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Ausland Aufrüstung

Polens Pläne zur Stärkung der Nato-Ostflanke

Mahnt zur Vorsicht: Polens ehemaliger Verteidigungsminister und Vizepremier Tomasz Siemoniak Mahnt zur Vorsicht: Polens ehemaliger Verteidigungsminister und Vizepremier Tomasz Siemoniak
Mahnt zur Vorsicht: Polens ehemaliger Verteidigungsminister und Vizepremier Tomasz Siemoniak
Quelle: Marta Kusmierz
Tomasz Siemoniak hat als Verteidigungsminister ganze Arbeit geleistet. Er plädiert für Zurückhaltung Polens im Kampf gegen den IS und will ausländische Stützpunkte in seinem Land haben.

Tomasz Siemoniak spricht überhaupt nicht so, wie man sich einen Verteidigungsminister in einem temperamentvollen Land wie Polen vorstellt. Er ist äußerst vorsichtig. Dabei könnte er etwas Wirbel um seine Person gebrauchen: Siemoniak, 48, kämpft jetzt um den Vorsitz in der großen, liberalen Oppositionspartei, der Bürgerplattform. Ende Oktober hatte die Regierungspartei eine krachende Niederlage erlitten.

Schlagkräftige Truppe: Polnische Soldaten auf Militärfahrzeugen
Schlagkräftige Truppe: Polnische Soldaten auf Militärfahrzeugen
Quelle: picture alliance / NurPhoto

Sein Naturell ist das des präzise formulierenden Beamten. Vier Jahre lang hatte er die polnische Armee geführt, zuletzt war er auch Vizepremier. Er galt als einer der besten Minister im Kabinett. Als die russische Aggression gegen die Ukraine begann, fragten ihn Leute auf der Straße: „Gibt es Krieg?“ Siemoniak war vorsichtig, für manche seiner Parteifreunde zu vorsichtig. Selbst das Signal, Warschau würde Waffenkäufen der Ukraine in Polen – wie Einkäufen anderer Länder – keine Steine in den Weg legen, hat er vermieden.

Und jetzt ertönt das Wort „Krieg“ aus Frankreich. Auch einige Wochen nach den Anschlägen bleibt Siemoniak bei seiner behutsamen Wortwahl. „Ja, der Krieg des Westens gegen den Terrorismus ist auch unser Krieg. Aber bis zur Entsendung von Soldaten ist es ein weiter Weg.“ Vor einer Intervention müsse man „Jahrzehnte vorausdenken“. Wenn es keine nachhaltige politische Regelung gebe, „ist die Armee kein gutes Instrument“.

Polen war als einer der größten Truppensteller in Afghanistan und im Irak engagiert, später in Mali und im Kosovo. „Aber wir sollten jetzt sehr vorsichtig sein“, sagt Siemoniak. Schon vor einem Jahr hatte Polens damaliger Präsident die Abkehr von den großen Auslandseinsätzen verkündet – zugunsten der Landesverteidigung und der Sicherheit von Polens unmittelbaren Nachbarn („Komorowski-Doktrin“).

In einer Gesellschaft mit Millionen Migranten können sich die Terroristen besser bewegen
Tomasz Siemoniak, ehemaliger polnischer Verteidigungsminister

Eigentlich ist es überraschend, dass ein Land, in dem man sich verbal bis aufs Messer bekriegt, seit 1989 so wenig politische Gewalt erlebt hat. Die Ermordung eines Lokalpolitikers durch einen verwirrten Anhänger der Konkurrenz 2010 war der Höhepunkt. Auch die Tatsache, dass es keinen islamistischen Anschlag gab, mag angesichts des massiven polnischen Engagements an der Seite Amerikas erstaunen.

Woran liegt das? Siemoniak lehnt eine angebliche Kollektivverantwortung der Muslime für den Terrorismus ab. „Aber in einer Gesellschaft mit Millionen Migranten können sich die Terroristen besser bewegen. Und die Überwachung von ein paar Hundert Menschen ist für die Behörden einfacher als die von mehreren Millionen.“ Im Übrigen habe der türkische Verteidigungsminister auf Nato-Treffen seit 2012 immer wieder auf das wachsende Flüchtlingsproblem hingewiesen. „Aber die Europäer, ob nun als Nato oder als EU, haben nichts getan.“

Am Mechanismus der Flüchtlingsverteilung in der EU hat auch Siemoniak gewisse Zweifel. „Seit den Tschetschenienkriegen kamen 90.000 Tschetschenen nach Polen. Ein großer Teil ist inzwischen in Westeuropa. Und von den 170 christlichen Syrern, die eine private Initiative dieses Jahr nach Polen brachte, ist die Mehrheit inzwischen ebenfalls weitergewandert.“

Polens Militär stärker als die Bundeswehr?

Das Hauptthema des Verteidigungsministers aber ist seine Armee, von der eine neue Schweizer Studie behauptet, ihre Kampfkraft übertreffe bereits jene der Bundeswehr. Darauf angesprochen, reagiert Siemoniak mit einem milden Lächeln. Ja, sagt er, bei Kampfkraft und Professionalität habe es in den letzten 15 Jahren einen „großen Sprung nach vorn“ gegeben.

Stichworte dabei: der Kauf von Kampfflugzeugen (F-16), Transportflugzeugen, deutschen Leopard-Panzern, dazu 2009 die Abschaffung der Wehrpflicht. „In Westeuropa dachten viele, der Krieg der Zukunft werde etwas Hochtechnisiertes und Virtuelles sein. Wir haben das etwas anders gesehen. Aber keine Sorge, auch die polnischen Leoparden sind Teil der Nato. Sie verteidigen auch Deutschland.“

Polen präsentiert stolz die Stärke seiner Armee

Am polnischen Tag der Armee marschierten bei einer großen Militärparade Soldaten durch Warschau, Panzer rollten durch die Straßen. Präsident Duda kündigt eine Verstärkung der Streitkräfte an.

Quelle: N24

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Die Bemühungen, angesichts des immer häufiger provozierenden Verhaltens Russlands die Ostflanke der Nato zu stärken, ist Anliegen sowohl der alten als auch der neuen Regierung in Polen. Auf dem Nato-Gipfel in Warschau 2016 sollen, so hofft man hier, Fortschritte erzielt werden. Am besten mit festen Stützpunkten der Verbündeten. Aber was tun, wenn die dazu nötige Einstimmigkeit im Bündnis nicht zustande kommt?

Siemoniak weiß einen Ausweg: „Solche Stützpunkte könnten auch unter dem Hut der Vereinigten Staaten eingerichtet werden.“ Also eine bilaterale Lösung. Ohnehin, sagt Siemoniak, seien ja 75 Prozent des Potenzials der Allianz amerikanische Kräfte. Außerdem hofft er, dass der Nato-Oberbefehlshaber in Europa „möglichst weitreichende Befugnisse haben wird, um die schnelle Reaktionstruppe der Nato, die sogenannte Speerspitze, auch ohne die Genehmigung durch nationale Parlamente in ein bedrohtes Bündnisland verlegen zu dürfen“. Nur der Kampfeinsatz selbst brauche ein politisches Mandat. Diese Frage ist in der Nato bisher ungeklärt.

Zunächst wird Siemoniaks Nachfolger im Amt, der Verteidigungsminister der neuen Regierung, Antoni Macierewicz, sich noch mit großen Rüstungsaufträgen befassen müssen. Bei jedem geht es um mehrere Milliarden Euro. Die bisherige Regierung verhandelte nach einer Ausschreibung zuletzt mit dem US-Konzern Raytheon über die Lieferung von Luftabwehrraketen des Typs Patriot. Wenn es bei dieser Rakete bleibt, hätten Polen und Deutschland verschiedene Luftabwehrsysteme. Als Lieferanten von Kampfhubschraubern („Caracal“) hatte Warschau zuletzt den europäischen Airbus-Konzern favorisiert. Bei U-Booten liegt eine deutsche Werft gut im Rennen.

Russland übte Raketenschlag auf Warschau

Noch ist kein Vertrag unterschrieben. Die neue Regierung will die Ausschreibungen noch einmal überprüfen. Natürlich haben sich auch die Gewerkschaften in polnischen Rüstungswerken lautstark zu Wort gemeldet; sie hoffen auf einen größeren Anteil des Kuchens für ihre Betriebe, vor allem bei der Montage der Hubschrauber. 2013 wurde Polens Rüstungsindustrie konsolidiert, und um sie zu schützen, hatte die alte Regierung mit einem Veto die Liberalisierung des EU-Rüstungsmarkts blockiert.

Und jetzt die Milliardengeschäfte mit Hubschraubern und Abwehrraketen. Warum? Das provozierende Auftreten Russlands, das heute fast alle Nato-Staaten erfahren, mussten die östlichen Bündnisstaaten schon viel früher erleben. In einem russischen Großmanöver wurde 2009 der Abschuss einer Rakete auf Warschau simuliert. 2013 war dann Estland das Ziel eines virtuellen Raketenschlags. Nur hat das im Westen des Kontinents kaum jemanden aufgeregt.

Nato-Soldaten proben in Polen den Ernstfall

Erst im September 2014 hatte die Nato den Aufbau der superschnellen Eingreiftruppe beschlossen, jetzt simulieren 700 Soldaten den Ernstfall. In Russland rüstet Präsident Wladimir Putin unterdessen auf.

Quelle: N24

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