Politik und Zivilgesellschaft erinnern an das tödliche Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor einem Jahr. Die Tat sei ein "Anschlag auf unsere Demokratie gewesen", sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) in Berlin. "Dieses unfassbare Verbrechen bleibt ein tiefer Einschnitt."

Der Mord sei zugleich eine Mahnung, "dass wir Vielfalt und Demokratie sehr viel entschiedener verteidigen müssen", sagte die Ministerin. Wer von Rechtsextremisten angegriffen und bedroht werde, brauche Schutz und Solidarität. Dies betreffe auch "menschenverachtende Drohungen und Diffamierungen", so Lambrecht. "Aus Worten werden Taten." Der Bundestag werde in Kürze das Gesetzespaket gegen Hass und Hetze beschließen. Es sieht auch bei Hetze im Netz deutliche Verschärfungen des Strafrechts vor.

Der Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrates (BZI), Memet Kılıç, drang auf eine rasche Verabschiedung des Gesetzes. "Extremistische Strukturen werden in unsicheren Zeiten und in der Krise besonders agil", sagte Kılıç. Im Kampf gegen Rechtsextremismus brauche es "umfassende, strukturierte und solide Ansätze", aber auch insgesamt mehr Zusammenhalt und Zivilcourage. "Nicht nur der Rechtsstaat, auch wir als Gesellschaft sind in der Pflicht, unsere pluralistische und demokratische Kultur gegen Rechtsextremismus zu verteidigen", sagte der BZI-Vorsitzende.

"Eine Mahnung für uns alle"

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, auch die Erinnerung an diese Tat treibe ihn an, "jeden Tag das Menschenmögliche zu tun, um den Rechtsextremismus und den Rechtsterrorismus in Deutschland mit Nachdruck zu bekämpfen." Der Mord sei eine "Zäsur in unserer deutschen Geschichte und eine Mahnung für uns alle", sagte Seehofer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), sagte, Lübcke stehe auch für "unzählige Kommunalpolitiker und Engagierte, die sich vor Ort für andere einsetzen, die Verantwortung übernehmen für unser Land, für Solidarität und Weltoffenheit". Diese brauchten die Unterstützung der Politik. Ähnlich äußerte sich Grünen-Chef Robert Habeck. Er forderte konkret die Einrichtung einer Taskforce als Anlaufstelle für Menschen, die von Rechtsextremisten bedroht würden.

Lübcke war am 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses durch einen Kopfschuss getötet worden. Als dringend tatverdächtig gilt der Rechtsextremist Stephan E. Der ZEIT liegt ein Dokument vor, in der die Ermittler die Tatnacht und deren Vorgeschichte rekonstruiert haben. Dabei stützen sie sich auf die vierstündige Vernehmung von E., in der er den Mord wenige Tage nach der Tat gestand. Später ließ er dieses Geständnis widerrufen.

Lübcke war seit 2015 durch seinen Einsatz für Geflüchtete und seinen Widerspruch gegen die Pegida-Bewegung bundesweit bekannt geworden. Online wurde er regelmäßig von Rechten attackiert und beleidigt.