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Panorama Unbegrenzte Erholung

Mehr Urlaub? Oooch, muss gar nicht sein!

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Mit Abstand die beste Urlaubslaune ist vor dem Antritt vorhanden – und dann wieder kurz vor Schluss
Quelle: Getty Images
Wie viel Urlaub am Stück ist optimal? Und was ändert sich eigentlich, wenn jeder so viel nehmen kann, wie er will? Erfahrungen von Psychologen und Unternehmen zeigen: nicht das, was man erwartet.

Bei Sir Richard Branson, Multimilliardär und Chef eines erfolgreichen Konzerns, lässt sich manchmal kaum auseinanderhalten, ob er jetzt gerade Stuss zum Besten gibt oder eine geniale Idee. So hat es der Boss der Firma Virgin Galactic fertiggebracht, zum London-Marathon mit Schmetterlingsflügeln auf dem Rücken anzutreten. Das war eher ein Spleen.

Bei seiner jüngsten Eingebung allerdings ist das nicht so ganz klar. Bransons Streich erschütterte die Arbeitswelt. Für alle Angestellten seines Konzerns gibt es keine Urlaubsregelungen mehr. Was an deren Stelle treten soll, klingt ähnlich irre, wie es der Anblick des Marathonläufers Branson mit umgeschnallten Schmetterlingsflügeln war. Die Formel lautet: unbeschränkten Urlaub für alle. Wann immer und so lange wie gewünscht.

„Meine Mitarbeiter dürfen das selbst entscheiden“, sagt Branson. Seine Virgin-Frauen und -Männer haben die freie Wahl, einen Tag im Jahr Urlaub zu nehmen oder hundert. Alles ist erlaubt, solange niemand dabei die kleine, harmlose Fußnote überspringt, die da lautet: Die Arbeit darf nicht liegen bleiben. Branson ist nicht der einzige Chef, der seinen Angestellten unbegrenzten Urlaub genehmigt. Er geht mit der Mode, der viele US-Startup-Firmen folgen, meist aus dem Silicon-Valley: Unbegrenzter Urlaub für alle.

Jeder Dritte würde für Geld auf Urlaub verzichten

Im weltweiten Vergleich gehören die Deutschen mit knapp 27 tariflich geregelten Tagen zu den ausdauerndsten Urlaubern. Dennoch ergab eine Umfrage: Die große Mehrheit der Berufstätigen sieht erst bei acht freien Wochen die beste Balance hergestellt zwischen Arbeits- und Privatleben.

An genau diesem Wunsch nach sieben, acht oder neun Wochen rüttelt Bransons Angebot vom selbstbestimmten Urlaub. Zwar liegen noch keine gesicherten Erfahrungen vor über Bransons Regelung, aber erste Berichte über einen erstaunlichen Effekt: Verantwortet und genehmigt sich der Arbeitnehmer seinen Urlaub selbst, bleibt alles beim Alten. Das heißt, nicht so ganz. Es wird eher weniger.

Das passt gut zu einer Erhebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes aus dem vergangenen Jahr. Die Frage lautete, ob man bereit sei, sich ein, zwei oder drei Wochen des Jahresurlaubs abkaufen zu lassen. Das Ergebnis hat niemanden groß irritiert: Jeder Dritte, so ergab die Studie, würde für Geld auf Urlaub verzichten.

In der Lesart der Arbeitnehmervertreter erklärt sich das aber wohl weniger mit Freizeitüberdruss oder Urlaubsmüdigkeit. Es hat eher mit Schulden, prekärer Finanzschieflage und Unterbezahlung zu tun.

Dennoch ist der Urlaub als Ziel und Höhepunkt des Jahres offenbar überschätzt. Umfragen bestätigen, dass die überbunt ausgemalten Fantasien von den sonnenüberfluteten, unbeschwerten „schönsten Wochen des Jahres“ meist brachial auf das tatsächliche Erleben krachen. Ein Reiseportal ermittelte sogar, vierzig Prozent der Urlauber könnten zwischen Urlaubsreise und Arbeitsalltag keinerlei Unterschied im Stimmungsniveau feststellen.

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Eine andere Studie mit Kalifornien-Urlaubern schloss mit dem Resümee, 60 Prozent der Befragten seien zwischenzeitlich enttäuscht gewesen. Insgesamt fühlt sich jeder zweite USA-Reisende bei der Rückkehr erschöpfter als zuvor. Auch die Deutsche Depressionshilfe hat so ihre Erfahrungen gemacht. Sie warnt ausdrücklich davor, sich von der „Flucht in den Urlaub“ irgendwelche Aufhellungen zu erhoffen.

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Es gibt zwar keine Checkliste mit Gewähr für den perfekten Urlaub. Aber ein Grundgesetz, das das Schlimmste verhindert. Es lautet: Zwei Wochen sind genug. Nach 14 Tagen habe die Erholung ihr Soll erreicht, den Höhepunkt fast schon überschritten, erklärt Thomas Rigotti, Professor für Arbeits- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Mainz. Auch er empfiehlt: lieber mehrmals kurz aussteigen aus dem Arbeitstrott als selten und viele Wochen am Stück.

Über das „Das Geheimnis des Glücks am Arbeitsplatz“ hat der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi aus Chicago ein viel beachtetes, berühmtes Buch geschrieben. Der wichtigste Begriff darin ist „Flow“, womit der Autor einen „aktiven, wachen, konzentrierten, kreativen und zufriedenen Zustand“ zusammenfasst.

Dieses Hochgefühl habe sich bei seinen Versuchspersonen, darunter Ingenieure, Büroangestellte und Manager, bereitwillig eingestellt, wenn sie nach Herzenslust Maschinen konstruieren, Probleme diskutieren, telefonieren oder Aufträge verteilen konnten. Jeder Zweite erfreute sich dabei einer „Stimmung positiver Anspannung“.

Man lying in grass relaxing Getty ImagesGetty Images
Deutsche gehören zu den ausdauerndsten Urlaubern
Quelle: Getty Images/ Westend61

Und während des Urlaubs? Hätten sich nur 17 Prozent seiner Probanden im „Flow“ befunden. Csikszentmihalyis Fazit: Arbeit macht glücklicher als Urlaub. Gilt für alle, die Hobby und Beruf, Freunde und Kollegen, Wunsch und Wirklichkeit nicht auseinanderhalten müssen.

Der Urlaub als eine Art Stimmungskanone beschreibt in aller Regel dieselbe Flugbahn: Laut mehrerer Umfragen passiert er in den ersten Tagen finsteres Gewölk, dann geht’s mit Aufhellungen weiter, danach nimmt die Stimmung eine leichte Kurve nach unten, um zum Schluss wieder an Höhe zu gewinnen.

Mit Abstand die beste Urlaubslaune ist vor dem Antritt vorhanden – und dann wieder kurz vor Schluss. Wenn es endlich wieder nach Hause geht.

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