Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel ist tot. Er starb am Sonntag im Alter von 94 Jahren in München nach langer Krankheit, wie die Nachrichtenagentur dpa aus dem Umfeld der Familie erfuhr. Die SPD-Bundestagsfraktion schrieb auf Twitter: "Wir trauern um unseren ehemaligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Vogel. Er starb heute im Alter von 94 Jahren nach langer Krankheit in München. Er wird uns fehlen!"

Von 1987 bis 1991 war Vogel als Nachfolger Willy Brandts Parteivorsitzender der SPD und von 1983 bis 1991 in der Nachfolge Herbert Wehners Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. 1982 kandierte er als Bundeskanzler und unterlag gegen Helmut Kohl

Seine politische Karriere begann in München: Mit 34 Jahren wurde der 1926 in Göttingen geborene Professorensohn Oberbürgermeister – und damit jüngstes Stadtoberhaupt einer deutschen Großstadt. Wegen heftiger Auseinandersetzungen mit der SPD-Linken trat der damalige Vertreter der Parteirechten zurück und ging in die Bundespolitik. Dort war er als Bundesbau- und Bundesjustizminister tätig. 1981 war er für knapp vier Monate Regierender Bürgermeister in Berlin.

Soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt Europas

In der SPD galt Vogel zeitlebens als gutes Gewissen mit unerschütterlichen moralischen Grundsätzen. Zwei Themen trieben ihn besonders um: soziale Gerechtigkeit und der drohende Zerfall Europas. Als sich der Austritt Großbritanniens aus der EU erstmals abzeichnete, sagte Vogel, dass 70 Jahre Frieden in Europa nur durch die Überwindung des Nationalismus möglich geworden seien. "Wir haben in einem gemeinsamen europäischen Haus zueinander gefunden", so Vogel.

Im Rückblick auf die Arbeit der SPD sagte Vogel: "Was die Sozialdemokratie für Freiheit und Demokratie und Gerechtigkeit in 150 Jahren geleistet hat!" Es dürfe nie in Vergessenheit geraten, "dass die Sozialdemokraten 1933 die Ehre der Demokratie hochgehalten haben". Die SPD sei keine "Tageserfindung", sondern "ein gestaltendes Element der deutschen Geschichte", so Vogel. 

Seine Parkinsonerkrankung hatte Vogel erst wenige Jahre vor seinem Tod öffentlich gemacht, bis zuletzt lebte er mit seiner Frau in einer Seniorenresidenz in München. Hier ließ er sich – sofern es seine Gesundheit – zuließ von Freunden, von Journalistinnen und auch Parteifreunden besuchen. Mit ihnen diskutierte er gerne über hochaktuelle Fragen wie die Flüchtlingskrise oder die Gefahren, die von rechten Strömungen ausgehen. Wer Vogel erreichen wollte, der brauchte aus heutiger Sicht viel Geduld: Bis zu seinem Tod verschmähte er Handy und Computer.

Söder: Vogel hat sich "stets in den Dienst der Gesellschaft gestellt"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte Vogel als "eine der prägenden politischen Persönlichkeiten der Nachkriegszeit". Ihre Regierungssprecherin schrieb im Auftrag Merkels auf Twitter: "Sein Wirken war und ist Inspiration und Vorbild für viele Menschen in Deutschland." Merkels Gedanken seien bei der Familie Vogels.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der Witwe Liselotte Vogel kondoliert: "Wir haben einen Mann verloren, der die deutsche Sozialdemokratie und die Politik unseres Landes maßgeblich geprägt hat", schrieb Steinmeier. "Ich bin sehr bewegt und traurig über diese Nachricht." Der Tod Vogels sei auch für ihn "persönlich ein großer Verlust".

Die SPD-Koparteichefin Saskia Esken schrieb beim Kurzbotschaftendienst Twitter: "Wir trauern und verneigen uns vor diesem großen Sozialdemokraten." Generalsekretär Lars Klingbeil sagte, Vogel sei ein Politiker, "der dieses Land über Jahrzehnte geprägt hat und dem wir alle viel zu verdanken haben".

Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat Vogel als herausragende Persönlichkeit gewürdigt. "Über Parteigrenzen hinweg genoss er durch seine glaubwürdige Politik und authentische Art höchstes Ansehen", so Söder. "Als Oberbürgermeister der Stadt München hat er die Entwicklung der Stadt entscheidend mitgeprägt und sich auch später stets in den Dienst der Gesellschaft gestellt."

FDP-Chef Christian Lindner sagte: "Mit Hans-Jochen Vogel ist eine große Persönlichkeit gestorben. Er war ein echter Sozialdemokrat mit über jeden Zweifel erhabener Integrität." Die FDP werde besonders sein progressives Wirken als Justizminister der sozialliberalen Koalition nicht vergessen.