Deutschland, so lernen Kinder schon in der Schule, ist ein Rechtsstaat. Gesetze treten dort erst in Kraft, wenn das Parlament darüber beraten und abgestimmt hat – und der Bundespräsident sie dann unterschreibt. Vorher sind sie nur das Papier wert, auf dem sie stehen. Entsprechend wird das auch in der Europäischen Union gehandhabt. Denn die versteht sich als Rechtsgemeinschaft.

Das ist leider falsch. Zumindest in der Handelspolitik gelten eigentümliche Regeln. Am 13. Mai soll in Brüssel das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA verabschiedet werden. Und das könnte bereits kurz darauf angewendet werden – ohne dass je ein Parlament darüber abgestimmt hätte. So wünscht es zumindest die EU-Kommission, und so könnte es der Rat der Regierungen dann beschließen. Damit würden die über tausend Seiten des Vertrags in Deutschland Gesetzeskraft bekommen. Selbst wenn das Europäische Parlament oder der Bundestag das Abkommen später ablehnen würde, wären zumindest einige Passagen trotzdem wirksam: Der spezielle Investitionsschutz für Investoren beispielsweise, der es ausländischen Unternehmen ermöglicht, Staaten auf Schadensersatz zu verklagen, würde drei weitere Jahre gelten. Unternehmen könnten die Bundesrepublik also auf der Grundlage von CETA vor privaten Schiedsgerichten verklagen – ohne dass der Bundestag dem je zugestimmt hätte.