Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für ZEIT und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen. Weitere Artikel seiner Kolumne "Fischer im Recht" finden Sie hier – und auf seiner Website.

Am 20. Februar um 20 Uhr stellt sich Thomas Fischer den ganz großen Fragen des Rechts: Was ist Schuld? Gibt es das Böse? Sind Verbrecher mutiger als andere Menschen? Durch das Gespräch, das in Hamburg im Rahmen der Langen Nacht der ZEIT stattfindet, führen die stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT, Sabine Rückert, und der Chefredakteur von ZEIT ONLINE, Jochen Wegner. Anmelden können Sie sich hier.

Aufwärts!

Sehr geehrter Leser! Deutschland boomt! Euro stark oder schwach, Öl teuer oder billig, Islamisten auf dem Vor- oder Rückmarsch, das gute deutsche Sturmgewehr auf dem Prüfstand oder auf dem Schwarzmarkt im wilden Kurdistan – egal! Es geht unaufhaltsam aufwärts, seit vielen Jahren. Das Einzige, was unserer deutschen Wirtschaft wehtäte, wäre eine zehn Meter hohe Mauer ums geliebte Vaterland.

Und dennoch fürchtet sich der deutsche Mensch – er denkt: wie selten in seiner tausendjährigen Geschichte. Alle Bedrohungen der Vergangenheit scheinen zu verblassen vor dem Untergangsszenario, das die Ankunft einer Million unregistrierter Unbekannter auslöst. Nicht sie sind aber das Thema der heutigen Kolumne, sondern allenfalls die Befürchtung, mit ihnen sickere eine wie auch immer organisierte Kriminalität nach Deutschland ein, welche die Sicherheitslage gravierend verschlechtere. Das ist nicht ausgeschlossen, aber auch nicht erwiesen. Denn kriminelle Organisationen gibt es auch bei uns schon mehr als genug.

Rückwärts!

Menschen sind gefährlich. Viele einzelne sind unberechenbar. Eine Vielzahl, die nach einem gemeinsamen Plan handelt, ist besonders bedrohlich.

Dies sagt uns die Erfahrung. Schon immer haben Gemeinschaften sich – zu Recht oder Unrecht – in ihrer Sicherheit besonders bedroht gefühlt durch "Gruppen" anderer, denen ein gemeinsamer Plan zur Missachtung der herrschenden Ordnung – zu Recht oder zu Unrecht – unterstellt wurde. Die Bildung einer solchen Gruppe löst Furcht aus, denn der gemeinsame "Plan" macht ihre Mitglieder zu Fremden und damit potenziell zu Feinden.

Es ist hier nicht der Ort, die interessante (Rechts-)Geschichte der "Räuberbanden" zu erzählen. Wir kennen literarische Zeugnisse darüber in erheblicher Zahl seit der Entstehung von Landesherrschaft, also "Staatlichkeit" im modernen Sinn. "Raubritter" und "Räuberbanden" sind keine Kitschgestalten oder Eingebungen der Popkultur. Wer "Raubritter" war und wer "Landesherr", definierte sich vielfach erst im Nachhinein. Und die "Räuberbanden" im Spessart und im Sherwood Forest waren keine albernen Gangs, sondern echte Gegenentwürfe. Die Geschichte schreibt der Gewinner.

Das alles ist nicht ferne Vergangenheit, sondern aktuelle Gegenwart. Reisen Sie, liebe Leser, mit Captain Phillips nach Somalia, mit Herrn Scholl-Latour nach Arabien, mit der Weltbank nach Mexiko, Tansania oder Usbekistan.

Abwärts!

Es könnte alles so schön sein. Wenn nur diese Angst nicht wäre! Banden, Gruppen, Organisationen bedrohen uns, umzingeln uns, verstricken uns in ihre  Logik und ihr klandestines Wollen. Das klingt ironisch, am Ende gar schadenfroh. Ist es aber nicht. Sich vor dem Fremden zu fürchten, ist weder verrückt noch verwerflich noch verwunderlich: Es ist ganz normal.