Tarek Al-Wazir, Spitzenkandidat der hessischen Grünen, kennt die Folgen westlicher Waffenlieferungen an Saudi-Arabien aus seiner eigenen Familie. "Mein Vater lebt in Sanaa, Teile meiner Familie leben im Jemen", sagte der Vize-Ministerpräsident in Wiesbaden. Seit dreieinhalb Jahren ist Krieg im Jemen, von Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman im März 2015 begonnen und von den Vereinten Nationen mittlerweile zum "größten humanitären Desaster der Gegenwart" erklärt.

Täglich würden Menschen getötet und Millionen ausgehungert – auch mithilfe deutscher Schiffe, die an Saudi-Arabien geliefert würden, erklärte Al-Wazir. Nach UN-Angaben droht 12 bis 13 Millionen Jemeniten bis Ende des Jahres der Hungertod, wenn die saudische Seeblockade nicht gelockert wird – das ist fast die Hälfte der Bevölkerung.

Die meisten Waffen in diesem Krieg kommen aus den USA und aus Großbritannien. Ohne amerikanische Tankflugzeuge könnten die saudischen Jets längst nicht so häufig und lange über dem Jemen operieren. Im militärischen Einsatzzentrum der Saudis in Riad helfen amerikanische und britische Spezialisten bei der Zielsuche für die Raketen. 

61 Prozent aus den USA

Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI haben sich die Waffenimporte des Nahen und Mittleren Ostens in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Obwohl die Region nur fünf Prozent der Weltbevölkerung hat, gehen 32 Prozent aller weltweiten Rüstungslieferungen hierher – allen voran nach Saudi-Arabien, wo Washington ganz groß im Geschäft ist. 61 Prozent des königlichen Kriegsgeräts lieferten die USA, 23 Prozent die Briten, 14 Prozent entfallen auf die übrigen Europäer, davon rund 1,7 Prozent auf Deutschland.

Unter dem Strich stammen 98 Prozent des gigantischen saudischen Arsenals aus dem Westen, also aus den USA und Europa.

Die deutschen Ausfuhren nach Riad beliefen sich in den ersten neun Monaten des Jahres auf bisher 416 Millionen Euro, darunter Patrouillenboote für das Rote Meer, Radarsysteme zur Ortung feindlicher Artillerie, Flugzeugteile und Ausrüstung für die Luftbetankung von Flugzeugen, wie sie auch im Jemenkrieg gebraucht wird. US-Präsident Donald Trump dagegen brüstet sich damit, für die nächsten zehn Jahre saudische Bestellungen in einem Umfang von 110 Milliarden Dollar akquiriert zu haben. Ein Riesengeschäft, das er unter allen Umständen durch die Khashoggi-Krise lotsen möchte.

Für Riad wiederum sind diese opulenten und militärisch oft sinnlosen Waffenkäufe seit Jahren ein zentrales Instrument der Außenpolitik. Kein Land der Welt gibt, gemessen an seinem Bruttosozialprodukt, mehr Geld für Kampfflugzeuge, Panzer, Kriegsschiffe und Raketen aus als Saudi-Arabien. Damit kauft sich das ölreiche Königshaus politisches Wohlwollen, um westliche Kritik an seinen Herrschaftspraktiken, seinem ultrakonservativen Islam-Export und seiner Unterdrückung von Bürgerechtlern in Schach zu halten.

Deutschlands Drohung ist wirkungslos

Mit dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi rückt dieses gigantische Militärgeschäft, aber auch der von der restlichen Welt weitgehend vergessene Krieg im Jemen jetzt wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein. Als erste Regierungschefin Europas erklärte Kanzlerin Angela Merkel am Wochenende, bis zur Aufklärung des Geschehens in Istanbul würden keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien mehr genehmigt. Unklar ließ sie, ob dies auch für bereits erteilte Zusagen gilt.

Im Januar hatte die schwarz-rote Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, keine Waffen mehr an Länder zu exportieren, die "unmittelbar" am Jemenkrieg beteiligt sind – dazu gehören in erster Linie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch Ägypten. Trotzdem wurde weiter geliefert, weil Kriegsgerät ausgeklammert ist, das bereits bewilligt war oder gemeinsam mit anderen europäischen Firmen produziert wird. Und so dürfte Deutschlands jüngste Drohung die Saudis nicht wirklich beunruhigen.

Das weiß auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der an die EU appellierte, zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen. "Nur wenn alle europäischen Länder sich einig sind, macht dies Eindruck auf die Regierung in Riad", sagte er. Es bleibe ohne Folgen, wenn Deutschland seine Rüstungsexporte aussetze und gleichzeitig andere Länder diese Lücke füllten, erklärte er – wohl wissend, dass Großbritannien und Frankreich wahrscheinlich nicht mitziehen werden.