ZEIT ONLINE: Warum ist der Kapitalismus ein Problem, Herr Spät?

Patrick Spät: Weil er Wohlstand für alle verspricht, aber nur für wenige bringt. Das ganze System basiert auf Ausbeutung – Ausbeutung von Menschen und von Natur. Kaum etwas im Kapitalismus ist nachhaltig, auch wenn das ein neues Modewort ist. Selbst aus Subkulturen und Kapitalismuskritik entstehen noch neue Produkte.

ZEIT ONLINE: Wie meinen Sie das?

Spät: Wenn Konzerne wie BMW ins Carsharing einsteigen oder Unternehmen wie Wiesenhof auf einmal vegetarische Schnitzel anbieten, dann hat das wenig mit echtem Interesse an Nachhaltigkeit zu tun.

Es ist ein Marketing-Gag. Mit einem Kasten Krombacher-Bier wird man niemals einen Quadratmeter Regenwald retten. Unternehmen tun das aus Profitstreben. Sie wollen und müssen Gewinne erwirtschaften.

ZEIT ONLINE: In Ihrem neuen Buch Die Freiheit nehm ich dir schreiben Sie, der Kollaps sei im Kapitalismus vorprogrammiert. Aber das System hält sich schon erstaunlich lange. 

Spät: Krisen sind ja auch ein Geschäftsmodell, seit 2008 hat die Anzahl der Millionäre weltweit rapide zugenommen. Es gehört zu den Wesensmerkmalen des Kapitalismus, immer neue Verwertungspotentiale zu finden. Oder alte Verwertungspotentiale wieder zu nutzen – oft mit wahnsinnigen Renditen. Nach der Krise 2008 etwa hat eine Rückbesinnung auf reale Güter stattgefunden. Seither nehmen Land- und Watergrabbing weltweit stark zu.

ZEIT ONLINE: Haben Sie ein Beispiel?

Spät: Großkonzerne entziehen den Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika im großen Stil Grundstücke, Wald- und Weideflächen, legen Plantagen an oder stellen Fabriken darauf und zwingen die Menschen in ausbeuterische Lohnarbeit. Was das Wasser betrifft: Es war in vielen Ländern des globalen Südens ein kostenloses Allgemeingut. Jetzt werden die Quellen von Konzernen wie Nestlé, Coca Cola und Pepsi eingezäunt, das Wasser wird abgefüllt und teuer verkauft. Den dortigen Bauern wird damit die Existenzgrundlage entzogen – ihnen bleibt oft nichts anderes übrig, als für einen geringen Lohn in den Fabriken zu schuften.

Man muss aber gar nicht nach Afrika schauen, um Beispiele für Landgrabbing zu finden. In Brandenburg etwa findet ein großer Ausverkauf von landwirtschaftlichen Nutzflächen statt. Dort erwirbt unter anderem der Brillenkonzern Fielmann im großen Stil Flächen, um diese teuer an Agrarunternehmen zu verpachten. Oder es wird gleich auf steigende Preise spekuliert. Die kleinen Bauern und Bäuerinnen können da nicht mithalten.

ZEIT ONLINE: Wie lange wird das gut gehen?

Spät: Auf lange Sicht werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Nach einer neuen Oxfam-Studie besitzen die 62 reichsten Menschen der Welt so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Die Vermögensverteilung wird auch in den europäischen Sozialstaaten immer ungleicher. Diese Entwicklung ist übrigens der Normalzustand.

Dass der Kapitalismus für alle mehr Wohlstand schaffte, war nur in der historisch einmaligen Situation nach dem Zweiten Weltkrieg möglich. Die soziale Marktwirtschaft hat deshalb funktioniert, weil alles zerstört war und der Wiederaufbau auf Pump und Krediten erfolgte. Bereits mit Beginn des Neoliberalismus in den siebziger Jahren schwang das Pendel wieder zurück. Deshalb ist spätestens seit der Wirtschaftskrise 2008 die Kritik am Kapitalismus wieder salonfähig geworden. Aber eine Revolution wird ausbleiben. 

ZEIT ONLINE: Warum?

Spät: Weil es in den westlichen Sozialstaaten noch zu viele Menschen gibt, die der Marktlogik und deren angeblicher Alternativlosigkeit huldigen. Das hat unter anderem auch mit Wissen zu tun. Viele Missstände sind unbekannt, und die Geschichte des Kapitalismus ebenfalls. Viele Menschen wissen nicht, unter welchen blutigen Umständen sich der Kapitalismus entwickelt hat. Die Bauernkriege sind ein gutes Beispiel dafür. Es ist mitnichten so, dass die Menschen im 15. und 16. Jahrhundert friedlich mit einem Handel begannen, der langfristig zu einem Wohlstand für alle führte. Vielmehr gab es einen großen Allmenderaub.

Leben in der Zukunft - Eine Utopie von Götz Werner: Bedingungsloses Grundeinkommen für alle Götz Werner, Gründer der DM-Drogeriekette, träumt von einer Welt ohne Existenznöte durch das bedingungslose Grundeinkommen.