Endlich in Berlin. Die Stadt wurde uns in französischen Zeitungen als Brutstätte so vieler Unternehmen angepriesen. Jeder finde hier einen Job, anders als bei uns in Frankreich. So dachten mein Freund und ich, als wir Ende Januar in Berlin angekommen sind. Nach meinem Studium war ich drei Jahre lang arbeitslos. Ich habe in Tours und den USA Kommunikation studiert, habe zahlreiche Praktika absolviert, aber eine Arbeit habe ich nicht gefunden. Weder in großen Städten noch in ländlichen Regionen. Schließlich habe ich es nicht mehr ausgehalten und meinen Freund überredet, nach Berlin zu ziehen. Die ersten zwei Wochen haben wir nur Bewerbungen geschrieben. Nach zwei Wochen hatte ich ein Vorstellungsgespräch bei einem dieser neuen Start-ups.

Es klang wie mein Traumjob, ich war so aufgeregt. Und als ich direkt nach dem Gespräch eine Zusage bekam, war ich sehr glücklich. Ich schrieb meiner Familie und meinen Freunden, dass ich es in Berlin geschafft hatte. Doch dann kam schnell der Sinkflug. Beim Einstellungsgespräch stellte mein Chef klar, dass sie mir erst mal nur ein Praktikum für 800 Euro im Monat anbieten konnten. Das war Mitte Februar. Schon für Ende des Monats sicherte er mir zu, dass ich einen festen Vertrag und mehr Geld bekommen würde.

Seltsam fand ich, dass mein Chef sehr selten im Büro war, manchmal habe ich ihn tagelang nicht gesehen. Nur meine Vorgesetzte und ich waren da. Nach zwei Wochen hatte mein Chef immer noch nicht auf meine Anfrage reagiert, wann ich meinen Vertrag bekommen würde. Ich bekam das Gefühl, dass er versuchte, mich zu meiden. Bald sagte mir mein Chef, ich würde noch drei weitere Monate als Praktikantin für 800 Euro arbeiten und dann erst einen Vertrag und mehr Geld bekommen.

Ich war nicht zufrieden, aber ich habe mir eingeredet, dass es besser sei als nichts. Ich habe viel gearbeitet und immer mehr Verantwortung übernommen zum Beispiel für mein eigenes Blog. Drei Monate lang habe ich von zehn bis sieben, manchmal sogar bis acht gearbeitet. Von Berlin habe ich so gut wie nichts gesehen.

Mein Chef hat immer mehr Mitarbeiter eingestellt, obwohl das Start-up noch keine Investoren hatte. Das waren alles Leute wie ich. Sie kamen aus Frankreich, Italien oder Griechenland. Uns ist schnell aufgefallen, dass er uns alle verarscht: Niemand hatte einen Vertrag, wir haben jeden Monat Rechnungen geschrieben, nicht an das Start-up selbst, sondern an irgendeine Firma in Osteuropa. Bezahlt hat er uns erst am 25. des Folgemonats.

Im Büro war sehr schlechte Stimmung, alle waren sauer und gestresst. Wir wussten nicht, wie wir unsere Miete bezahlen sollten. Ich denke, unser Chef hat lange damit gespielt, dass wir nicht wussten, wie das System in Deutschland funktioniert. Jedes Mal, wenn ich mit ihm gesprochen habe, war er total nett und verständnisvoll. Er hat um Verständnis gebeten, dass es für ein neues Unternehmen sehr schwierig sei und so weiter. Eigentlich hat er mir jede Woche aufs Neue versprochen, einen Vertrag aufzusetzen, aber getan hat er das nicht. Immer hatte er eine Ausrede. Dass die Firma noch keine Steuernummer hatte. Dass die Firma noch nicht als GmbH gemeldet ist.

Seit wir in Berlin sind, sind mein Freund und ich zehn Mal umgezogen. Ohne einen Arbeitsvertrag findet man keine Wohnung in Berlin. Jeden Abend nach der Arbeit habe ich mich schrecklich gefühlt, dachte, ich würde meine Arbeit nicht gut machen und bekäme deshalb nur so wenig Geld. Mit meiner Familie und meinen Freunden in Frankreich habe ich mich monatelang nicht getraut, zu telefonieren, weil ich das Gefühl hatte, versagt zu haben. Meinem Freund gegenüber habe ich mich schuldig gefühlt, weil ich ihn doch überredet hatte, nach Berlin zu kommen. Er hatte lange gar keinen Job.