Lageso – das Akronym ist zum Inbegriff all dessen geworden, was in der Berliner Verwaltung schiefläuft: absurde Richtlinien, ineffektive Arbeitsabläufe, veraltete Verwaltungsstrukturen, Überforderung des Personals durch eigene Inkompetenz oder die schiere Masse an zu bewältigenden Fällen. Durch die Flüchtlingskrise wird offenbar, was sich lange angebahnt hat in Berliner Behörden und nur einen Auslöser brauchte, um das System in sich zusammenstürzen zu lassen. Dabei arbeiten Ämter seit Jahren im Notstandsmodus.

Zum Beispiel die Finanzverwaltung. Als Steuerzahler würde man denken, dass es wenigstens dort besonders gut läuft, denn schließlich kommt da das Geld rein. Ein Trugschluss. In internen Rundschreiben warnt der Gesamtpersonalrat den Berliner Senat regelmäßig vor "dramatischen Zuständen", durch Personalmangel oder veraltete Software. Und das schon seit 2010. Eines von vielen Beispielen aus der Zeit ist die Umstellung auf die elektronische Lohnsteuerkarte durch direkten Datenabgleich zwischen Arbeitgebern und Finanzämtern. Die Einführung des neuen Programms (ELStAM) führte direkt ins Chaos, weil es nicht funktionierte. Monatelang konnten keine Bescheide ergehen.

Finanzbeamte programmieren ihre Steuersoftware selbst

An der unzeitgemäßen technischen Ausstattung hat sich bis heute nichts geändert. Internet am Arbeitsplatz gibt es in den Finanzämtern de facto nicht – zu langsam. In jedem Amt steht dafür genau ein öffentlicher Rechner, an dem die Verbindung funktioniert. Erst vor wenigen Tagen monierte der Personalrat in einem Intranet-Rundschreiben (so wird heute in Behörden kommuniziert) die unprofessionellen und ständig abstürzenden Arbeitsprogramme.

Es klingt lustig, wenn es dort heißt: "Dabei sollten Außeneinstellungen von IT-Fachleuten in größerem Umfang ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Die technischen Herausforderungen werden in Zukunft nicht allein durch Finanzbeamte mit Programmierkenntnissen zu bewältigen sein." Aber ist das sinnvoll, dass Steuerprogramme von den Finanzbeamten selbst, statt von professionellen IT-Spezialisten geschrieben werden? Es könnte jedenfalls erklären, warum dem Land Berlin jährlich 500 Millionen Euro Steuereinnahmen entgehen (so Berechnungen des Personalrats von 2010).

"Ich brauche manchmal einen halben Tag, um einen Vordruck am Computer auszufüllen, weil das Programm so schlecht ist, andauernd einfriert und ich Sachen nicht wiederfinde. Dabei habe ich die inhaltliche Arbeit längst erledigt, den Fall gelöst, die Steuer festgesetzt – es geht nur noch ums Ausfüllen. Normalerweise eine Sache von zehn Minuten", bekennt ein Sachbearbeiter im Finanzamt, der lieber anonym bleiben möchte. Die Akten stapeln sich auf seinem Tisch, viele Fälle bleiben einfach liegen, weil es zu wenige Leute und einen zu hohen Krankenstand gibt. Auch das eine Begleiterscheinung des Personalverschleißes, so die Diagnose des Finanzwirts. Das führt dazu, dass die Beamten mehr und mehr in der Vergangenheit arbeiten – nicht nur, was die Ausstattung angeht. Dass Kunden drei bis vier Jahre auf Entscheidungen warten müssen, ist keine Seltenheit.

Richtig schlimm wurde es seiner Meinung nach, als die Sachgebiete zusammengelegt und so noch mehr Mitarbeiter eingespart wurden. Das war 2010, da fehlten bereits 960 Bearbeiter und trotzdem musste plötzlich jeder alles können, von Lohnsteuer über Vollstreckung zur Buchhaltung. Gerade ältere Mitarbeiter – und davon gibt es einige – seien restlos überfordert, viele zu schlecht ausgebildet. "Da resigniert man innerlich", so der Finanzbeamte. Bittet er Kollegen um Hilfe, wollen oder können die ihm seine Fragen auch oft nicht beantworten. Wenn er dann bis zum Mittag nicht zur Lösung kommt, ist der Tag für ihn gelaufen. Unumwunden gibt er zu: "Dann mache ich nichts mehr." Dadurch bleibt noch mehr Arbeit liegen, die noch mehr Menschen in die "innere Kündigung" treibt, die dauerkrank werden oder die Arbeit verweigern.