Es ist mehr als 15 Jahre her, dass Hannelore Kohl sich das Leben nahm, die Ehefrau des früheren Bundeskanzlers. Nun erhebt ihr ältester Sohn Walter einen schweren Vorwurf gegen Angela Merkel, die heutige Bundeskanzlerin: "Für mich hat Frau Merkel einen nicht unerheblichen Anteil am Tod meiner Mutter", sagt Walter Kohl in einem Gespräch mit dem ZEITmagazin.

Der Vorwurf betrifft die Parteispendenaffäre von 1999, Angela Merkel war damals CDU-Generalsekretärin. Völlig überraschend und in ungewöhnlicher Form – per Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – hatte sich Merkel damals scharf vom langjährigen Partei- und Regierungschef Helmut Kohl distanziert, weil der die Herkunft illegaler Spenden an die CDU nicht preisgab.

"Als Politikprofi wusste Frau Merkel, dass sie eine Lawine lostritt, die unsere Mutter und unsere Familie schwer beschädigen würde", sagt nun Walter Kohl. Merkel habe "zu keinem Zeitpunkt öffentlich gesagt: Lasst die Familie aus dem Spiel. Dabei wusste sie genau, dass meine Mutter schwer krank war." Hannelore Kohl litt damals an einer schweren Lichtallergie. Sie nahm sich 2001 das Leben.

Hannelore Kohl habe sich von Merkel verraten gefühlt

Obwohl seine Mutter mit der CDU-Affäre nichts zu tun gehabt habe, sei sie nach Merkels Distanzierung öffentlich "auf übelste Art geschmäht, sogar als 'Spendenhure' beschimpft" worden, sagt Kohl in dem Gespräch. "Sie wurde zur Unperson. Für sie war das alles umso schmerzhafter, weil sie sich von Angela Merkel verraten fühlte." Beide seien einmal eng befreundet gewesen: "Die beiden haben sich häufig getroffen und viel miteinander gesprochen. Von meiner Mutter weiß ich, dass sie sich gegenseitig sehr persönliche Dinge anvertraut haben. Es war eine Freundschaft."

Merkel habe sich "schäbig" verhalten und "im Machtkampf in der CDU das Leid meiner Mutter einfach als Kollateralschaden hingenommen", sagt Kohl. "Meine Mutter hat diesen Verrat an ihrer Freundschaft nie verkraftet." Als sie "persönlich einmal Schutz gebraucht hätte, wurde sie von Frau Merkel fallen gelassen". Merkel habe sich danach nie wieder bei seiner Mutter gemeldet.

Es gehe ihm nicht darum, die Schuld seines Vaters an der Spendenaffäre zu relativieren, sagt Kohl: "Ich spreche hier nicht von meinem Vater, der wahrlich viel dafür getan hat, dass die Spendenaffäre eskaliert ist." Vielmehr gehe es ihm "um etwas viel Grundsätzlicheres: das menschliche Verhalten von Angela Merkel in diesem parteiinternen Machtkampf".

"Ökonomische Inkompetenz" von Helmut Kohl

In dem Gespräch mit dem ZEITmagazin schildert Kohl nicht nur die Hintergründe der besonderen Beziehung seiner Mutter zur späteren Bundeskanzlerin. Er bezieht sich auch auf Protokolle aus dem CDU-Präsidium, die ihm einst sein Vater gezeigt habe. "Daraus geht hervor, dass Frau Merkel zu Beginn der Spendenaffäre intern sagte: Wir dürfen Helmut Kohl, von dem wir viele Jahre profitiert haben, nicht im Regen stehen lassen. Vor allem müssen wir auch seine Familie schützen", sagt Walter Kohl. Daran habe sich Merkel später selbst nicht mehr gehalten.

Über seinen Vater, der schon vor Jahren den Kontakt zu seinen beiden Söhnen abgebrochen hat, sagt Kohl: "In seinen heutigen Aussagen ist er nicht mehr der, der er einmal war." Er stehe unter dem starken Einfluss seiner neuen Frau Maike Kohl-Richter. "Nehmen Sie den Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán im vergangenen April bei ihm. Der Helmut Kohl von früher hätte den Autokraten Orbán nicht so freundlich empfangen."

Im Gespräch mit dem ZEITmagazin spricht Walter Kohl auch über die "ökonomische Inkompetenz" seines Vaters und dessen Topberater bei der Einführung des Euro. Er erklärt, warum er selbst nie in die CDU eintreten wollte. Und er erzählt, wie er einmal ungewollt Prügel für den letzten SED-Regierungschef Hans Modrow bezog.

Der 53-Jährige, der früher als Investmentbanker in New York und als Controller für deutsche Unternehmen arbeitete, führt heute gemeinsam mit seiner Ehefrau eine Firma in der Automobilindustrie. Nachdem er vor einigen Jahren eine persönliche Lebenskrise überwunden hat, ist er heute auch als Coach tätig.