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WM-Blamage gegen Mexiko Kein Leader, Schönwetterspieler, keine Einstellung - die stern-WM-Jury knöpft sich Jogis Jungs vor

Joachim Löw und Marco Reus
Joachim Löw und Marco Reus beim Spiel der DFB-Elf gegen Mexiko. Bis zum zweiten Gruppenspiel hat die Mannschaft noch viel zu tun.
© Ina Fassbender / DPA
"Selbstgefällig, behäbig, dumm" - so titelte die Presse über den WM-Auftakt der Nationalmannschaft gegen Mexiko. Auch die stern-WM-Jury ist nach dem Auftritt entsetzt, gibt aber die Hoffnung noch nicht auf. 

Das Ziel für die deutsche Nationalmannschaft in Russland ist klar: Titelverteidigung. Der Auftakt gegen Mexiko ging allerdings gründlich daneben. Für die stern-WM-Jury bewerten sechs Prominente die Spiele der DFB-Elf. Sophia Thomalla, Laura Wontorra, Marie von den Benken, Robert Habeck im Wechsel mit Annalena Baerbock und Ralf Kleber melden sich immer am Tag nach dem Auftritt der Nationalmannschaft zu Wort.

Sophia Thomalla
Sophia Thomalla arbeitet als Schauspielerin, Moderatorin und Model. Für die stern-WM-Jury schreibt sie über die Spiele der DFB-Elf.
© stern

Sophia Thomalla: Ich sehe einfach keinen Leader

Noch nie war es einfach als amtierender Weltmeister den Titel zu verteidigen.  Startschwierigkeiten hatten wir eigentlich immer mal wieder. Aber gestern Abend waren ich und Millionen andere Fußball-Fans vollkommen entsetzt. Denn was wir eigentlich noch nie in dieser Form hatten, war eine mangelnde und ängstliche Einstellung über volle 90 Minuten! Es hatte sich irgendwie schon in den sogenannten "Test"-Spielen angebahnt und klar gezeigt - ich sehe einfach keinen Leader, keinen Typ a la Schweini, der mal das Pressing aggressiv gegen die zweifelsohne wendigen und hoch motivierten Mexikaner körperlich durchsetzt. 

Die Körpersprache eines Timo Werner zum Beispiel einfach nur frustrierend........ - der Junge hat soviel Talent und wirkt eigentlich immer, als ob man ihn zu etwas zwingen würde. Bezeichnend seine Auswechslung, als er sich ganz verstohlen an den Oberschenkel "fühlt" - bei einem gegnerischen Einwurf! Hätte nur noch gefehlt, dass er heulend an Jogis Brust fällt ..... Mann Mann Mann. Ich habe nach dieser Leistung die Befürchtung, dass der amtierende Weltmeister froh sein kann, wenn er die Gruppenphase übersteht.

Aber ich hoffe! Ich hoffe, dass irgendeiner gestern wenigstens in der Kabine Leidenschaft gezeigt hat. Die Tür mal eingetreten hat. Der Boateng dem Mesut mal lautstark klar gemacht hat, dass Grätschen nicht verboten ist. Ein reinigendes Gewitter, dass die im Fußball notwendige Hierarchie entstehen lässt - und die Jungs im nächsten Spiel den Gegner einfach überrollen. Kämpfen, schwitzen, beißen - unsere alten Tugenden sind die Lösung. Lasst uns hoffen....

Laura Wontorra
Laura Wontorra berichtet für RTL unter anderem von den Qualifikationsspielen der deutschen Nationalmannschaft. In der stern-WM-Jury nimmt sie das Auftreten der Löw-Elf in Russland unter die Lupe. 
© Hublot Big Bang Steel White Diamonds

Laura Wontorra: Reus muss von Anfang an spielen gegen Schweden

Eine tolle Stimmung in einer unglaublich tollen Stadt, lustige singende Mexikaner, ein atemberaubendes Stadion und Wodka aus Flaschen, darüber hätte ich gern berichtet von meiner Reise zum Auftaktspiel der Mannschaft in Moskau. Nun steht aber über allem dieses wirklich schwache Spiel. Auf der Tribüne entsteht schnell ein Kollektivgepöbel über Özil und unseren jetzt nun besten Spieler aller Zeiten: Kroos! 

Ja Jungs, das könnt ihr besser! Aber da für mich das Glas immer halb voll ist, lasst uns lieber über Lösungsansätze nachdenken: Erste Baustelle ist das Umschaltspiel nach hinten! Boateng wirkte ab Minute 60 völlig erschöpft, wenn er noch nicht bei 100% ist, sollte der Bundestrainer gegen Schweden Süle den Vortritt lassen! Aber noch viel wichtiger: Die Mannschaft muss Bewegung schaffen in der Offensive. Das hat besser geklappt als Reus im Spiel war. Ihm hat man angemerkt, dass er will und Bock hat. Reus muss von Anfang an spielen gegen Schweden! Damit sind wir aber auch bei der größten Aufgabe für den Bundestrainer: Jogi Löw muss elf Spieler finden, die wirklich brennen! Deutsche Topstars wie Özil oder Khedira dann rauszulassen oder sie zu übergehen, wird nicht einfach, er hat mit den Spielern so viel erreicht, aber ich bin mir sicher, der Bundestrainer schafft diesen Spagat! 

Marie von den Benken: Im DFB-Team sind jetzt erst mal "Los Wochos"

Ein Hauch von HSV weht durch das Luschniki-Stadion. #DieMannschaft startet gegen Mexiko mit einem komplett uninspirierten Auftritt. Dabei ging es so gut los: Spielerfrauen überschwemmen Instagram mit Support-Postings und das ZDF verschont uns mit Béla Réthy, dem Mann, der 512 verschiedene Versionen kennt, "Jérôme Boateng" auszusprechen. 

Jogi Löw entscheidet sich jedoch, das Auftaktspiel herzuschenken und verzichtet auf Marco Reus. Die TV-Kommentatoren vermissen "deutsche Tugenden". Gut, was sollten Kroos, Khedira & Co. auch machen: Es ist Sonntag und da darf man keine Autos waschen. Löw sieht währenddessen aus, als würde er lieber ein paar Köpfe waschen. Vornehmlich die der Schönwetterspieler Mesut Özil und Thomas Müller. Fazit: 0:1 gegen Mexiko – im DFB-Team sind jetzt erst mal "Los Wochos".

Robert Habeck
Robert Habeck ist seit Januar 2018 Bundesvorsitzender der Grünen - gemeinsam mit Annalena Baerbock. Abwechselnd schreibt die Doppelspitze für die stern-WM-Jury über die Spiele der deutschen Nationalmannschaft.
© Frank Peter

Robert Habeck: Leidenschaft und Wille haben gefehlt

Vor dem Spiel sagte Oliver Bierhoff, die deutsche Strategie beruhe auf "Ordnung, Aufmerksamkeit, Geduld". Was wir dann sahen, war fehlende Laufbereitschaft, kein Gegenpressing, Zweikampfschwäche. Man nennt das "mangelnde Einstellung". Will sagen, Geduld hin oder her, am Ende wird Fußball doch über Leidenschaft und Wille entschieden, über Schnelligkeit und Bissigkeit. Und das hat in der ersten Halbzeit gefehlt. 

Marco Reus zeigte dann, wie es anders geht. Es war sein WM-Debüt und was für eines:  Er war torhungrig, ungestüm, kämpfte. Deutschland stellt die erfahrenste Mannschaft seit langem, alles gesehen, vieles gewonnen. Kann es sein, dass genau das das Problem ist? (Das ist übrigens rein sportlich gemeint.)

Ralf Kleber
Ralf Kleber ist der Chef von Amazon Deutschland. Für die stern-WM-Jury beschäftigt er sich mit den DFB-Spielen in Russland.
© Dieter Mayr

Ralf Kleber: Ohne Optimismus funktioniert kein Matchplan

Ganz ehrlich: Mein eigener Matchplan war nicht gerade perfekt, als feststand, dass ich ausgerechnet an diesem Sonntag beruflich nach Seattle fliege. Da hilft nur Meilen-Upgrade und kurz hinter Grönland den Anpfiff im Stream live miterleben. Leider hatte die für den Flug geplante Maschine einen Fahrwerkschaden und der Back-up-Flieger kein WiFi. Also dann kurz nach der Landung die Wiederholung im Hotel ansehen, bei der ich mich aber schnell fragte, ob auch der Mannschaft ein Zehn-Stunden-Flug in den Knochen steckte. 

Die Wahrheit tut manchmal weh: Dem Auftritt unserer Nationalmannschaft mangelte es an Ordnung, Kreativität und Abschlussstärke. Dass das Team aus Mexiko an einem guten Tag ein unangenehmer Gegner sein kann, war bekannt. Und trotzdem: Der Plan von Jogi Löw ist gestern nicht aufgegangen. Es ist jedoch nicht die Zeit für einen Abgesang auf die titelverteidigende Mannschaft. Um Schweden zu schlagen, braucht die Defensive eine neue Ordnung und ein präziseres Passspiel. Unsere Offensive braucht mehr Spielwitz und Kaltschnäuzigkeit im Abschluss. 

Und an alle 80 Millionen Bundestrainerinnen und Bundestrainer: Ohne Optimismus funktioniert kein Matchplan. Die Mannschaft hat oft genug bewiesen, dass sie über diese Fähigkeiten verfügt. Am Samstag wäre der ideale Zeitpunkt, diese Fähigkeiten wieder abzurufen. 

Thomas Müller war im Spiel gegen Mexiko kaum zu sehen

Müller unsichtbar, aber einer war ein Totalausfall - das DFB-Team in der Einzelkritik

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