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Deutschland Verschwörungsideologien

„Wir raten Angehörigen, mit ,Querdenkern‘ nicht zu diskutieren“

Korrespondent
Verfassungsschutz beobachtet Teile der „Querdenker“-Bewegung

Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet Personen und Gruppen innerhalb der „Querdenker“-Bewegung. Das teilte das Bundesinnenministerium in Berlin mit.

Quelle: WELT

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Zwischen „Querdenkern“ und Sektenanhängern ließen sich viele Gemeinsamkeiten erkennen, sagt Sabine Riede. In ihrer Sektenberatungsstelle gibt sie Angehörigen von Corona-Leugnern Tipps. Es bestehe die Chance, Betroffene aus ihrer Filterblase zu holen – aber nur in Grenzen.

WELT: Frau Riede, wann haben Sie in Ihrer Beratungsstelle geahnt, dass die Corona-Pandemie eine neue Hochphase für Verschwörungsideologien sein könnte?

Sabine Riede: Das haben wir relativ schnell zu spüren gekriegt. Der Beratungsbedarf hat schon in den Jahren davor deutlich zugenommen. Die Verschwörungstheorien haben ziemlich Fahrt aufgenommen durch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Da ging es dann um diese QAnon-Bewegung. Mit Corona ist es dann absolut in die Höhe geschossen.

Sabine Riede, Geschäftsführerin der Sekten-Info NRW in Essen
Sabine Riede, Geschäftsführerin der Sekten-Info NRW in Essen
Quelle: Fotohinweis: Sekten-Info NRW

WELT: Wie oft haben Sie mit solchen Verschwörungsideologien zu tun?

Riede: Seit Mai 2020 gab es keinen Tag mehr, an dem wir nicht Beratungsgespräche wegen Verschwörungstheorien führen. Es geht jetzt ständig um Corona-Leugner und „Querdenker“. Wir hatten 2020 von 606 Beratungsfällen 160 zu Verschwörungstheorien. Das ist die vierfache Menge im Vergleich zum Vorjahr. In diesem Jahr gehen wir von einer weiteren Steigerung aus. Ein Beratungsfall umfasst vier bis 20 Gespräche.

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WELT: Über welche Probleme berichten die Menschen?

Riede: Generell geht es darum, dass Eltern, Partner, Kinder plötzlich behaupten, dass es Corona nicht gibt und die Menschen durch die Impfungen kontrolliert werden sollen. Es waren zunächst Personen, die Fragen zu ihren 60- bis 70-jährigen Eltern hatten. Wir bekamen zu hören: Meine Mutter habe schon immer an Esoterik geglaubt, aber jetzt erzählt sie, Corona sei geplant gewesen, und wir sollten alle mundtot gemacht werden, sollten durch Impfungen gechippt werden.

Jemand anderes erzählte: Mein Vater sagt, wir bräuchten keinen Mund-Nasen-Schutz, es gebe kein Corona, das habe sich alles Bill Gates ausgedacht, der wolle nur seine Impfstoffe verkaufen.

WELT: Welchen Eindruck haben die Anrufer gemacht?

Riede: Sie waren oft verzweifelt, weil sie mit Argumenten nicht mehr durchkamen, sondern es dadurch noch schlimmer machten. Nach den vermehrten Fragen zu den Eltern kam die Phase mit den Partnerschaften. Eine Frau erzählte uns, ihr Mann sei in Kurzarbeit und drehe total durch, er sitze den ganzen Tag vor dem Computer. Früher sei er immer liebevoll, verständnisvoll gewesen, arbeite im Sozialberuf, jetzt lehne er den Mund-Nasen-Schutz ab, riskiere seinen Job. Man erkenne ihn gar nicht wieder.

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WELT: Wie weit ist das nach Ihrem Eindruck verbreitet?

Riede: Die Verschwörungstheorien sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wir stehen im Austausch mit anderen Beratungsstellen, die uns Ähnliches berichten. Es gibt Umfragen, etwa von der Konrad-Adenauer-Stiftung, wonach 30 Prozent der Menschen solchen Theorien Glauben schenken. Das sind ja nicht nur Rechtsradikale, sondern auch Linksliberale und solche, die alternativen Heilmethoden und esoterischen Denkmodellen folgen. Da ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zu Verschwörungstheorien.

WELT: Sie kümmern sich um Sekten. Wie sind die Anrufer auf Ihre Beratungsstelle gekommen?

Riede: Auf unserer Homepage findet man auch Informationen zu Verschwörungstheorien, und viele Anrufer finden, die Betroffenen seien wie gehirngewaschen und klängen, als seien sie in einer Sekte.

WELT: Sind die Verschwörungstheoretiker auch eine Art Sekte?

Riede: Die sind ja nicht organisiert wie eine Sekte. Das ist nicht eine große einheitliche Gruppe. Aber es gibt viele Parallelen. Die Anhänger von Verschwörungstheorien zeigen ein Verhalten, wie wir es von Anhängern neuer religiöser Bewegungen gewohnt sind. Es ist ganz typisch, die Welt in Schwarz und Weiß einzuteilen. Es gibt eine Art Immunisierung, das heißt, sie nehmen keine Kritik mehr zur Kenntnis, akzeptieren keine anderen Informationen, werden sogar aggressiv bei Diskussionen.

„Hier geht es um eine massive Einschüchterung“

Im Internet teilen sogenannte Querdenker eine Liste mit den Namen von Politikern, die im Bundestag für die „Bundes-Notbremse“ gestimmt haben. Welche Gefahr geht von dieser „Todesliste“ aus? WELT-Reporter Daniel Franz mit einer Einschätzung.

Quelle: WELT/Daniel Franz

WELT: Geben Sie ähnliche Hilfestellungen wie im Fall von Sekten?

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Riede: Ja, wir raten Angehörigen, nicht zu diskutieren. Wenn jemand Informationen braucht, dann sollte man sie ihm natürlich geben. Aber die meisten, die sich an uns wenden, sagen, sie könnten mit den Betroffenen kein Gespräch mehr führen. Dann geht es darum, nicht zu diskutieren, sondern die Beziehung emotional zu stärken, zu sagen, das ist deine Meinung, ich habe meine Meinung, aber uns verbindet doch seit vielen Jahren so viel mehr. Man sollte Ruhe und Sicherheit ausstrahlen, den anderen loben.

Menschen sind meist anfällig für Verschwörungstheorien, wenn sie ängstlich und unsicher sind, wenn sie schon vorher im Leben das Gefühl hatten, nichts bewirken zu können, einen Kontrollverlust erlitten haben. Da bringt es mehr, auf der emotionalen Ebene zu helfen.

Quelle: Infografik WELT

WELT: Das bedeutet aber auch, die Betroffenen müssen es aushalten, dass Angehörige, Verwandte, Partner und Kinder solchen Verschwörungsgedanken nachhängen.

Riede: Ja, das ist sehr schwer, man sollte aber auf keinen Fall in einem überheblichen Tonfall diskutieren. Man muss es aushalten, aber man muss nicht alles abnicken. Es gibt natürlich Grenzen, etwa bei Antisemitismus, bei Rassismus, wenn zu Gewalt aufgerufen wird, dann muss man reagieren und sich klar abgrenzen.

Man sollte sich an Beratungsstellen wenden – und wenn nichts anderes hilft, in letzter Konsequenz notfalls die Trennung einleiten. Manchmal melden wir uns als Beratungsstelle auch bei Behörden und bitten um Hilfe, wenn es etwa um gesundheitliche Schäden, Kinder oder Gewalt geht – aber ohne Namen zu nennen, da wir an die Schweigepflicht gebunden sind.

WELT: Wie findet jemand aus der Verschwörungsblase wieder heraus?

Riede: Es klingt so banal: alte Hobbys reaktivieren, alte Fotoalben anschauen, sich an schöne Zeiten erinnern, gemeinsam kochen, gemeinsam spazieren gehen, damit derjenige nicht mehr so viel Zeit in diese Theorien investieren kann und sich wohlfühlt.

Oder in einem Beratungsfall war die Ehefrau völlig verzweifelt, weil ihr Mann keinen Mund-Nasen-Schutz mehr tragen wollte und seinen Job zu verlieren drohte. In den Gesprächen kam heraus, dass er schon lange mit seinem Beruf unzufrieden war, er ist jetzt im Vorruhestand, sie arbeitet weiter, und gemeinsam machen sie Ausflüge am Wochenende. Verschwörungstheorien sind kein Thema mehr. Kontakt halten, sich wertschätzend umeinander kümmern, das sind wichtige Punkte, die helfen können.

WELT: Die Leute haben in der Pandemie mehr Zeit, sich im Internet herumzutreiben und auf Abwege zu geraten?

Riede: Ja, das trifft zu. Es ist ein Verstärker für die eigene Unzufriedenheit, die durch die sozialen Einschränkungen und finanziellen Verluste der Corona-Pandemie entstanden sind, dann wird ein Schuldiger gesucht, ein Sündenbock, man kann sich schlecht damit abfinden, dass alles Zufall sein soll.

Es melden sich inzwischen auch verstärkt Menschen, die sich von Verschwörungstheorien abgewandt haben. Wenn wir die fragen, was ihnen geholfen hätte, dann sagen sie, wahrscheinlich gar nichts. Sie seien wie verblendet gewesen. Sie mussten es erst selber verstehen.

Sie haben gemerkt, dass es immer schlimmer, immer aggressiver geworden ist. Beim Aufruf zur Gewalt wollten sie nicht mehr mitmachen. Bei den Aussteigern geht es dann darum, ihnen zu helfen, ihre Schuldgefühle zu bewältigen.

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