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Asylstreit Von GroKo-Crash bis Neuwahlen: Was passieren könnte, wenn Merkel in Europa scheitert

Die Bundeskanzlerin muss eine europäische Lösung im Asylstreit finden, mit der auch die CSU leben kann. Doch der "grundlegende Dissens" bleibt. Und es droht eine veritable Regierungskrise. Wie geht es weiter? Die Szenarien im Überblick.

Der Unionsbruch ist abgewendet. Zunächst. Die Fronten zwischen der CDU und CSU bleiben verhärtet. Bundesinnenminister Horst Seehofer und seine CSU haben Angela Merkel nun die Pistole auf die Brust gesetzt: Sollten auf dem EU-Gipfel am 28. und 29. Juni keine entsprechenden bilateralen Vereinbarungen mit den EU-Partnern zustandekommen, soll mit umfassenden Zurückweisungen von Migranten an den Grenzen begonnen werden. Die Bundeskanzlerin hat im Fall eines Alleingangs mit ihrer Richtlinienkompetenz gedroht. 

Darum geht's: Auslöser für den Asylstreit war ursprünglich der sogenannte Masterplan für Migration Seehofers (lesen Sie hier mehr zu dem Thema). Mittlerweile beklagt der CSU-Chef einen "grundlegenden Dissens" mit der Bundeskanzlerin in der Flüchtlings-Aufnahme. Seehofer will für "Anfang Juli" die von ihm geplanten Zurückweisungen bestimmter Flüchtlinge - etwa solche, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind - an der deutschen Grenze vorbereiten. "Sofort" will Seehofer allerdings dafür sorgen, dass bereits mit Einreisesperren belegte Menschen nicht mehr nach Deutschland kommen können.

Asylstreit: CDU und CSU sind gespalten - Die möglichen Szenarien im Zoff von Angela Merkel und Horst Seehofer
Gespalten: Bundeskanzlerin Angela Merkel (l., CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
© Kay Nietfeld / DPA

Darum wird gezofft: Die Bundeskanzlerin lehnt einen nationalen Alleingang entschieden ab. Sie will in der Frage bis Monatsende auf europäischer Ebene im Gespräch mit anderen EU-Staaten nach Lösungen suchen. Die "große Philosophie" laute, "dass nicht unilateral, nicht unabgestimmt und nicht zulasten Dritter" gehandelt werde. Seehofer beharrte darauf, dass die von Merkel angestrebte europäische Lösung vom Ergebnis her gleichbedeutend sein müsse mit der von ihm als nationale Lösung geplanten Zurückweisungen (alle Entwicklungen im Asylstreit zwischen der CDU und CSU lesen Sie in unserem Live-Ticker).

Was passiert, wenn Merkel mit ihren Verhandlungen in Europa scheitert? Die möglichen Szenarien im Überblick:

Szenario: Der Regierungs-Crash 

Seehofer bleibt unbeweglich, kanzelt die möglichen EU-Lösungen von Merkel als unzulänglich ab und setzt alles auf eine Karte: Er verfügt per Ministerentscheid, dass bereits in anderen EU-Ländern registrierte Asylbewerber von der Bundespolizei an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden müssen. Er würde sich damit über Bundeskanzlerin Merkel hinwegsetzen, die den Affront - ohne sich die politische Blöße zu geben - nicht unbeantwortet lassen könnte. Das hat vermutlich unmittelbare Folgen:

  1. Die Bundeskanzlerin macht von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch (Artikel 65 im Grundgesetz) - und installiert einen neuen Bundesinnenminister (Artikel 64 im Grundgesetz). In anderen Worten: Seehofer wird gefeuert.
  2. "Wer den Vorsitzenden der CSU entlässt, entlässt die ganze Partei", zitiert die "Frankfurter Allgemein Sonntagszeitung" aus der CSU-Spitze. Sollte es zum Rauswurf Seehofers kommen, würde die CSU vermutlich die Unionsfraktion verlassen und de facto die Große Koalition aufkündigen.
  3. Mit dem Ausscheiden der CSU würde die Koalition die Mehrheit im Bundestag verlieren: Auf die CDU entfallen 200 Sitze, auf die CSU 46 - somit zählt die Unionsfraktion insgesamt 246 Abgeordnete. Mit den 153 SPD-Mandaten kommt die Große Koalition auf 399 Sitze. Ohne die CSU läge die GroKo bei 353 Sitzen, für eine Mehrheit im 19. Bundestag sind allerdings 354 Abgeordnete nötig.

Szenario: Die Karten werden neu gemischt 

Sollte es zum Regierungs-Crash kommen, wäre die Große Koalition - und mit ihr Angela Merkel - gescheitert. Und Deutschland könnten Neuwahlen drohen. Vorausgesetzt, CDU und SPD finden keinen Ersatz für die CSU. In jedem Fall würden die Karten neu gemischt.

  • Neuwahlen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wäre gescheitert und müsste ihr Amt vermutlich abgeben. Laut einer Forsa-Umfrage für RTL und n-tv käme selbst eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD mit 46 Prozent der Stimmen derzeit auf keine Mehrheit. Die AfD würde profitieren und Prozentpunkte dazu gewinnen. 
  • Eine neue Koalition: CDU und SPD suchen sich einen neuen Koalitionspartner, um sich die nötige Mehrheit im Bundestag zu sichern. Ein Bündnis mit der AfD ist ausgeschlossen, auch mit der Linken scheint es unwahrscheinlich - die CDU würde in der Wahrnehmung dramatisch nach links driften. Ein Bündnis mit der FDP ist ebenfalls schwer vorstellbar: Parteichef Christian Lindner hat sich im Asylstreit eher hinter die CSU gestellt. Und die Grünen? Möglich. "Wir werden uns an Spekulationen über das was-wäre-wenn nicht beteiligen", sagte Co-Vorsitzende Annalena Baerbock der Funke-Mediengruppe.

Szenario: Kompromisse (mit unabsehbaren Folgen)

Aktuell am wahrscheinlichsten: CDU und CSU einigen sich auf einen Kompromiss im Asylstreit und verhindern den Bruch der Union und damit eine Regierungskrise. 

Allerdings bleiben weiterhin Fragen offen:

  • Kann sich Merkel mit den europäischen Partnern verständigen? Und was müsste sie aushandeln, damit auch Seehofer Erfolge präsentieren könnte?
  • Wie verhält sich der Koalitionspartner SPD? Auch die Sozialdemokraten könnten die Reißleine ziehen, sollte eine mutmaßliche Einigung nicht mit ihnen vereinbar sein. 
  • Wie geht es danach weiter?

So oder so: Sollte es zu einer Einigung zwischen CDU und CSU (und SPD) kommen - die Koalition ist und bleibt angeschlagen. Das Verhältnis zwischen Merkel und Seehofer hat bereits jetzt schweren Schaden davongetragen, neue Konflikte sind wahrscheinlich. Seehofer sieht die Schwesternparteien in ihrem Flüchtlingsstreit "noch längst nicht überm Berg". Er sehe einen "grundlegenden Dissens" mit der Kanzlerin in der Frage, ob künftig mehr Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen werden sollen. Ein späterer Bruch (mit möglichen Neuwahlen) ist damit nach wie vor nicht vom Tisch.  

Szenario: Es gibt nur Gewinner

Natürlich möglich, aber aktuell unwahrscheinlich: Es kommt zu einer Einigung, in der es nur Gewinner gibt. Die Bundeskanzlerin hat mit anderen EU-Ländern neue Richtlinien ausgehandelt, bei denen sowohl Angela Merkel als auch Horst Seehofer ihr Gesicht wahren können. Beide Parteichefs ziehen als Sieger vom Platz und entschärfen die aufgeheizte Debatte, das Thema ist vom Tisch - auch in der Europäischen Union wird das Ergebnis kollektiv begrüßt. Einer Großen Koalition bis 2021 steht theoretisch nichts im Wege. 

fs DPA AFP

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