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Ausland Saudi-Arabien

Geplatzte Hoffnungen einer modernen Arbeitssklavin

Nefisa Abi, 32, aus Äthiopien wollte ihr Glück als Haushaltshilfe in Saudi-Arabien suchen Nefisa Abi, 32, aus Äthiopien wollte ihr Glück als Haushaltshilfe in Saudi-Arabien suchen
Nefisa Abi, 32, aus Äthiopien wollte ihr Glück als Haushaltshilfe in Saudi-Arabien suchen
Quelle: Christian Putsch
Kriegsflüchtlinge sind in Saudi-Arabien nicht willkommen. Dafür aber junge Frauen aus Entwicklungsländern, wie Nefisa Abi. Doch der Weg in den Golfstaat wurde für die Äthiopierin zum Albtraum.

Nefisa Abi hatte Glück, sie saß in dem neueren der beiden Schlauchboote. Als sie nach vier Stunden erschöpft, aber unversehrt den Golf von Aden überquert hatte, waren 36 der 38 Insassen des anderen Bootes ertrunken. Abi kannte die meisten, tagelang hatten sie gemeinsam in Dschibuti auf die illegale Ausreise in den Jemen gewartet.

Ihre Odyssee erinnert an das Martyrium der über eine Million Menschen, die im Jahr 2015 Europa über das Mittelmeer zu erreichen versuchten und von denen 4000 starben. Abi stammt aus Äthiopien, einem politisch weitgehend sicheren Land. Es war die Armut, die sie wie über 50.000 ihrer Landsleute jährlich in Richtung der Golfstaaten trieb – mit dem Ziel Saudi-Arabien, das derzeit mit seiner konsequenten Verweigerungshaltung bei der Aufnahme von syrischen und irakischen Kriegsflüchtlingen weltweit Empörung auslöst.

Eine bestimmte Gruppe von Ausländern ist in dem wohlhabenden Königreich jedoch außerordentlich nachgefragt: weibliche Haushaltshilfen. Nach Angaben der Vereinten Nationen gibt es dort aktuell 750.000 – in etwa so viele wie Haushalte. Die amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) geht sogar von mindestens 1,5 Millionen aus. Mehr als 300 Euro monatlich verdient kaum eine von ihnen. Für Abi aber ist die Summe ein Vermögen, das Zwanzigfache ihres Verdienstes auf einem Markt in der Kleinstadt Mekane Selam. Jenem Ort, an dem sie geboren wurde. Und an den sie zurückkehren musste.

Der Wunsch nach Unabhängigkeit zog sie nach Saudi-Arabien

Nefisa Abi fällt es nicht leicht, über ihre Zeit in Saudi-Arabien zu sprechen. Die 32-Jährige sitzt in der Mitte einer Lehmhütte, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter bewohnt. Still röstet sie Bohnen in einer gewölbten Pfanne. „Ich habe von einem unabhängigen Leben geträumt“, sagt sie, den Blick gesenkt. Der schnellste Weg dazu führt über Saudi-Arabien, versprach ihr Anfang 2014 ein Schlepper, der Haushaltshilfen für die Golfstaaten in Äthiopien anwarb.

Im Juli des gleichen Jahres brach Abi auf – kurz nachdem neben vielen asiatischen Ländern auch Äthiopien die Rekrutierung von Haushaltshilfen für den Golfstaat verboten hatte. Dadurch blieb Abi nur die illegale Einreise nach Saudi-Arabien. Der Grund für das Rekrutierungsverbot von äthiopischer Seite: In den Jahren zuvor hatte es Hunderte Fälle von schweren Misshandlungen von Haushaltshilfen gegeben. Zwei Angestellte wurden nach dem angeblichen Mord an einer Mutter und einem Baby gar zum Tode verurteilt. Sie hatten während des Prozesses keinen rechtlichen Beistand. Zustände, die an Sklaverei erinnern. Die wurde in Saudi-Arabien erst im Jahr 1962 abgeschafft.

Nefisa Abi (l.) mit ihrer Mutter beim Körbeflechten in ihrem Heimatdorf. Damit verdient sie jetzt ihren Lebensunterhalt
Nefisa Abi (l.) mit ihrer Mutter beim Körbeflechten in ihrem Heimatdorf. Damit verdient sie jetzt ihren Lebensunterhalt
Quelle: Christian Putsch

Die durchschnittliche Arbeitszeit einer Haushaltshilfe beträgt laut einer Studie der Universität Amsterdam 17 Stunden täglich. Das örtliche Arbeitsrecht, das mindestens einen freien Tag pro Woche vorsieht, gilt für Haushaltshilfen ausdrücklich nicht. Bei ihrer Ankunft behalten die Hausherren nach Angaben von Human Rights Watch zumeist die Pässe der Angestellten ein. Meist dürften die jungen Frauen das Haus nicht verlassen, was jedoch auch für viele einheimische Frauen gelte.

Das Visum ist an den Arbeitgeber gebunden, was einen Wechsel der Familie auch bei Fällen von Gewalt und sexuellem Missbrauch nahezu unmöglich macht. Allzu oft folgt auf eine Anzeige gegen die Hausherren eine Gegenanzeige wegen Diebstahl oder unsittlichen Verhaltens – der Haushaltshilfe wird vor Gericht selten geglaubt.

Nefisa Abi glaubte den Versprechen des Schleusers

Weder die massiven Menschenrechtsverletzungen noch das Rekrutierungsverbot von äthiopischer Seite hielten Abi auf. Die orthodoxe Christin war auf das Leben in der Fremde vorbereitet. Sie hatte sogar genug über den Islam gelernt, um sich als Muslima ausgeben zu können – für viele Familien in Saudi-Arabien eine Voraussetzung für die Einstellung. Tausende würden in dem Golfstaat illegal arbeiten, hatte sie der Schleuser ermutigt. Das sei kein Problem, er kenne die richtigen Leute. Umgerechnet 430 Euro im Monat versprach er ihr, ein besonders für illegale Arbeiter utopisches Gehalt.

Es wäre genug Geld gewesen, um innerhalb von wenigen Monaten ihrer Mutter das Geld zurückzuzahlen, das diese ihr für die Schlepper geliehen hatte. Und nach zwei Jahren, so ihr Plan, würde sie ein Haus in Mekane Selam bauen. Endlich unabhängig. Von ihrem Mann, den sie als Jugendliche heiraten musste, hatte sich Abi scheiden lassen. Er hatte ihr kaum eine eigene Entscheidung zugestanden. Abi wollte den nächsten Schritt gehen. Sie glaubte dem Schleuser.

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15 Nächte wanderte sie mit den anderen Wirtschaftsflüchtlingen durch den Jemen in Richtung Saudi-Arabien, tagsüber hielt sich die Gruppe versteckt. Einmal sei sie dennoch von Polizisten gestoppt worden, sie suchten ihr Haar nach verstecktem Geld ab. „Wir wurden festgehalten, bis unsere Familien Geld überwiesen“, erzählt Abi. Ihnen sei gedroht worden, an Männer im Jemen zwangsverheiratet zu werden. Ihre Mutter schickte die letzten Ersparnisse.

Tatsächlich führte der Schleuser die Gruppe nach Saudi-Arabien, brachte die Frauen in einem heruntergekommenen Haus unter – und verschwand. Nach drei Tagen stürmten Polizisten das Haus, denn die Regierung ging zuletzt rigoros gegen illegale Einwanderer vor. „Sie haben uns in ein Frauengefängnis gesteckt“, erzählt Abi, „das Wasser war verdreckt, ich musste direkt neben dem Klo schlafen. Ich war wochenlang krank.“ Schließlich wurde sie zurück nach Äthiopien geflogen – und ist nun dabei, sich wieder zu reintegrieren.

Die Versuchung ist groß, es noch einmal zu versuchen

Das zuletzt zweistellige Wirtschaftswachstum Äthiopiens ist in ihrer Heimat, 300 Kilometer nördlich der boomenden Hauptstadt Addis Abeba, noch nicht angekommen. Die deutsche Hilfsorganisation Menschen für Menschen (MfM) hat ihr beim Neuanfang geholfen, mit einem Mikrokredit in Höhe von rund 300 Euro hat Abi eine improvisierte Werkstatt für bunte Mesebo-Körbe aufgebaut, die bei Hochzeiten zum Einsatz kommen. „Ich komme langsam wieder auf die Füße und verdiene mehr als auf dem Markt“, sagt die junge Frau, „es reicht zum Überleben. Aber es bleibt ein harter Kampf, jeden Tag.“

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Quelle: Reuters

Sie spielt noch immer mit dem Gedanken, es noch einmal in Saudi-Arabien zu probieren, trotz allem. Davon rät ihr jedoch Ato Abera Adeba, Direktor der Menschenrechtsorganisation Agar Ethiopia, derzeit vehement ab. „Wir haben 400 Frauen betreut, die aus Saudi-Arabien zurückgekehrt sind“, sagt er, „ihre psychologischen und körperlichen Schäden sind teilweise erheblich.“

Von der äthiopischen Regierung fordert er, wie zuletzt die Philippinen strenge Schutzmechanismen für Haushaltshilfen mit Saudi-Arabien und einen Mindestlohn in Höhe von 370 Euro auszuhandeln. „Ich bin für ein neues bilaterales Abkommen“, sagt Adeba, „alles andere erhöht die Nachfrage für illegale Schleuser.“ Das äthiopische Parlament berate gerade dazu.

Eine Aufhebung des Verbots ist wahrscheinlich, schließlich ist das Land auf Überweisungen aus der Diaspora angewiesen. An eine Erfüllung von Abis Traum aber glaubt Adeba auch bei neuen Zugeständnissen des Golfstaates nicht. Dafür habe er zu viele Geschichten gehört, die eher an Albträume erinnern.

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