Der Notstand an den britischen Tankstellen verschärft sich weiter. Nach Angaben des Branchenverbands Petrol Retailers Association, der rund 5.500 unabhängige Tankstellen vertritt, haben zwei Drittel der Mitglieder keinen Kraftstoff mehr. Die Nachfrage liege um bis zu 500 Prozent höher als üblich, sagte Verbandschef Brian Madderson dem Sender BBC Radio 4. Madderson sagte, 50 bis 90 Prozent der Tankstellen seien leer, die anderen drohten bald auszutrocknen.

Die Knappheit könnte dazu führen, dass Beschäftigte nicht zur Arbeit kommen. "Ärzte und andere Beschäftigte des Gesundheitswesens können sich nicht um Patienten kümmern, wenn sie nicht zur Arbeit kommen", sagte Julia Grace Patterson, die Chefin der Vereinigung EveryDoctor, in der sich rund 1.700 Mediziner und Medizinerinnen zusammengeschlossen haben. Sie habe von vielen Kollegen gehört, die übers Wochenende erfolglos versucht hätten zu tanken, sagte Patterson. Es brauche dringend einen Notfallplan der Regierung, der absichere, dass Angestellte des Gesundheitsdiensts zur Arbeit kommen könnten.

Seit Tagen kommt es in Großbritannien zu Panikkäufen und langen Schlangen. Es fehlt an Lastwagenfahrern, was zuvor bereits zu leeren Supermarktregalen geführt hatte. Wegen der Corona-Pandemie wurden etliche Fahrstunden und -prüfungen verschoben. Zudem wanderten wegen des Brexits etwa 20.000 vor allem osteuropäische Fachkräfte ab und neue strenge Einwanderungsregeln hemmen den Zuzug.

Um die Probleme zu bekämpfen, will die Regierung unter anderem Arbeitsvisa für bis zu 5.000 ausländische Lastwagenfahrer ausstellen. Verbandschef Madderson kritisierte, das Regierungsvorhaben greife zu kurz. Premierminister Boris Johnson hatte sich gegen Visaausnahmen lange gesträubt, denn ein Ziel des Brexits war, die Freizügigkeit von Ausländerinnen und Ausländern zu beenden.

Mit einem Maßnahmenpaket will die Regierung nun zudem Zehntausende Fahrprüfungen zusätzlich pro Jahr ermöglichen. Außerdem sollen die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Wie die Zeitung The Times berichtete, sollen kurzfristig Soldaten als Lastwagenfahrer einspringen. Es könne allerdings noch eine Woche dauern, bis sie einsatzbereit sind.

Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng setzte am Sonntagabend Wettbewerbsregeln außer Kraft, damit die Branche gemeinsam gegen die Engpässe vorgehen kann. "Es gibt langjährige Notfallpläne, um mit der Industrie zusammenzuarbeiten, damit die Kraftstoffversorgung aufrechterhalten wird und im Falle einer ernsthaften Störung Lieferungen erfolgen können", sagte Kwarteng. Er betonte, dass es genügend Kraftstoff gebe, räumte aber Probleme bei den Lieferketten ein.