Angela Merkel hat in einem bayerischen Bierzelt gesprochen, ihre Worte werden weltweit diskutiert. "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere verlassen konnten, sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt", hatte die Bundeskanzlerin in Anspielung auf das Nato-Spitzentreffen und das G7-Treffen auf Sizilien gesagt. Die internationale Presse und andere prominente Beobachter schenken der Rede viel Aufmerksamkeit, warnen aber auch vor Überinterpretation.

"Das ist ein enormer Wandel der politischen Rhetorik", kommentiert die Washington Post. Merkels Temperament sei das komplette Gegenteil zu Trump. "Sie ist äußerst vorsichtig. Diese Rede war nicht impulsiv gehalten", heißt es in der Analyse. Die Rhetorik der Bundeskanzlerin solle andeuten, dass die transatlantischen Beziehungen schwächer werden und die Europäische Union stärker wird. Falls sie die Bundestagswahl gewinne und sie genügend Unterstützung der anderen europäischen Staaten bekomme, die Neinsager zu isolieren, "könnte sie einen grundlegenden und langfristigen Wandel der Beziehungen zwischen der EU und den USA in Gang setzen".

Auf Twitter nannte auch der US-Whistleblower Edward Snowden Merkels Bierzeltrede einen Moment, der eine neue Ära definieren könnte. David Frum, ein Redakteur des Atlantic, twitterte: "Seit 1945 war es das oberste Ziel der UdSSR und dann Russlands, die Allianz zwischen Deutschland und den USA zu beschädigen. Trump hat geliefert."

Die New York Times blickt ebenfalls auf die gemeinsame Allianz. "Frau Merkels starke Äußerungen waren ein potenziell richtungsweisender Wandel in den transatlantischen Beziehungen. Während die USA zunehmend unwillig sind, sich international zu engagieren, wird Deutschland gemeinsam mit Frankreich zu einer immer wichtigeren Macht."

Der britischen Guardian fand vor allem die Offenheit der Bundeskanzlerin bemerkenswert: "Merkel – vor dem Balanceakt, die transatlantischen Beziehungen zu bewahren, während sie Wahlkampf für ihre Wiederwahl führen muss – war ungewöhnlich direkt in ihrer Kritik an Trumps Weigerung, sich zum Klimaschutz zu bekennen – ein wichtiger Aspekt für deutsche Wähler." 

Der europäische Ableger des US-Portals Politico will Merkels Auftritt nicht zu viel Bedeutung beimessen. Auf die Frage, ob Angela Merkel einen Schlussstrich unter die westliche Nachkriegsordnung gesetzt habe, antwortet ihr Kommentator mit einem deutlichen Nein. Was sie in München gesagt habe, passe zu ihrer bisherigen Rhetorik zu US-Präsident Donald Trump. Auch seien tendenziell antiamerikanische Haltungen in Deutschland im Wahlkampf nicht ungewöhnlich. "Würde Merkel, schon immer eine vorsichtige Regierungschefin, ein deutsches Abwenden von den USA ankündigen, hätte sie dafür wohl kaum ein bayerisches Bierfest gewählt."

Merkel hat Ein-Wort-Phänomen Trumpundbrexit erfunden

Ähnlich äußert sich der Economist: "Ausländer verstehen Frau Merkel oft falsch. Sie ist weder die Königin von Europa, noch hat sie den Wunsch, es zu werden." Die Bundeskanzlerin habe sich bei ihrer Rede vor allem an vier Adressaten gerichtet: Die CSU, die deutschen Wähler, die EU und schließlich die USA und Großbritannien – wofür Merkel nach Sicht des Economist das Ein-Wort-Phänomen "Trumpundbrexit" erfindet. "Frau Merkels Äußerungen zeigen, wie sehr Trumpundbrexit die USA und Großbritannien in den vergangenen Monaten beschädigt haben. Sie haben es einem befreundeten Staatschef nicht nur möglich, sondern auch wahlkampftaktisch sinnvoll gemacht, sie in der Öffentlichkeit zu kritisieren", schreibt der Economist.

Die belgische Zeitung De Tijd kommentiert, die deutsche Kanzlerin habe erkennbar die Nase voll vom US-amerikanischen Präsidenten. "Europa muss nun allein weitermachen. In aller Freundschaft übrigens. Merkel ist keine Frau, die Menschen von vornherein ausschließt. Aber sie ist auch jemand, der einmal getroffene Entscheidungen nicht so leicht wieder ändert. Das Bierzelt in München könnte daher sehr wohl ein Wendepunkt in den transatlantischen Beziehungen sein."

Die italienische Tageszeitung La Repubblica findet, dass Merkel "Tacheles geredet" habe mit Blick auf das Benehmen des US-amerikanischen Präsidenten. Die Kanzlerin habe auch nicht zufällig, den Satz wiederholt, wonach die Europäer ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen müssen. "Ungewöhnlich schonungslose Sätze für die christdemokratische Anführerin, die normalerweise dazu neigt, versöhnliche und mildere Töne anzuschlagen."