"Warum", so fragte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz unlängst bei seiner Laudatio auf Kardinal Lehmann, "haben wir unseren Glauben an uns selbst verloren? Warum sind wir so verzagt geworden, wo wir doch so Großartiges erreicht haben? Warum hadern so viele mit dem politischen und gesellschaftlichen System, obschon es uns doch Frieden und Wohlstand gebracht hat?"

Schulz sprach von den Staaten Europas und von der Europäischen Union. Für die gilt, spätestens seit dem Brexit, der Gemeinplatz: Europa brauche ein neues Narrativ! Früher hätten die Menschen und Völker Europas noch verstanden, dass das Zusammenwachsen ihres Kontinents die richtige Konsequenz aus zwei verheerenden Weltkriegen sei. Das Narrativ war die Erzählung vom Lernen der Völker und dem Sieg des Friedens über rücksichtslose Konkurrenz und blutige Barbarei. Glaubt man den weitverbreiteten Narrativen über dieses Narrativ, so ist es inzwischen verblichen, und der erzählerische Motor Europas stottert nur noch vor sich hin. Ein neues Narrativ müsse her, um den europäischen Einigungsprozess fortzusetzen und den Sinn des Ganzen wieder offensichtlich zu machen.