Am 31. August 2015, vor genau elf Monaten, war Bundeskanzlerin Angela Merkel vor die Bundespressekonferenz in Berlin getreten, um zu erklären, wie sie die Flüchtlingskrise bewältigen will. Dabei fiel der berühmteste Satz ihrer Kanzlerschaft: „Wir schaffen das!“ Seither ist viel geschehen, in atemlosem Tempo. Massenhafte Flucht, Krieg, Terror, Amok.
An diesem Donnerstag, einen Monat früher als geplant, kam Merkel an den Ort des Gesagten zurück. Mit der gleichen Botschaft. „Ich bin heute wie damals davon überzeugt, dass wir es schaffen. Wir schaffen das. Wir haben im Übrigen in den letzten elf Monaten bereits sehr, sehr viel geschafft.“ Merkel bleibt bei ihrem Credo.
Doch die Umstände, unter denen dieses „Wir schaffen das“ damals ausgesprochen wurde, sind diametral zu den heutigen. Im August 2015 waren Flüchtlinge Opfer, von Schleppern und rassistischen Angriffen. Das war Konsens. Im Juli 2016 sind Flüchtlinge auch Täter. Die Islamisten von Würzburg und Ansbach kamen als Asylbewerber.
An die Stelle der Sicherheit für, ist in der Debatte die Sicherheit vor den Flüchtlingen getreten. Je stärker das betont wird, desto heikler wird „Wir schaffen das“ für Merkel. Und nicht nur für sie.
Ein Spruch wie die „blühenden Landschaften“
Der Spruch droht für die Union zu einem Anti-Merkel-Slogan zu werden. „Wir schaffen das“ – das erinnert an Helmut Kohls „blühende Landschaften“. Damit wollte der „Kanzler der Einheit“ die Zukunft der neuen Bundesländer beschreiben. Doch jede Fabrik, die schloss, jede Landschaft, die verödete, karikierte das gut Gemeinte.
Ob gerechtfertigt oder nicht: Kohls Worte verkamen zu einem Witz. An ihre Stelle ist heute Merkels Satz getreten. „,Wir schaffen das‘ droht zur Persiflage zu werden“, heißt es in der CDU-Führung.
Merkels Diktum hat mehrere Stadien durchlaufen: Zunächst ging es unter, dann wurde es von der Mehrheit begrüßt, nahm den Charakter eines geflügelten Wortes an, das als Ermutigung verstanden wurde, bis es von den Skeptikern der merkelschen Politik verdrießlich mit zusammengebissenen Zähnen ausgestoßen wurde.
Doch zu Beginn fiel „Wir schaffen das“ gar nicht auf. Das elf Monate alte Protokoll der Pressekonferenz verrät, dass kein Journalist sich darauf bezog. Gefragt wurde auch nicht, ob die Flüchtlinge ein Sicherheitsrisiko darstellten. Die Stimmung im August 2015 war eine andere.
Selbst bei der Regierungspressekonferenz am 2. September spielte „Wir schaffen das“ noch keine Rolle. Dafür wagte ein aufgrund seiner kalkulierten Frechheiten nicht gerade wohlgelittener Journalist eine Provokation: Ob man nicht herausfinden wolle, ob unter den Syrern IS-Anhänger seien? Der Verfassungsschutz sei eingebunden, überwacht würden die Flüchtlinge nicht, antwortete das Innenministerium knapp. Das war‘s.
Richtig ins Bewusstsein drang „Wir schaffen das“ erst mit dem Besuch von Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann Mitte September 2015. Die Grenzen glichen zu diesem Zeitpunkt bereits einem Sieb. Die Zahl der Schutzsuchenden schnellte hoch.
„Ich sage wieder und wieder. Wir können das schaffen und wir schaffen das“, so Merkel. Und: Wenn man kein freundliches Gesicht mehr zeigen dürfe in Notsituationen, sei das nicht mehr ihr Land. Das geflügelte Wort „Wir schaffen das“ war endgültig geboren.
Schließlich hieß es „Paris ändert alles“
Es trat seine Verbreitung aber zu einem Zeitpunkt an, da die Sorgen über den ungehinderten Zuzug stark anwuchsen. Noch hatte es sich nicht mit der Sicherheitsdebatte verbunden. Denn die Verquickung von Sicherheit und Flüchtlingen galt als politisch unbotmäßig.
Nicht einmal die CSU wagte einen Vorstoß. Sie hielt über Monate an einem anderen Thema fest: der Gefahr des Missbrauchs von Sozialleistungen. Erst Anfang Oktober 2015 kam Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) aus der Deckung: „Wir müssen davon ausgehen, dass sich Tausende im Land befinden, von denen wir keine Ahnung haben. Damit ist die innere Sicherheit in Gefahr.“ Seine Mahnung führte noch nicht dazu, dass die CSU die Flüchtlingskrise offen mit der Terrorgefahr verband.
Zwei Tage nach dem Anschlag von Paris preschte einer nach vorn. In einem Gespräch mit dieser Zeitung am 15. November stellte Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) fest: „Paris ändert alles.“ Gemeint war, die Flüchtlinge stellen ein Sicherheitsrisiko dar. Doch Söder war zu weit gegangen. CSU-Chef Horst Seehofer distanzierte sich.
Zwar wirkte dann die Nachricht, die Pariser Terroristen seien tatsächlich als Flüchtlinge eingereist, wie ein Schock und löste allmählich die Blockaden der politischen Korrektheit, Angela Merkel aber änderte ihre Wortwahl nicht.
Es sollte noch bis zu einer Wahlkampfveranstaltung vor zwei Wochen im Ostseebad Zingst dauern, ehe die Bundeskanzlerin bekannte, dass Terroristen als Flüchtlinge nach Europa gekommen sind. Ohne viele Worte zu verlieren, hatte sie allerdings schon nach der Kölner Silvesternacht ihre Politik korrigiert und an der Gefährdung der inneren Sicherheit ausgerichtet.
Anschlag führt Merkels Credo ad absurdum
Was nicht hieß, dass sie von ihrem Satz Abstand nahm. Während viele Medien und Bürger nur noch „Schaffen wir das?“ oder „Wollen wir das schaffen?“ fragten, setzte Merkel trotzig hinter ihr „Wir schaffen das!“ weiterhin Ausrufezeichen.
Mit ihrer jüngsten Presskonferenz kommt nun die Botschaft hinzu: Wir schaffen das – auch wenn es um die Sicherheit vor Terror geht. Der CSU ist das zu wenig. „Der Terror hat Deutschland erreicht. Das verändert die Stimmung im Land dramatisch: Die Menschen haben Angst“, sagt die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner.
„Die Kanzlerin hätte deshalb deutlich machen müssen, dass diese Vorfälle etwas verändern, dass der Staat auf die Anschläge in Deutschland reagiert.“ Es sei kaum anzunehmen, dass eine Weiter-so-Rhetorik das Sicherheitsgefühl erhöhe. „,Wir schaffen das‘ reicht nicht. Die Betonung muss endlich darauf liegen: ,Wir handeln‘.“ Ähnlich äußerte sich Seehofer.
„Wir schaffen das“ zielte vor einem Jahr auf die Integrationsleistungen, auf die Organisation der Flüchtlingskrise ab. Es beschrieb einen diffusen Prozess, der eigentlich nie endet. Doch nun hat Merkel es auch noch mit dem Sicherheitsaspekt verbunden. Das hat Folgen. Denn ein einziger Anschlag wie der in Ansbach wird damit Merkels Politik angelastet und führt für jeden erkennbar ihren Glaubenssatz ad absurdum.
„Wir schaffen das“, das löst heute Kopfschütteln, immer öfter nur noch Hohn und Spott aus.