Nun tritt ein, was viele vor der Wahl gefürchtet hatten: Die AfD wird dritte Kraft im Bundestag, mit gut 13 Prozent. Ein Schock mit Ansage. Die beiden alten Volksparteien Union und SPD, die in den vergangenen vier Jahren regiert haben, haben stark an Zustimmung verloren. Doch wer einen Moment das ganze Wahlergebnis betrachtet, sieht, was die deutsche Politik der nächsten vier Jahre tatsächlich prägen wird: Noch immer setzt eine Mehrheit der Wähler  auf Kontinuität.

Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin, wie schon die vergangenen zwölf Jahre. Ihre Partei, die Union, wird abermals zur mit Abstand stärksten Kraft. Eine Regierung ohne sie wird nicht zustande kommen. Entweder lässt sie sich auf eine Koalition mit FDP und Grünen ein, eine Jamaika-Koalition. Oder sie findet doch noch einen Weg, die SPD zu einer Fortsetzung der Großen Koalition zu bewegen, die diese am Wahlabend erst einmal ausgeschlossen hat.

Ein Umbruch sieht anders aus. Man vergleiche dieses Wahlergebnis bloß mit den jüngsten Wahlen in den USA, Frankreich, Polen oder England. Die Wahlkämpfe unserer Nachbarn und Verbündeten waren von harten ideologischen Konflikten geprägt und hatten meist den Austausch der politischen Elite zur Folge. Verglichen damit ist Deutschland ein Hort der Stabilität.

Die Deutschen sind mehrheitlich zufrieden. Ein großer Teil bewertet die eigene Lage positiv. Das ist Ergebnis verschiedener Studien aus diesem Jahr. Das korrespondiert mit einer anderen Zahl: Wenn man den Kanzler direkt wählen könnte, hätten fast doppelt so viele Deutsche Merkel den Vorzug gegeben als ihrem SPD-Kontrahenten Martin Schulz.

Solche Kompetenz- und Sympathiewerte muss man nach drei Legislaturperioden an der Spitze erst einmal vorweisen. Insofern ist diese Wahl Merkels persönlicher, ja historischer Erfolg. Wenn sie die neue Legislaturperiode im Kanzleramt beendet, wird sie Helmut Kohl als Rekordkanzler eingeholt und Konrad Adenauer überholt haben.

Merkel hat es geschafft, die CDU bis ins vormals gegnerische Lager wählbar zu machen. Sie hat frühere gesellschaftliche Gegensätze nivelliert, indem sie alte Dogmen ihrer Partei in der Familien-, Umwelt- oder Sozialpolitik hinter sich gelassen und sich den Positionen der Mehrheit oder der Progressiven zugewandt hat.

Großes Bedürfnis nach Protest

Dabei allerdings hat sie den rechten Rand, manche sagen: den Kern ihrer einst so konservativen Partei vernachlässigt. Und das spiegelt sich im Wahlergebnis deutlich wider. Die Union bleibt zwar stärkste Partei, im Vergleich zur Vorwahl hat sie aber rund acht Prozentpunkte verloren. Es ist Merkels bislang schlechtestes Wahlergebnis. Die Union dürfte in der kommenden Legislaturperiode, die vermutlich Merkels letzte als Kanzlerin ist, wieder deutlich weiter nach rechts rücken. Die rechten Hardliner in der Union werden sich bestätigt fühlen, die in Merkels Drang in die Mitte schon immer eine Schwächung der Union sahen.

Die Wählerbewegung scheint ihnen Recht zu geben. Die Union hat mehr als eine Millionen Wähler an die AfD verloren. Merkels integrierende Politik der Mitte hat in den vergangenen zwölf Jahren eine immer größer werdende Gruppe geschaffen, die sich vom Konsens der etablierten Parteien nicht mehr repräsentiert fühlt. In dieser Zeit wuchs ein Bedürfnis nach Protest, das offenbar größer ist als der tief sitzende Vorbehalt, der in Deutschland ein halbes Jahrhundert lang zuverlässig funktioniert hat: keine Rechtspopulisten und Rassisten ins Parlament zu wählen.