Ich gehe nicht gerne auf Demos (bin zu klein), werfe grundsätzlich keine Steine auf niemanden, und das nicht nur, weil ich beeindruckend schlecht werfe. Ich habe nichts gegen den Staat, ich will keine Revolution und zum Proletariat gehöre ich auch nicht.

Für mich läuft es gut so wie es ist.


Meine Eltern sind reich, ich bin gut ausgebildet, weiß, hetero, nicht behindert, kinderlos. Viele Probleme, die die Gesellschaft betreffen, sind nicht meine Probleme. Altersarmut? Ich könnte eh privat vorsorgen. Geschlechtsneutrale Toiletten? Brauche ich nicht, ich identifiziere mich zufällig mit meinem biologischen Geschlecht. Mindestlohn? So wenig habe ich in meinem Nebenjob zu Schulzeiten verdient. Für mich läuft es gut so wie es ist, darum sollte mein Interesse eigentlich darin liegen, den Status quo zu konservieren.

Aber ich bin trotzdem links. Links sein heißt für mich, anzuerkennen, dass all diese Probleme zwar nicht meine sind, ich mich aber daran beteiligen muss, sie zu lösen.

Die Welt auf links gedreht

Ich hatte Glück, dass meine Eltern keine Alkoholiker sind, dass sie sich um meine Hausaufgaben gekümmert haben, dass sie genug Geld hatten, damit ich sorgenfrei studieren konnte. Wo wäre ich ohne diese glückliche Fügung einer Geburt als gesunder Mensch in eine funktionierende Familie?

Auf solche Zufälle wie Begabung und Geburtsumstände möchte ich mich nicht verlassen. Einfach davon ausgehen, dass jeder schon für sich selbst sorgen und Qualität schon irgendwie durchsetzen wird, auch wenn sie in Duisburg-Marxloh geboren wird, wie Konservative es sehen, reicht mir nicht.

Ich betrachte die Welt auf links gedreht. Auf links gedreht sind die Nähte und Fäden zu erkennen, aus denen unsere Gesellschaft besteht und die sie zusammenhalten. So sind die Gemeinsamkeiten sichtbar, losgelöst vom sozialen Hintergrund.

Deshalb solidarisiere ich mich mit denen, die nicht so viel Glück hatten: Die Herausforderung des Linksseins besteht darin, in einer Gesellschaft, die das Individuum in den Mittelpunkt stellt, die gemeinsame Bedürfnisse zu erkennen und zu behandeln, die alle Menschen gleich welcher sozialen Herkunft verbindet: Bildung, Gesundheitsversorgung und eine sozialen Absicherung für Erwerbslose und für das Alter.

Auch wenn es in meiner Lage vielleicht das Beste wäre, mich dafür einzusetzen, in einem Modell der individuellen Vorsorge aus privater Krankenversicherung und Riesterrente zu leben – ich tue es nicht. Denn ich möchte die gut dokumentierten Auswirkungen auf andere in Form von Zweiklassenmedizin und Altersarmut nicht mittragen.

Ohne Staat geht es nicht

Um diese Probleme zu lösen, brauchen wir den Staat. Gegen jede Form von Herrschaft zu sein, ist nicht meins, mit dem ACAB, das die Hauswand ziert, kann ich nichts anfangen. Denn nur der Staat kann kann meine Ideen für gesellschaftliche Veränderung anstoßen. Nur er kann nützliche Dinge wie Antidiskriminierungsgesetze und den Mindestlohn einführen.

In einer Partei bin ich noch nicht. Aber nicht, weil ich, klassisch links, gegen Hierarchien wäre oder es lieber basisdemokratischer hätte. Ich kann mich einfach nicht entscheiden. In Deutschland ist die Auswahl im linken Spektrum so groß wie beim Ritter-Sport-Regal im Supermarkt.

Meine Eltern waren Mitglieder bei den Sozialdemokraten, aber in der SPD sein erscheint mir wie eine vorprogrammierte Enttäuschung. Da hat man hohe linke Ideale und versucht sie zu verwirklichen, und dann kommt sie mit dem Tarifeinheitsgesetz und beschneidet die Rechte kleiner Gewerkschaften.

Dann natürlich die Linke, wenn auch mit Imageproblem aufgrund ihrer zweifelhaften Vergangenheit und einem Hang zum Populismus, und die Grünen, immerhin ein steter Quell linken Gedankenguts, sogar mit Regierungsperspektive. Ironischerweise qualifiziert sich sogar die CDU als "Linke wider Willen" – hat sie sich doch der Forderung nach dem Atomausstieg und gar dem Mindestlohn angeschlossen.

Bis ich mich für eine Partei entschieden habe, gehe ich bei jeder Gelegenheit die linke Abzweigung des Weges: Bei Wahlen suche ich mir die Partei aus, deren Wahlprogramm das gesamtgesellschaftliche Wirken am besten im Blick hat. Und wenn die Notunterkunft in meiner Gegend nach Helfern sucht, gehe ich mithelfen. Denn auch als einzelner Faden hält man die Gesellschaft zusammen.