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L. Karasek: Tippt die noch ganz richtig? Vom Glück gesunde Babys auf die Welt zu bringen – so verwundbar machen Kinder

Karasek
"Kinder machen so verwundbar. Ich denke an all diejenigen, die auch solch ein Glück hatten, gesunde Kinder auf die Welt zu bringen."
© Getty Images
Die Rechtsanwältin Laura Karasek hatte eine Risikoschwangerschaft – mit Zwillingen. Dann kamen sie auch noch zu früh. Wochenlang war nicht sicher, ob die Babys es schaffen würden. Sie dachte, sie würde daran zerbrechen. Heute weiß sie: nichts ist selbstverständlich. 

Für mich gab es nie Zweifel. Ich wollte vieles im Leben - manches nur für eine Sekunde, andere Dinge für eine ganz lange Zeit. Ich konnte gut kämpfen – aber nie gut warten. Ich bin kein Langstreckenläufer. Ich jogge gern, kurz und knackig. Ich habe kein Durchhaltevermögen und keine Geduld. Aber ich wollte immer Kinder. Kinder kommen nicht auf Knopfdruck. Du kannst sie nicht auf Amazon bestellen und es gibt auch keinen Foodora-Lieferservice, bei dem Du das Geschlecht wählen kannst wie ein veganes Salatdressing.

Und selbst wenn Du schwanger bist, kannst Du nichts daran verkürzen, beschleunigen, optimieren. Es ist der letzte Sieg der Natur über die Technik. Kein Hashtag, kein Filter beim Ultraschall, keine Abkürzungen.

Ich wünschte mir Kinder. Das Leben kennt keine Abkürzungen – aber bei der Nachricht, dass ich Zwillinge bekomme, habe ich es so empfunden. Buy one, get one free. Brüte eins aus, das andere brütet mit! Welch ein Segen!

Ich mochte es nicht, schwanger zu sein

Laura Karasek: Tippt die noch ganz richtig?

Ich bin Laura Karasek, 1982 in Hamburg geboren, Rechtsanwältin in einer großen Wirtschaftskanzlei in Frankfurt. Ich liebe Adrenalin, Gedichte, Männer mit Brusthaaren, Prosecco und Abgründe. Und gewinne genauso gern im Casino wie vor Gericht. Wäre ich besser im Singen gewesen (meine Stimme ist so tief, dass ich am Telefon oft mit meinem Vater verwechselt wurde), gäbe es von mir jetzt Platten statt Prozesse. 2012 erschien mein erster Roman "Verspielte Jahre", im Sommer 2015 habe ich Zwillinge bekommen und kurz darauf meinen Vater verloren. Das mit dem Glück ist eben so eine Sache...

Dennoch: Ich mochte es nicht, schwanger zu sein. Es ging mir nicht gut, weder psychisch noch körperlich. Oder vermutlich führten die körperlichen Beschwerden zu einer Traurigkeit und Wut. Ich war wütend aufs Frausein. Ich war wütend auf die Natur und auf meinen Magen. Ich hatte abwechselnd Hunger und mir war schlecht. Ich war auf einmal müde, mir war schwindelig – ich war fremd in meinem eigenen Körper, den ich sonst immer so gut zu kontrollieren versucht hatte, ihn getrimmt und getrieben, ihn auf Parties geschleppt und mit Alkohol und Koffein gegen jegliche Anflüge von Schlappheit gewappnet. Nein! Dieses Mal würde ich verlieren, er würde mich besiegen. Er war müder als ich. Er war – in seiner Schwäche – stärker als ich.

Ich hasste meinen Kleiderschrank. Meinen Lieblingsoutfits sagte ich Lebewohl. Ich hasste meine Angst. Schlief ich zu wenig? Arbeitete ich zu viel? Schadete ich meinen Kindern mit lauter Musik, mit Sport, mit Süßigkeiten? Aber ich wollte auch nie diese hysterische, übervorsichtige Schwangere sein, die beim Anblick von Käse schon Ausschlag bekommt und die die Weinflaschen im Supermarktregal mit Antiseptikum einsprüht. Ich tat nicht so, als würde ich den Alkohol und das Sushi nicht vermissen! Ich vermisste es!

Ich vermisste sogar die Blicke. Eine Schwangere verliert ihre Waffen. Für mich war Schwangersein wie Kranksein. Meine eigene Machtlosigkeit, der Verlust der Anziehungskraft. Jeder konnte es sehen und jeder konnte mich darauf reduzieren.

"Ja, Du liebes bisschen", werden Sie jetzt sagen. "Wenn das alles ist… stell Dich nicht so an!" Aber ich hatte eine komplizierte, eine Risikoschwangerschaft. Und dann kamen meine Kinder zu früh auf die Welt – 6 Wochen. Nach einem Eil-Kaiserschnitt und einer schwülen Gewitternacht.

Wir waren ein Weilchen im Krankenhaus. Meinen Sohn durfte ich nach der Geburt nicht einmal sehen. Er wurde sofort weggetragen. Geschrien hat er nicht.

Er lag auf der Intensivstation, unsere Tochter auf der Frühchenstation

Ich erinnere mich an den Geruch des Antibiotikums. Es war dieser synthetische beißende Nebel, der den Babyduft meines Sohnes wegdampfte, überlagerte. Ich erinnere mich an das ständige Tuten und Fiepen und Piepsen der Geräte, Puls, Sauerstoff-Sättigung, Atmung. Immer tutete ein Kind, alle lagen in ihren Plastikkisten, mit ihren Drähten und Schläuchen und Magensonden. Meine Tochter war auch verkabelt, aber nur zur Überwachung. Ich erinnere mich, ich fühle es noch, wie ich dachte, ich würde nie mehr glücklich sein.

Es war dieser heiße Sommer mit 38 Grad in Deutschland, auch – und vor allem – in Frankfurt. Und die Hitze, die Sonne, die Eiscreme da draußen, das Leben "da draußen", das Geräusch von Schwimmbädern machte alles nur noch unerträglicher. Wir lebten hier, in der Klinik, zwischen Intensiv- und Frühchenstation. Und ich lag auf der Wöchnerinnenstation – als einzige Mama ohne Kinder. Alle schoben ihre kleinen Säuglinge in den Wannen vor sich her. Meine Wanne war leer. Ich hatte nicht mal eine Wanne. Bei jedem Rückschlag – "das Antibiotikum schlägt nicht an" – habe ich wieder geweint, mich auf den Boden geworfen, auch vor den anderen Babys. Vor den anderen Müttern, die auch an ihren Wärmebettchen saßen, neben ihren verkabelten Säuglingen. Manche hatten vielleicht noch viel mehr Grund zum Weinen und ich bewunderte sie und nahm mir jeden Tag vor, auch tapfer zu werden. Und die Babys, die lagen da ganz ruhig, meist weinten sie überhaupt nicht, sie lagen still da, mit ihren Magensonden und ihren Sauerstoffmasken oder ihren Zugängen, mit Nadeln im Kopf (weil man bei Säuglingen am besten in den Kopf sticht, um die Infusion zu legen) und wir Eltern, wir Erwachsenen mit Nadeln im Herz und überall. Mein Sohn hatte blau gestochene Hände, kleine blaue Flecken, auch am Fuß, in den man ihn schon gepiekst hatte für diverse Infusionen und Blutentnahmen. Ich sah ehrfürchtig und dankbar den Kinderkrankenschwestern und Kinderärzten zu‎, die ihren Job so aufopferungsvoll und mit Hingabe machten, die alles für diese kleinen Wesen gaben. Und was war ich schon dagegen? Wem konnte ich helfen- so wie sie mir geholfen haben?

"Ich werde nie mehr ich selbst sein können"

Ich weiß noch, wie ich damals dachte "Ich werde nie mehr ich selbst sein können". Also nicht mehr dieselbe, die Leichtfüßige, das Mädchen, das Kind, die Pippi Langstrumpf sein können. Ich wäre keine Frau mehr. Ich würde mir nichts mehr aus mir machen, aus der Liebe, aus Männern, aus Sex, aus einem Stück Schokolade, aus Alkohol, aus einer Reise nach Florenz, aus einem Konzert, aus meiner Arbeit, aus meinem ganzen bisherigen Leben, aus nichts. Ich werde das nicht überwinden. Niemals. Ich würde nicht in Frankfurt bleiben können, ich würde meinen Beruf nicht mehr ausüben wollen, ich würde mich von all meinen Freundinnen und ihren Babies abnabeln, abkapseln müssen. Ich würde auswandern. Irgendwo bei null anfangen, wo mich keiner kennt. Wo keiner sagt "Schau mal, das ist doch die, die mal Zwillinge hatte..." Mein Herz kam mir hier nicht zugute. Ich konnte zu gut leiden.

"Ihr seid doch gerade erst auf der Welt", sagte ich an ihren Bettchen. Meist hatten sie die Augen geschlossen. "Ich werde Euch zeigen, dass die Welt da draußen schön ist. Ihr werdet schon sehen. Glaubt mir, die Welt ist so schön." Die Traurigkeit war größer als ich. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass alles ein Irrtum war, dass mich irgendein fieser Traum, ein Drogenrausch verschluckt hatte, ich irgendwie auf einem miesen Trip hängengeblieben war, dass das alles nicht mir galt.

Und dann überkam mich doch wieder dieses Gefühl, als habe das Schicksal es so lange für mich vorgesehen, als habe es so kommen müssen, als hätte ich – verwöhnte, dumme Gans – es nicht anders verdient. Ich war hochmütig gewesen, zu wenig demütig und dankbar. Und nun traf mich die Strafe meiner Sünden, ohne Strafmilderungsgründe, ohne Notwehr. Ich hatte immer vorsätzlich oder aber sonst wenigstens fahrlässig gehandelt. Aber was konnte mein Sohn dafür? Straft mich, aber lasst ihn in Frieden! Er ist doch ganz neu hier! Er darf doch die Welt erst mal lieben. Er war doch noch nie an der frischen Luft. Lasst ihn hier raus.

In der Traurigkeit isolierte ich mich. Ich wollte nur mit Fremden sprechen. Mit der Putzkraft im Krankenhaus, mit Taxifahrern, mit Besuchern. Ich wollte einen Deal mit Gott machen. Ich wollte ihm schwören, ein besserer Mensch zu werden, wenn er meine Kinder nur in Frieden aus dem Krankenhaus kommen ließe. Ich schwor es. Ich schwor, alle meine Vergehen wieder gut zu machen, nie wieder Böses zu tun.

Niemand hat das Glück für sich gepachtet

Das Glück kommt und kann jederzeit verschwinden. Aber irgendwann hatten wir Glück – unsere Kinder wurden nach 3 und nach 5 Wochen - gesund! - entlassen. Sie lernten die Sonne kennen und auch die frische Luft. Sie leben und lachen und kamen zwar zu früh, aber sie kamen auch genau richtig. Und die Demut? Bleibt sie? Oder ist es wie mit all dem Abschwören "Nie wieder Alkohol!"

Ich werde die Sorgen aller Eltern und Liebenden und Verletzten immer verstehen. Kinder machen so verwundbar. Ich denke an all diejenigen, die auch solch ein Glück hatten, gesunde Kinder auf die Welt zu bringen. Und ich denke an diejenigen, die immer noch zu kämpfen haben. Niemand hat das gelernt. Niemand ist dafür gemacht oder geeignet. Ich weiß nur: ich werde bestimmte Dinge nie wieder für selbstverständlich nehmen.
 

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