ZEIT ONLINE: Achtung, Zitat: "Scheiss Türke. Verpiss dich nach Anatolien. Geh dahin, wo du herkommst." Wissen Sie, wo das steht?

Serdar Somuncu: Ja, auf meiner Homepage.

ZEIT ONLINE: Es ist einer der letzten Einträge in Ihrem Gästebuch, das Sie "Klagemauer" nennen. Trifft Sie so was?

Somuncu: Zu sagen, dass ich das locker wegstecke, wäre gelogen. Aber es trifft mich auch nicht sonderlich. Ich lasse das auf der Homepage, um den Leuten zu zeigen, wie heutzutage debattiert wird, wenn man nicht einer Meinung ist. Es ist Ausdruck der momentanen Gesprächskultur, die wir in Deutschland erleben.

ZEIT ONLINE: Wer sind diese Leute, die Ihnen so etwas schreiben?

Somuncu: Die kommen aus allen Richtungen. Mal sind es Deutsche, mal Türken, Juden oder Homosexuelle. Das ist Teil des Deals, den ich eingegangen bin. Ich sage in der Öffentlichkeit meine Meinung, dafür muss ich die der anderen leider auch ertragen. Es gibt eine fatale Tendenz, einander nicht mehr zuzuhören, das eigene Denken durchzusetzen. Damit umzugehen ist sehr schwer. Das habe ich einkalkuliert, aber mir in dieser Form nie gewünscht.

ZEIT ONLINE: Sie provozieren als Kabarettist. Die Bühne konnten Sie häufig nur unter Polizeischutz betreten. Macht das noch Spaß?

Somuncu: Ja. Wenn ich aber konkret bedroht werde und mit einem Tross an Polizeiwagen durch die Stadt fahren muss, dann hat das leider etwas Desillusionierendes. Ich habe immer geglaubt, dass wir in einer Diskussionskultur leben, in der es möglich ist, das zu sagen, was man denkt. Ich versuche aber,  weiterhin daran festzuhalten. Ich rede nach wie vor mit AfD-Mitgliedern und Nazis, wenn es sein muss. Überraschenderweise kommt der meiste Hass, die größte Wut aber aus der Mitte der Gesellschaft. Denn die Kaste der elitären Spießer hat keinen Wackeldackel im Ford und trägt kariert, sondern ist jetzt vegan und wählt linksliberal.

ZEIT ONLINE: Viele behaupten, es gäbe keine deutsche Küche. Gibt es wenigstens deutschen Humor?

Somuncu: Es gibt keinen. Das ist einfach so. Dafür gibt es aber etwas, das ich in Deutschland sehr schätze: die Nachdenklichkeit. Der deutsche Zuschauer sitzt mir manchmal mit einem inneren Zensor gegenüber und fragt sich: Darf Serdar Somuncu das sagen? In der extremen Form wird aus Nachdenklichkeit Vorsicht. Meine Aufgabe als Künstler ist es dann, den Zuschauer aus der Verpflichtung zu nehmen und ihn bis an seine Grenzen zu drücken. Ihn diese spüren zu lassen, ohne dass er dabei unter Verdacht gerät, ein Nazi, Schwulen- oder Muslimhasser zu sein.

ZEIT ONLINE: Das führt dazu, dass Sie Witze über Deutsche, Türken, Muslime, Juden, Homosexuelle, Behinderte und Veganer machen. Ihre Legitimität holen Sie sich, indem Sie behaupten, jede dieser Gruppen lache die andere aus, solange die Witze nicht sie selbst treffe. Irgendwo müssen doch auch Sie eine Grenze ziehen, oder?

Somuncu: Die ziehe ich auch. Wichtig ist es hierbei, sich als Künstler nicht instrumentalisieren zu lassen. Wenn ich die Devise "Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung" ausgebe, dann lädt das natürlich zu Intoleranz ein. Ich kann schnell spüren, ob ein Zuschauer diese benutzt, um sich dahinter zu tarnen und mich zum Stellvertreter seiner verkorksten Gedanken macht. Ich ziehe dann die Bremse, weil ich mich als Künstler in der Pflicht sehe, mich zu distanzieren. Dadurch führe ich dem Zuschauer sein Dilemma vor.

Übrigens mache ich das seit 35 Jahren so. Mein Programm besteht ja nicht nur aus Beleidigungen, sondern auch aus ausführlichen Erläuterungen und unmissverständlichen Positionen gegen Intoleranz und Hass. Es ist die logische Weiterentwicklung meiner jahrelangen Auseinandersetzung mit radikalen Ideologien.