Soviel Widerstand gegen den direkten Volkswillen gab es noch nie: Kaum hatte am Donnerstag eine knappe Mehrheit des britischen Wahlvolks in einem Referendum für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union votiert, forderten die Unterlegenen umgehend neue Volksvoten. Bis Sonntag hatten bereits weit mehr als drei Millionen britische Staatsbürger eine unverzügliche Wiederholung der Brexit-Abstimmung verlangt.

Außerdem: Die EU-freundlichen Schotten wollen erneut über ihren Verbleib im Vereinigten Königreich abstimmen, obwohl sie diese Zugehörigkeit erst vor zwei Jahren in einem Referendum bejaht haben.



Auch viele Nordiren wollen sich nicht dem Brexit-Votum beugen. Und in Großbritanniens Hauptstadt London haben am Wochenende bereits knapp 200.000 Menschen eine Petition unterschrieben, die eine EU-Mitgliedschaft der City of London fordert. Vor allem junge Briten stemmen sich gegen den Brexit und dagegen, dass die älteren Wähler ihnen die Zukunft verbauen.



Solange abstimmen, bis das Ergebnis stimmt? Das geht wohl kaum. Aber die Revolte gegen das Referendum zeigt wieder einmal in aller Deutlichkeit: In derart entscheidenden, geradezu existenziellen Wesensfragen sollte man nicht das Volk befragen.

Großbritannien - Was sich mit dem Brexit ändert Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union wird auch für EU-Bürger Folgen haben. Eine Kurzübersicht

Volksabstimmungen werden von Gefühlen gesteuert

Mehr denn je sind gerade Volksabstimmungen emotional aufgeladen und werden von Gefühlen und Momentsaufwallungen gesteuert. Wut und Empörung sind die wichtigste Waffen. Wer Argumente wägt, wer differenziert, wer auf Fakten setzt, seine Motive rational begründet und Unbequemes, vielleicht sogar Unpopuläres vertritt, hat bereits verloren.

Deshalb sind Referenden auch bei Demagogen so beliebt. Mit Hass- und Wutkampagnen lassen sich Emotionen schüren und Massen mobilisieren und gegen die angeblich satten, arroganten und bequem gewordenen Eliten in Stellung bringen.

Natürlich ist der Zorn auf Brüsseler Bürokratien und Allmachtsfantasien nicht aus der Luft gegriffen. Es gibt viele triftige Gründe für die Unzufriedenheit und den Protest. Das Vertrauen der Bürger in demokratische Institutionen erodiert.

Doch Volksabstimmungsfans vom Schlage Farange, Johnson, Wilders, Le Pen und Petry sind keine Reformer, sondern Zerstörer. Ihre Hetze gegen Einwanderer, gegen "Islamisierung" und die "Ausnutzung" der Sozialsysteme hat mit den europäischen Werten, die sie angeblich vertreten, wenig gemein.