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Wirtschaft Zu viel Wind

Für absurde Ökostrom-Vernichtung zahlt der Verbraucher

Wirtschaftsredakteur
Quelle: Infografik Die Welt
Schöne Bescherung: Über die Feiertage mussten Verbraucher 20 Millionen Euro für die Entsorgung von überschüssigem Ökostrom bezahlen. Und im kommenden Jahr wird die Stromrechnung weiter steigen.

Wer jetzt eine Liste mit guten Vorsätzen fürs neue Jahr anlegt, sollte dringend einen Punkt mit aufnehmen: Stromversorger wechseln! Denn schon zu Beginn von 2017 steigen die Preise für Elektrizität. Ein Vier-Personen-Haushalt, der immer noch im Grundtarif seines örtlichen Versorgers steckt, kann durch einen Wechsel leicht mehr als 300 Euro im Jahr sparen.

Nach aktuellen Zahlen vom Verbraucherportal Check24 erhöhen gleich zu Jahresbeginn 334 Grundversorger ihre Preise, also rund 40 Prozent aller deutschen Stromversorger. Die Teuerung beträgt im Schnitt 3,5 Prozent und betrifft rund elf Millionen Haushalte.

„Die Welle der Strompreiserhöhungen für Januar ist fast doppelt so hoch wie im vergangenen Jahr“, sagt Oliver Bohr, Check24-Geschäftsführer. „Erfahrungsgemäß werden für März bis April noch einige Versorger nachziehen.“

Zwei Ursachen hat Check24 für den Preisanstieg ausgemacht: Zum einen steigt die Umlage zur Förderung der Ökostrom-Produktion um acht Prozent auf den neuen Rekordwert von 6,88 Cent pro Kilowattstunde. Zum anderen stiegen auch die Kosten der Stromnetze um ebenfalls acht Prozent an.

Der Vergütungssatz ist unabhängig von der Nachfrage

Allerdings finden sich auch einige kleinere, recht bizarre Posten unter den Strompreistreibern. So mussten die deutschen Verbraucher etwa über die Weihnachtsfeiertage hinweg nach überschlägigen Berechnungen fast 20 Millionen Euro für die Vernichtung überschüssigen Ökostroms zahlen.

Hintergrund der sonderbaren Verklappungsprämie ist eine Vorgabe des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Danach darf jeder Produzent erneuerbarer Energien seine grünen Kilowattstunden ins Stromnetz einspeisen, ganz unabhängig davon, ob überhaupt Nachfrage besteht. Die Netzbetreiber sind in jedem Fall verpflichtet, die Elektrizität abzunehmen und mit einem festen Vergütungssatz zu bezahlen.

Quelle: Infografik Die Welt

Doch wohin mit dem Strom im Netz, wenn ihn niemand braucht? Die Überproduktion fiel wegen des Sturms diesmal besonders groß aus. Das brachte Zehntausende Windkraftanlagen auf Touren – doch wegen der Feiertage brauchte die Industrie den Strom nicht. Da die Netzbetreiber verpflichtet sind, den eingespeisten Ökostrom an der europäischen Strombörse EEX zu vermarkten, gingen sie dort mit den Preisen immer weiter herunter. Bereits früh an Heiligabend rutschten die Börsenstrompreise sogar in den negativen Bereich. Das heißt, die Stromnetzbetreiber verschenkten den deutschen Stromüberschuss zu diesem Zeitpunkt nicht nur, sie zahlten jedem Abnehmer sogar noch 7,62 Euro pro Megawattstunde oben drauf.

Freuen sich Nachbarstaaten über deutschen Irrsinn?

Die Stromschwemme ließ über die Weihnachtstage hinweg kaum nach und sorgte für insgesamt 35 Stunden für negative Strompreise am Großhandelsmarkt. Der an jeder Nachfrage vorbei produzierte Strom hatte damit also nicht nur jeden Marktwert verloren, sondern verursachte seinen Besitzern zusätzlich auch noch Kosten. Während zu „normalen“ Zeiten Strom für rund 30 Euro pro Megawattstunde gehandelt wird, mussten die Stromnetzbetreiber am Morgen des zweiten Weihnachtstages sogar „minus 67 Euro“ bieten, um noch irgendwo Abnehmer für den Überschuss-Strom zu finden.

Wer sich diese Entsorgungsgebühr einsteckte, ist unbekannt. Branchengerüchten zufolge lassen Industriebetriebe, die sich direkt an der Strombörse mit Elektrizität eindecken, ihre Kessel, Großfeuerungsanlagen und Maschinen länger in Betrieb, ohne irgendetwas zu produzieren – einfach nur weil es so lukrativ ist, Strom zu verbrauchen. Eine Möglichkeit, die privaten Endverbrauchern nicht zur Verfügung steht.

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Als sicher gilt, dass europäische Nachbarstaaten das Geldgeschenk der deutschen Stromverbraucher gern annehmen und ihre eigenen Kraftwerke herunterfahren, solange es deutschen Gratisstrom plus Bonuszahlung gibt.

Besitzer von Pumpspeicherbecken in den Alpen etwa nutzen die Gratis-Energie, um ihre Staubecken vollzupumpen. Herrscht zu anderen Zeiten wieder Windflaute und Ökostrom-Mangel, wird Strom aus diesen Wasserkraftwerken wieder zu hohen Preisen zurück nach Deutschland verkauft: Eine doppelte Rendite für die Betreiber solcher Anlagen in Österreich und der Schweiz. Immerhin dürften die Gesamtkosten der deutschen Stromentsorgung überschlägig geschätzt in den Tagen zwischen dem 24. und 27. Dezember knapp 20 Millionen Euro betragen haben.

Negative Preise gab es seit 2011 schon häufiger

Wissenschaftler des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) sehen in dem Phänomen negativer Strompreise ein Indiz dafür, dass es so nicht mehr weiter gehen kann mit der Ökostrom-Förderung. In ihrem jüngsten Aufsatz für das Fachmagazin „Resource and Energy Economics“ zitieren Mark Andor und Achim Voss Studien, denen zufolge die Zahl der Jahresstunden mit negativen Strompreisen von insgesamt 56 in diesem Jahr auf über 1000 im Jahr 2022 ansteigen könnte.

Windkraftanlagen in der Nordsee
Windkraftanlagen in der Nordsee
Quelle: Getty Images

Laut den RWI-Forschern gibt es seit 2011 regelmäßig an Sonn- und Feiertagen – und gerade über Weihnachten – lange Phasen, in denen es Stromüberproduktion mit negativen Preisen gibt.

Besonders bedenklich sieht es bei Elektrizität aus Biomasse-Anlagen aus, der mit einer Kapazität von rund 7000 Megawatt in Deutschland einen nicht ganz kleinen Teilbereich der Ökostrom-Produktion ausmacht. Die RWI-Forscher nehmen an, dass die Grenzkosten der Stromproduktion in Biomasse-Anlagen bei rund 30 Euro pro Megawattstunde liegen. Damit würden Biomasse-Anlagen schon dann volkswirtschaftliche Wohlfahrtsverluste verursachen, wenn die Großhandelspreise für Strom unter diese Marke rutschen – was praktisch in jeder zweiten Stunde des Jahres 2016 der Fall gewesen ist.

Experten raten zu vollständigem Systemwechsel

Als Konsequenz plädieren die RWI-Forscher Andor und Voss dafür, das System der Ökostrom-Förderung ganz zu überdenken. Volkswirtschaftlich effizienter wäre die Energiewende womöglich, förderte man stattdessen den Bau von Ökostromanlagen unabhängig von deren Output, heißt es im Aufsatz „Capacity subsidies versus generation subsidies“

Mit dem RWI-Verstoß wächst die Zahl der Wissenschaftler, die die häufigen Nachbesserungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes für nicht mehr zielführend halten und stattdessen einen grundsätzlichen Systemwechsel in der Energiewende fordern.

Die Regierung hatte das EEG zuletzt im Sommer dieses Jahres novelliert. Seither müssen sich die Investoren von Wind- und Solaranlagen in Ausschreibungen um den Bauauftrag bewerben, wobei jeweils nur der Interessent mit dem niedrigsten Kostenvoranschlag den Zuschlag erhält. Wissenschaftler, wie etwa auch der Vorsitzende der Regierungskommission zum Monitoring der Energiewende, Andreas Löschel, halten diese kostensenkende Verbesserung zwar für richtig. Da Ökostrom-Produzenten aber auch weiterhin nicht dem vollen Marktrisiko ausgesetzt seien, sei im Sinne einer nachhaltigen Energiewende ein vollständiger Systemwechsel ratsam.

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