Nach langer Feindschaft :
Zwei Alphawölfe schließen Frieden

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Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder 1998 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bonn
Beide wollten Bundeskanzler werden. Nur einer hat es geschafft. Nun gratuliert Gerhard Schröder Oskar Lafontaine zum bevorstehenden 80. Geburtstag.

Mehr als ein Vierteljahrhundert ist es her. Da hatten sich Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine, begleitet von ihren Frauen, für die Fotografen an der Saarschleife, hoch über der Saar getroffen. Die Gattinnen hießen damals noch Doris Schröder-Köpf und Christa Müller. Das Bild sollte Harmonie ausstrahlen, ein Jahr vor der Bundestagswahl, bei der die beiden Männer – niedersächsischer Ministerpräsident der eine, SPD-Bundesvorsitzender der andere – Helmut Kohl in den Ruhestand schicken wollten.

Nun also haben sie sich wieder getroffen, jedenfalls die Herren von damals, die Frauen sind andere. So-yeon Schröder-Kim heißt die eine, Sahra Wagenknecht die andere. Bereits im Mai, so berichtet jetzt der „Stern“, hätten die beiden Paare fünf Stunden miteinander in Lafontaines Haus im Saarland verbracht. Zwischenzeitlich hätten die Herren sich zurückgezogen zum Vieraugengespräch. Sie dürften sich viel zu sagen gehabt haben nach all den Jahren der Feindschaft.

Um klarzumachen, dass das Treffen der Versöhnung dient, hat Schröder im „Stern“ einen Geburtstagsbrief nachgeschoben. Lafontaine wird am Samstag 80, Schröder im nächsten Frühjahr. „80 Jahre alt zu werden, ist gewiss ein Grund, alte Reibereien Geschichte werden zu lassen“, schreibt der ehemalige Kanzler, der zum Lobbyisten des russischen Präsidenten Wladimir Putin geworden ist. Schröder gratuliert und dankt Lafontaine „für deine jahrzehntelange Freundschaft – auch in schwierigen Zeiten“. Das Schwierigste für das Verhältnis der beiden war Lafontaines Kampf gegen seine einstige Partei mit der Partei „Die Linke“.

Steckt mehr hinter der Versöhnung?

Deswegen liegt auch die Frage nahe, ob hinter der Versöhnung mehr steckt. Wagenknecht, einstige Ikone der Linkspartei, spielt intensiv mit dem Gedanken, eine eigene Partei zu gründen. Wollen die alten Herren wieder ein ganz großes Ding drehen, so etwas wie die Vereinigung aller Linken? Doch das ist unwahrscheinlich. Zu sehr hängt Schröder an der SPD, zu weit ist alles, was Wagenknecht macht, von dieser entfernt. Am Ende geht es doch nur darum, dass zwei alte Männer an der Schwelle zum neunten Lebensjahrzehnt ihren Frieden miteinander machen.

Hinter Schröder und Lafontaine liegt eine lange gemeinsame Wegstrecke voller Wendungen. Die beiden Politiker gehören zu einer Riege von jungen Sozialdemokraten, denen in den Siebzigerjahren ein steiler innerparteilicher Aufstieg gelingt und die sich dabei auf die marxistischen Wurzeln der Sozialdemokratie berufen. Dies gilt für Schröder, der es bis an die Spitze der Jusos schafft, noch stärker als für Lafontaine, der sich zunächst eher regionalpolitisch betätigt und 1976 Oberbürgermeister von Saarbrücken wird.

Die Achtzigerjahre bilden die Zeit der größten Übereinstimmung zwischen beiden. Schröder und Lafontaine werden damals zu den großen Hoffnungsträgern der Partei gezählt, den sogenannten Enkeln Willy Brandts. Besonders ins Auge sticht ihre Übereinstimmung in der Außen- und Deutschlandpolitik. Beide profilieren sich gegen Helmut Schmidt und die Nachrüstung und suchen den Schulterschluss mit der aufkeimenden Friedensbewegung. Lafontaine nimmt an einer Sitzblockade eines Army-Stützpunktes in Mutlangen teil und veröffentlicht 1983 im „Spiegel“ einen Beitrag mit der Überschrift „Den Austritt aus der Nato wagen“.

Schröder kopiert Lafontaines Strategie

Schröder fordert ebenfalls mehr Distanz zu Washington und will Gelder aus dem Verteidigungshaushalt in die Entwicklungshilfe umleiten. Nach der Abwahl der SPD auf Bundesebene betreiben die beiden Landespolitiker Nebenaußenpolitik und fallen durch ihre Reisetätigkeit zu den Machthabern in der DDR auf. Sie orientieren sich dabei stark an Egon Bahr, der vom Ziel einer Wiedervereinigung Deutschlands damals nichts mehr wissen will.

Als die Einheit Anfang 1990 plötzlich zum Greifen nah ist, bestreitet Oskar Lafontaine seinen Landtagswahlkampf erfolgreich mit Ressentiments gegen „Übersiedler“ aus der DDR. Schröder kopiert diese Strategie kurze Zeit später und setzt Lafontaine als Zugpferd für seine eigene Kampagne in Niedersachsen ein. Nach ihren Wahlsiegen sind Lafontaine und Schröder die einzigen Ministerpräsidenten, die gegen die Ratifizierung des ersten Staatsvertrags zur Wiedervereinigung stimmen. Im ersten gesamtdeutschen Wahlkampf im Herbst 1990 floppt der damalige Kanzlerkandidat Lafontaine jedoch – sein Widerstand gegen die schnelle Einheit erweist sich für den Saarländer als Bumerang. Das Verhältnis zwischen Schröder und Lafontaine ist nun zunehmend von Konkurrenz bestimmt.

Man habe sich „ein bisschen auseinanderentwickelt“, sagt Schröder 1993. Die SPD versucht zwar im Wahlkampf 1994, das Zusammenwirken von Kanzlerkandidat Rudolf Scharping mit Lafontaine und Schröder als Stärke zu inszenieren („Troika“), dies hat allerdings keinen Erfolg. Schröder lässt Lafontaine daraufhin gewähren, als dieser 1995 auf dem Mannheimer Parteitag Scharping stürzt. Die Rivalität um die nächste Kanzlerkandidatur zeichnet sich ab. Lafontaine setzt auf die traditionelle Parteidoktrin, während sich Schröder mit forschen Alleingängen und Nähe zu Wirtschaftsbossen als Erneuerer präsentiert.

Doch entscheidend für das Zerwürfnis der beiden Alphawölfe sind nicht die Unterschiede in der inhaltlichen oder strategischen Ausrichtung. Beide wollen unbedingt das Amt haben, das nur einmal zu vergeben ist: Sie wollen Bundeskanzler werden. Auf der Zielgeraden erweist sich Schröder als der bessere Taktiker. Er macht die niedersächsische Landtagswahl im März 1998, ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, zur „Volksabstimmung“ über die Kanzlerkandidatur der SPD. Auf seine bundespolitischen Ambitionen werde er verzichten, verkündet er, wenn die SPD zwei Prozentpunkte schlechter als bei der vorigen Wahl abschneide.

Im Umkehrschluss heißt das: Wenn das nicht passiert oder Schröder sogar zulegt, wird er Kanzlerkandidat. Die SPD gewinnt die Bundestagswahl, Schröder wird Kanzler. Von da an dauert es nur noch wenige Monate, bis Lafontaine im Streit aus der Regierung ausscheidet und den SPD-Vorsitz niederlegt. Damit ist einer der heftigsten persönlichen Konflikte zwischen zwei Spitzenpolitikern in der Geschichte der Bundesrepublik offen ausgebrochen. Nun also die Versöhnung.