auch das Unfallrisiko. Der Bremsweg ist mit einem E-Bike länger als mit einem klassischen Velo. Zudem bedingt das höhere Tempo eine schnelle Reaktionszeit, was im Alter tendenziell abnimmt.

Die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen: Besonders ältere Personen sind gefährdet. Knapp zwei Drittel der 2024 tödlich verletzten Velofahrer waren älter als 65 Jahre.

Zudem deutet viel darauf hin, dass die Stürze mit E-Bikes gravierender sind als mit klassischen Fahrrädern. Kopfverletzungen nach E-Bike-Unfällen sind gemäss einer neuen Studie des Universitätsspitals Zürich ähnlich wie nach einem Motorrad-Crash.

In der Schweiz zeigt die Tendenz in dieselbe Richtung. 2014 verunfallten fünf E-Bike-Fahrer tödlich. 2024 waren es fünfmal so viele. Bei den Velofahrern ohne Motor sanken die Todeszahlen hingegen. Doch anders als in Deutschland ist in der Schweiz die Strasse gefährlicher geworden. Mit 250 Todesfällen wurde 2024 der höchste Stand seit 2015 registriert.

Die Radfahrer sind bei jedem zweiten Unfall selber schuld

Bei jedem zweiten Unfall mit verletzten Velofahrern tragen diese selber die Schuld. Allerdings muss man relativieren: Sind Autofahrer am Unfall beteiligt, tragen Radfahrer nur in einem von vier Fällen die Hauptschuld. Bei Unfällen mit Lastwagen war der Anteil noch tiefer.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) reagiert besorgt auf die Entwicklung, ist aber nicht erstaunt. «Radwege sind oft kaputt, von Hindernissen übersät, viel zu schmal, zugeparkt oder fehlen – beispielsweise an Landstrassen – oft ganz», sagt die Bundesgeschäftsführerin Caroline Lodemann. Vielfach müssten Velofahrer die Strasse mit dem schnelleren Autoverkehr teilen, was Stress und Gefahr für alle erhöhe.

Lodemann sagt: «Die Infrastruktur hinkt dem wachsenden Radverkehr weit hinterher.» Der Verband fordert die Bundesregierung und die Kommunen dazu auf, den Ausbau von sicheren Radwegen voranzutreiben. Zudem solle Tempo 30 innerorts zum Standard werden.

In einer früheren Version des Artikels stand, dass die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland zwischen 2014 und 2024 um 22,4 Prozent zurückgegangen sei. Das Statistische Bundesamt hat diese Angabe am Donnerstagnachmittag auf 18,3 Prozent korrigiert.