Man muss sich Horst Hrubesch als glücklichen Menschen vorstellen. Mit 18 Jahren spielt er Fußball in der dritten Liga, gut zehn Jahre später wird er erst Europa- und dann Vizeweltmeister. Er verfasst ein Standardwerk über den Fischfang, Dorschangeln vom Boot und an den Küsten, 124 Seiten mit 111 Abbildungen, nur noch antiquarisch erhältlich, für 39 Euro. Und nun, mit 65 Jahren, hat er eine olympische Silbermedaille im Fußball gewonnen.

Aber er bekommt sie nicht. Trainern wird bei den Olympischen Spielen keine Medaille verliehen. Dabei gebührt sie ihm vielleicht am meisten in diesem erstaunlichen Team. Denn das hat er geschafft: aus einem Haufen mehr oder weniger Namenloser, die so noch nie zusammengespielt haben (und es auch nie wieder werden), binnen kürzester Zeit eine funktionierende Mannschaft zu formen. Im olympischen Finale rennt 120 Minuten lang jeder für jeden. Gemeinsam überstehen sie sogar jene zehn Minuten vor Ende der regulären Spielzeit, in denen ihre Abwehr die beste deutsche Schwimmleistung dieser Spiele abliefert. Als Lars Bender, einer von drei älteren Spielern in dieser U21-Mannschaft, verletzt vom Platz muss, weint er, weil er nicht mehr Teil dieser einzigartigen Truppe sein kann.

Vielen mächtigen Vereinsverantwortlichen in Deutschland war sie so schnuppe, dass sie ihren Spielern verboten, nach Rio zu fahren. Darüber ist Hrubesch auch nach dem mitreißenden Finale nicht hinweg. "Die Kerle zusammenzubekommen war viel anstrengender als das ganze Turnier!" Am Ende spielt der Weltstar Neymar gegen Grischa Prömel vom Karlsruher SC. Doch die 17 von der Resterampe werden im Maracanã-Stadion Teil des vielleicht intensivsten Moments dieser Olympiade. Nur ein einziger Schuss fehlt ihnen zum vollkommenen Glück. 

"Sehen Sie mich weinen?"

Ob diese Niederlage im Elfmeterschießen nicht bitter für ihn gewesen sei, wird Hrubesch nach dem Schlusspfiff gefragt. "Sehen Sie mich weinen? Ich lach die ganze Zeit schon! Wir gehen als Sieger aus diesem tollen Spiel raus. Der ganze Fußball hat gewonnen, weil er seinen Stellenwert bei Olympia bewiesen hat. In Zukunft sollten wir den olympischen Fußball in Deutschland ernster nehmen."

Viel war vor diesem Spiel von der Rache für das 1:7 die Rede, jener vernichtenden Niederlage der Brasilianer gegen Deutschland bei der Heim-WM vor zwei Jahren. Eine ewig schwärende Wunde, die wie in einer großen Mythenerzählung nur durch Gold geheilt werden könne. Horst Hrubesch wollte davon nichts hören. "Dies hier ist eine andere Mannschaft, ein anderes Finale. Wir wollen hier unseren Traum zu Ende leben." Ihm sei klar gewesen, dass beide Teams einander nicht in ähnlicher Weise würden zerlegen können. Und den brasilianischen Journalisten erteilte er kostenlos noch eine Lektion aus seinem Spezialgebiet – nein, nicht dem Dorschangeln, sondern Fußball als Mannschaftssport. Wie er denn Neymar zu stoppen gedenke, wurde er gefragt. "Wir werden gegen Brasilien spielen, nicht gegen Neymar."

Das brasilianische Publikum war beim Blick auf das Finale dahoam hin- und hergerissen. Natürlich wollten sie die Schmach tilgen, aber sie fürchteten sich auch. Zwar ist es ihre Fahne, auf der ordem e progresso steht, aber Ordnung und Fortschritt sehen sie im Moment nur bei den Deutschen, vor allem im Fußball. Dennoch ist das Stadion schon eine Stunde vor dem Anpfiff so voll wie keine olympische Arena zuvor; vielleicht, um die bösen Geister durch zeitiges Gebrüll zu vertreiben. Schon zum Warmlaufen wird der deutsche Torwart Timo Horn gnadenlos ausgebuht. Die Lernkurve, die der brasilianische Olympia-Sprecher in Sachen Fan-Verhalten versprochen hatte, geht auch am vorletzten Tag der Spiele noch nicht sehr steil nach oben.