Zum zweiten Mal in Folge findet die Berliner Internetkonferenz re:publica rein digital statt: Vorträge am Bildschirm statt Treffen am Kaffeestand im Hof. Wie bei so vielen Onlinekonferenzen zeigte sich auch dort im vergangenen Jahr, wie unfassbar zäh es sein kann, sich digitale Vorträge anschauen zu müssen. Warum eigentlich – und wie kann man es besser machen? Der Konferenzkünstler Marcus John Henry Brown, auf der re:publica bekannt für seine Ein-Mann-Theaterstücke, sagte schon vor dem Auftakt 2020: "Make better virtual keynotes!" Auch 2021 ist Brown wieder dabei. Dieses Mal hat er seinen Auftritt in einem Münchner Studio aufgezeichnet. Dort sitzt er auch für das Interview: Ausgewogen ausgeleuchtet, gestochen scharfes Bild, satter Ton – die Technik sitzt. Der gebürtige Engländer wechselt immer wieder für einzelne Sätze ins Englische.

ZEIT ONLINE: Mister Brown, was machen Sie dieses Jahr auf der re:publica? 

Marcus John Henry Brown: Eine Mischung aus totalem Unsinn, Dada-Theater und altenglischem Heidentum. Vergangenes Jahr hatte ich eine Performance geplant mit sehr viel Gesang, englischem Volkstanz, großer Bühne. Als Performancekünstler habe ich sonst mit viel Platz gearbeitet, einer Bühne, die ich voll ausschöpfen kann. Ein Publikum, das ich sehen kann. Jetzt habe ich nur dieses kleine Viereck auf einem Bildschirm. Am Anfang der Pandemie war es eine große Herausforderung, mich damit anzufreunden. Den Zugang dazu habe ich dann erst über einen Umweg gefunden. Ich habe mir angeschaut, wie andere Speaker digitale Vorträge halten. Und ich hab mich gefragt, warum sind die so unfassbar langweilig? Warum sind erfahrene Menschen, die so gut auf Bühnen sind, virtuell so unsäglich langweilig? 

ZEIT ONLINE: Woran liegt das?  

Brown: Der erste Grund ist: Es ist ein neuer Kontext. Eine Bühne bietet nicht nur Platz, man hat auch eine Hierarchie und Abgrenzung. Ich bin Performer. Und ihr seid Publikum. Jetzt sind wir gemeinsam in einem Videocall, wie jeden Tag im Büro. Der Zuschauer ist gleichzeitig Performer, alle schauen sich gegenseitig an. Damit kommen die wenigsten zurecht. Dann hat man die technische Herausforderung. Bisher musstest du als Keynote-Speaker einfach mit deinem Laptop oder USB-Stick auftauchen und der Rest war da: Licht, riesige Leinwand, toller Ton, ein Host, der dich anmoderiert. Jetzt bin ich Executive Producer. Ich mache die Beleuchtung, den Ton, den Schnitt. Das ist eine riesengroße Herausforderung für einen Keynote-Speaker. 

ZEIT ONLINE: Inzwischen beraten Sie Vortragende. Sollte jeder Speaker ein Studio anmieten, wie Sie?  

Brown: Ein ganzes Studio braucht man vielleicht wirklich nur, wenn man Perfomances wie ich macht. Aber man braucht Platz! Wir sind gefesselt an diese Stühle und gefesselt in diese kleine Box. Und um da rauszukommen, braucht man Platz. Und man braucht natürlich auch vernünftige Technik.

ZEIT ONLINE: Was ist die Grundausstattung? 

Brown: Man kann sich das abschauen von Twitch-Streamern. Man braucht ein Mikrofon, eine Kamera, Licht. Ein Stream Deck kann hilfreich sein, mit dem man zum Beispiel zwischen verschiedenen Kameras hin- und herschalten oder Effekte einspielen kann. Ein Mischpult braucht man vielleicht nicht unbedingt, aber es hilft, wenn man Leute mit Magie überraschen will.

Er drückt einen Knopf außerhalb des Bildes, im Videocall ertönt ein Glockenspiel.  

ZEIT ONLINE: Aber das macht aus einem guten Vortragsredner noch keinen guten Redner einer virtuellen Keynote, oder? 

Brown: Nein, es ist ein ganz neues Format. Keynotes are dead! PowerPoint reicht nicht mehr aus. Früher hatte man ein bisschen Text auf einer Folie oder ein großes Bild. Jetzt kannst du Bewegtbild verwenden. Und du brauchst es auch, weil es eben Fernsehen ist. Es ist nicht mehr Theater, es ist ein Bildschirm. Es hat mehr mit Fernsehen oder Twitch zu tun als mit einer Bühne. Eine gute virtuelle Keynote ist eine Mischung aus Ted Talk und den schnell geschnittenen Videos, die YouTuber wie Casey Neistat machen. Das zu verstehen, ist der erste Schritt und so muss man den Talk dann auch planen. Man muss sich mit Video auseinandersetzen, mit Musik, mit Timing. Man muss ein Manuskript schreiben: Was passiert, wie füge ich es zusammen, wie lange soll das dauern? Keynotes sollten heute auch keine 25 Minuten mehr dauern, sondern vielleicht sieben. Damit kommen erstaunlich wenig Menschen zurecht.

ZEIT ONLINE: Dem YouTuber Rezo haben Millionen sogar eine knappe Stunde zugehört, als er die CDU "zerstört" hat. Ist er einfach ein brillanter Vortragsredner? 

Brown: Er hat einige Vorteile, ja. Er hat eine sehr gute Stimme und er hat unfassbar viel Energie. Das ist nämlich der nächste Punkt: Die Kamera braucht 20 Prozent mehr.

Brown gestikuliert wild, kommt ganz nah an die Kamera.

Das macht Rezo, er arbeitet mit der Kamera, er ruft: "Du Kecko!" Die absolute Benchmark in dieser Hinsicht ist der Streamer Dr Disrespect. Er baut einen Charakter auf, erzählt eine Geschichte und interagiert mit einem Publikum, das ihn nur virtuell sieht. Oder der Comedian Teddy, was der für ein Timing hat. 50-jährige Redner, die sagen: Ach, ich mach' mal lieber ein bisschen PowerPoint – die können von solchen YouTubern viel lernen.